Herwart II

(Herbort, Herwort, Hörwart, ’mit der Eule’), Patrizierfamilie

Autoren: Dr. Peter Geffcken (1) , Dr. Katharina Sieh-Burens (2)

Stand/Quelle/Datum: 2. Auflage Druckausgabe

  • 1) 1265 bis bis 18. Jahrhundert in Augsburg nachweisbar. Kirchliches Zentrum war anfänglich St. Moritz. In den Quellen erscheint zuerst ein ’Herbordus’ († vor 18.3.1297) und seine Ehefrau Mechthild († nach 27.10.1298), eine Tochter Heinrich Herwarts ’mit der Lilie’. Ihr ab 1295 als Ratsherr belegter Sohn ’Herbort (II) vor St. Moritz’ († 19.3. 1302/14) heiratete eine (Stief-) Schwester des Stadtpflegers Konrad (II) Eulentaler. Der Aufstieg in die Spitzengruppe der Ratsfamilien vollzog sich unter seinen Söhnen Konrad (I) ’Öchsler’ († 1358/59?), Herbort (III) ’Calvus’ († 1365/68) und Heinrich (I) ’vor Unser Frauen Tor’ († 1365/67?), die seit Ende der 1320er Jahre im Rat nachweisbar sind und alle mehrfach als Stadtpfleger amtierten. Ihre Siegel zeigen noch das alte Wappen mit dem Monogramm HE[RBORT], die Söhne übernahmen ab 1348 das Wappen der erloschenen Eulentaler. Bei der weiten Verzweigung der Familie in der 2. Hälfte des 14. Jahrhunderts ist es nach gegenwärtigem Forschungsstand nicht möglich, die familiären Zusammenhänge umfassend zu rekonstruieren. Dies scheint jedoch nicht nur durch die allgemeine Quellenlage bedingt; es sind vielmehr Indizien erkennbar, die im letzten Drittel des 14. Jahrhunderts auf eine Einbuße der einstigen Stellung hindeuten. Offensichtlich ist der politische Machtverlust: Amtierten die Herwart in den vier Jahrzehnten vor Einführung der Zunftverfassung (Zunfterhebung) insgesamt 14mal als Stadtpfleger, so dauerte es danach über ein Jahrhundert, bis wieder ein Familienmitglied in das höchste städtische Amt gewählt wurde. Auch die wirtschaftliche Situation der Familie scheint, vielleicht forciert durch Erbteilungen, erschüttert gewesen zu sein. Während Heinrich (I) noch als Mitbesitzer der Stadt Buchloe (1354) und der Herrschaft Hattenberg (1365) bezeugt ist, lassen sich im ausgehenden 14. Jahrhundert größere Besitzkomplexe nicht mehr nachweisen. Außerdem belegen vielfache Wohnsitzwechsel, dass die repräsentativen Häuser in Augsburg nicht gehalten werden konnten. Zuletzt ging 1394 der große Hof vor dem Frauentor, der einstige Sitz der Portner, an die Rehm über. So erscheint auch die Abwanderung von Familienmitgliedern (u. a. nach Treviso und Bozen) in einem anderen Licht. Nach dem Bankrott des ehemaligen Arzt-Gesellschafters Hans Herwart ’Schmeltzlin’ († 1437/38) blühten in Augsburg nur noch zwei Familienzweige. Die Nachkommen des Peter Herwart ’Öchsler’ († 1416) traten vor allem politisch hervor. Den Wiederaufstieg des Geschlechts trugen jedoch die kaufmännisch aktiven Nachkommen des ’Erbot vechio’ in Treviso. In den Büchern der Soranzo in Venedig erscheinen sie als die wichtigsten Augsburger Käufer von Baumwolle, aber auch Handel mit Buntmetall ist belegt. 1402 war Jakob (I, † 1440?) nach Augsburg zurückgekehrt, 1417 folgte ihm sein jüngerer Bruder Andres Herwart († 1429/30). Der dritte Bruder Hans, der die Interessen der Gesellschaft ’Jachomo Erbot e fradelli’ in Italien vertrat, ist noch 1424 in Treviso bezeugt. Ob nach Jakobs Tod in Augsburg eine Herwart-Gesellschaft bestand, ist zweifelhaft, die Söhne Heinrich und Jakob (II) übersiedelten nach Ulm, ein dritter Sohn war Domherr in Brixen. Der in Augsburg verbliebene Sohn Lukas (I) Herwart († 1485) wurde Teilhaber der Firma seines Schwiegervaters Ulrich Örtwein († 1488).

  • 2) Im ausgehenden 15. Jahrhundert traten die Herwart erneut als bedeutende Kaufleute hervor. Im Vordergrund ihrer Aktivitäten standen nun Metallwarenhandel und Montanbau sowie, damit engstens verbunden, das Finanzgeschäft. Nach 1488 hatten die Söhne von Lukas (I) die Gesellschaft ihres Großvaters Ulrich Örtwein übernommen, die nun als ’Georg Herwart und Gebrüder’ firmierte. Die Herwart waren neben den Handelsgesellschaften der Baumgartner, Fugger und Gossembrot am Kupfersyndikat von 1498 beteiligt. Wenige Jahre später beteiligten sie sich unter Leitung Christoph Herwartss († 1529) an großen Geldgeschäften mit der Regierung der Niederlande. Seit 1527 hohe Gewinne durch ihre Beteiligung an den Silberbergwerken in Tirol. Christoph war bis zu seinem Tod Ratsherr und bekannte sich früh zur Reformation. Zur gleichen Zeit standen auch seine Verwandten Markus († 1528/29) und Hans († 1527/28) aus einer vorübergehend in Ulm lebenden Linie an der Spitze eines bedeutenden Handelshauses in Augsburg. Sie unterhielten ebenfalls rege Geschäftskontakte mit der Regierung der Niederlande und gewährten König Ferdinand umfangreiche Darlehen. 1548 Monopolstellung des Handelshauses in den Idrianer Bergwerken. Markus’ Sohn Georg († 1569), engagierter Zwinglianer und 1538/46 mehrfach Bürgermeister, spielte bei der Vermehrung der Geschlechter 1538 und beim Eintritt Augsburgs in den Schmalkaldischen Krieg 1546 neben Jakob Hörbrot eine entscheidende politische Rolle. Mit Aufhebung der Zunftverfassung 1548 verschwand er aus der politischen Führung der Stadt. Sein Sohn Ulrich († 1584) zählte im Kalenderstreit zu den heftigsten Gegnern der geplanten Reform und wurde deshalb 1583 aus dem Rat ausgeschlossen. Entscheidend für die weitere Entwicklung dieses Familienzweigs waren die Beziehungen zu Frankreich. Georg fädelte sie durch Darlehensgeschäfte mit dem französischen König ein. Sein Enkel Daniel verheiratete sich in Lyon. Dessen Söhne Bartholomäus († 1676) und Johann Heinrich wurden einflussreiche Geheime Räte am Hof Ludwigs XIV. Bartholomäus wurde Großschatzmeister der französischen Krone und Generalkontrolleur der Finanzen. Ihre Nachkommen zogen nach Aufhebung des Edikts von Nantes nach England. Völlig anders verlief das Schicksal der Nachkommen des Hans, die sich zur katholischen Kirche bekannten und sich Herwart von Hohenburg nannten. Seine Söhne, Hans Paul († 1586) und Hans Heinrich († 1583), beteiligten sich in den 1540er Jahren ebenfalls erfolgreich an Geschäften mit der französischen Krone, gerieten dann aber zunehmend in Vermögensverfall. Hans Paul, 1553/54 Bürgermeister und 1566-1575 Geheimer Rat, machte 1575 Bankrott und gab 1576 sein Bürgerrecht auf. Er trat in bayerische Dienste, wurde allerdings nicht, wie häufig dargestellt, Hofkammerpräsident. Erst seine Söhne drangen in die bayerische Verwaltungsspitze vor. Johann Georg († 1622), ein angesehener Mathematiker, gelangte in den Geheimen Rat und wurde Oberstkanzler, sein Bruder Johann Friedrich († 1626) Hofbibliothekar. Auch die nachfolgende Generation lebte am bayerischen Hof.
  • Herwartstraße (Bleich und Pfärrle, Amtlicher Stadtplan K 7/8).

Literatur:

Paul von Stetten, Geschichte der adelichen Geschlechter in der freyen Reichsstadt Augsburg, 1762, 101-107

H. Herwarth von Bittenfeld, Die Brüder Bartholomäus und Johann Heinrich Herwart, in: Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben 1 (1874), 183-206

Richard Ehrenberg, Das Zeitalter der Fugger, 1896, 218-220

H. Sieveking, Aus venezianischen Handlungsbüchern, in: Schmollers Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft 26 (1902), 223

Josef Hagl, Entwicklung des Augsburger Großkapitals […] 1540-1618, München Diss. 1924, 58-65

Jakob Strieder, Zur Genesis des modernen Kapitalismus. Forschungen zur Entstehung der großen bürgerlichen Kapitalvermögen am Ausgange des Mittelalters und zu Beginn der Neuzeit, zunächst in Augsburg, 21935, 108-117

Neue deutsche Biographie 8, 1969, 720-722

Wolfgang Stromer von Reichenbach, Oberdeutsche Hochfinanz 1350-1450, 1970, 286, 417

Eduard Zimmermann, Augsburger Zeichen und Wappen, 1970, 1021, 5701, 5706

Maximilian Lanzinner, Fürst, Räte und Landstände in Bayern 1511-1598, 1979, 360 f.

Reinhard Heydenreuter, Der landesherrliche Hofrat unter Herzog und Kurfürst Maximilian I. von Bayern, 1981, 335-337

Bosls bayerische Biographie, 1983, 340 f.

Fritz Peter Geffcken, Soziale Schichtung in Augsburg 1396-1521, 1995, München Diss. 1983, 139, 197, Anh. 12-215, 221-233

Maximilian Lanzinner, Johann Georg Herwart d. Ä., in: Archiv für Kulturgeschichte 75 (1993), 301-334.