Mehrer

Autor: Dr. Peter Geffcken

Stand/Quelle/Datum: 2. Auflage Druckausgabe

  • Standesbezeichnung der verfassungsrechtlich nicht zu den ’Herren’ (Patriziat) zählenden Mitglieder der Herrenstube, genauer der ’mereren gesellschaft von der herren stuben’. In Anlehnung an Historiographen wie Stetten unterstellte die Forschung z. T. bis in neuere Zeit die Existenz einer Institution ’Mehrer der Gesellschaft’ seit dem 15. Jahrhundert. Die Art der Verwendung lässt vermuten, dass der Begriff Mehrer eher quantitativ gedeutet wurde. Dies erschien schlüssig, da durch Zulassung von Nichtpatriziern zur Herrenstube deren personelle Basis ’vermehrt’ wurde. Eine Analyse der Quellen ermöglicht es jedoch, die terminologischen Entwicklungslinien recht genau zu verfolgen. Erst nachdem 1479 die Kaufleutestube gegründet worden war, begann die Herrenstube, um ihre gesellschaftliche Vorrangstellung und Exklusivität zu betonen, sich als ’merere (d. h. bessere, höhere) gesellschaft’ zu bezeichnen (belegt ab 1509). Eine Verwendung des Komperativs ’merer’ zur Kennzeichnung qualitativer Unterschiede ist durch Augsburger Quellen des 15. Jahrhunderts häufiger belegt. So wurde z. B. das Domstift zur Kennzeichnung des Vorrangs gegenüber anderen Augsburger Stiften auch als ’merer gestift’ (’maioris ecclesiae’, ’Hoch’-Stift) bezeichnet. Die Begriffe ’Mehrer’ oder ’Mehrer der Gesellschaft’ lassen sich im 15. und im ersten Drittel des 16. Jahrhunderts in zeitgenössischen Quellen nicht belegen. Um die Mitte des 16. Jahrhunderts erscheint ’merer’ als Substantiv in der Umgangssprache (Clemens Jäger). Offensichtlich hatte das Fehlen einer spezifischen Bezeichnung für die Nichtpatrizier in der Herrenstube, die seit Einführung der Karolinischen Regimentsordnung einen eigenen Verfassungsstand (Rat) bildeten, diese Begriffsneubildung angeregt. Bei Verwendung als Forschungsbegriff ist also zu berücksichtigen, dass Mehrer ab 1548 einen qualitativ anderen Status kennzeichnet als zuvor. Für schematische Kennzeichnungen sozialer Lagen vor 1548 kann es größere Klarheit bringen, nicht mit dem Terminus Mehrer, sondern mit einer Kombination der Begriffe Zunft und Herrenstube zu operieren. Vor 1479 erscheint eine Bezeichnung als Mehrer obsolet. Nach der Mediatisierung durch Bayern wurde im königlichen Adelsedikt von 1808 eine Adelsanwartschaft der Mehrer nicht anerkannt.

Literatur:

Paul von Stetten, Geschichte der Hl. Röm. Reichs Freyen Stadt Augspurg 1, 1743, 219

Chroniken der deutschen Städte vom 14. bis ins 16. Jahrhundert 23, 425

Friedrich Warnecke, Augsburger Hochzeitsbuch, 1886, 7

Pius Dirr, Zur Geschichte der Augsburger Zunftverfassung 1368-1548, in: Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben und Neuburg 39 (1913), 144-243.