Zunfterhebung
Autor: Prof. Dr. Rolf Kießling
Stand/Quelle/Datum: 2. Auflage Druckausgabe
- Latente Spannungen zwischen den allein ratsfähigen alten Geschlechtern und jüngeren Kaufmannsfamilien bzw. Handwerkern um die Finanzordnung und die Teilhabe am Stadtregiment entluden sich 1368. Am 22./23.10. besetzten bewaffnete Männer die Tore und zogen mit 24 Bannern zum Rathaus. Zu ihren Wortführern wählten sie Hans Weiß (Weber), Heinrich Burtenbach (Bäcker), Heinrich Weiß (Kürschner), Hans Wessisprunner (Salzfertiger), Sieghart Schreiber (Brauer) und Hans Erringer (Metzger), wobei die drei ersten bekannte Persönlichkeiten waren, die schon vorher im Großen Rat nachweisbar sind und als Steuermeister auch Amtserfahrung besaßen. Man forderte vom Rat die Einführung einer Zunftverfassung. Die Räte übergaben ihnen Stadtbuch und Stadtsiegel sowie die Schlüssel zur Stadtglocke und zum Archiv, unterwarfen sich also und leisteten den Schwur auf Einrichtung einer ’zunft’, was im sogenannten Ersten Zunftbrief vom 24.11.1368 festgeschrieben wurde. Nach Einholung von Ratschlägen bei anderen süddeutschen Bischofsstädten (Speyer, Worms, Mainz, Basel, Straßburg, Konstanz, Ulm) wurden am 16.12.1368 im sogenannten Zweiten Zunftbrief die grundlegenden Bestimmungen der Steuerordnung (Steuer) und Stadtverfassung (Verfassung) mit genau festgelegter Verteilung der Ratssitze und städtischen Ämter zwischen den Patriziern, die sich nicht in die Zünfte integrierten, und den 18 (später 17) Zünften festgelegt. Die zumeist Handwerkerkreisen zuzuordnenden Wortführer spielten nur kurzfristig eine größere Rolle: Wessisprunner wurde zum ersten zünftischen Stadtpfleger gewählt, Erringer war 1372 Mitglied im Kriegsausschuss, als Siegler amtierte Schreiber (1371), als Baumeister Burtenbach (1369), Heinrich Weiß (1369) und Hans Weiß (1374/75). Obwohl zumeist noch länger im Rat belegt, blieben ihnen ab Mitte der 1370er Jahre zentrale Ratsämter verschlossen. Die neue Ordnung, eine auf Ausgleich bedachte Mischverfassung, blieb im Prinzip bis zur Karolinischen Regimentsordnung von 1548 bestehen. Die kaiserliche Zustimmung Karls IV. vom 26.12. 1374 erfolgte jedoch erst nach Entrichtung einer erheblichen Sondersteuer. Die früher übliche Benennung als Zunftrevolution wird in der jüngeren Forschung modifiziert, da der Umschichtungsprozess nicht so sehr von einfachen Handwerkern als vielmehr von einer aufsteigenden Kaufleutegruppe getragen wurde, was sich auch in der Verfassungswirklichkeit der folgenden Epoche spiegelt.
Literatur:
F. Frensdorff, Die Einführung der Zunftverfassung in Augsburgs, in: Chroniken der deutschen Städte vom 14. bis ins 16. Jahrhundert 4, Beilage I
Pius Dirr, Zur Geschichte der Augsburger Zunftverfassung 1368-1548, in: Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben und Neuburg 39 (1913), 144-243
Josef Koch, Beiträge zur Geschichte Augsburgs 1368-1389, Diss. Tübingen 1935
Erich Maschke, Verfassung und soziale Kräfte in der deutschen Stadt des späten Mittelalter, in: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 46 (1959), 289-349, 433-476
Friedrich Blendinger, Die Zunfterhebung von 1368 in der Reichsstadt Augsburg, in: Stadtverfassung, Verfassungsstaat, Pressepolitik. Festschrift für Eberhard Naujoks zum 65. Geburtstag, 1980, 72-90
Ders., Die Zunfterhebung von 1368, in: Geschichte der Stadt Augsburg von der Römerzeit bis zur Gegenwart, 21985, 150-153
Jörg Rogge, Ir freye wale zu haben, in: Stadtregiment und Bürgerfreiheit, 1994, 244-277.