Wirsung
(Wirschung, Wirsing), Apotheker- und Ärztefamilie
Autoren: Dr. Peter Geffcken, Ute Ecker-Offenhäußer (2-4)
Stand/Quelle/Datum: 2. Auflage Druckausgabe
- 1452 bis ins 17. Jahrhundert in Augsburg nachweisbar; 1474 kaiserlicher Wappenbrief; 1501 Herrenstube. Sicher bezeugt ist erst Georg (I, † 1489/90), der seit den 1450er Jahren in den Steuerbüchern fassbar ist. Kam durch Heirat in die Brauerzunft, die er 1479-1489 im Großen Rat vertrat; das Handwerk übte er wohl nie aus. 1470 wird er als Kaufmann bezeichnet, wobei Barchenthandel erkennbar ist. Unter ihm vollzog sich der soziale Aufstieg der Familie, sein Anschlagvermögen stieg von 53 Gulden im Jahr 1452 auf 4333 Gulden 1480 (50. Stelle). Ab 1485 wird der Sohn Markus genannt, ab 1487 der mit einer Linck verheiratete Georg (II, † 1504), der wohl 1500/01 bankrott ging; eine Tochter war mit Leonhard Bimmel verheiratet. Wohl ein Verwandter war der huckerzünftige Hans Wirsung († nach 1522), der ab 1480 in Augsburg genannt wird. Der Anstieg seines Anschlagvermögens von 600 (1481) auf 4400 Gulden (1510) resultierte wohl aus Aktivitäten im Montanbereich. 1515 ist für ihn Besitz im Berggericht Persen (Südtirol) bezeugt. Eine Tochter heiratete 1511 Hans Zangmeister, Sohn Alexander 1515 eine Weyer. Nach seinem Bankrott 1519 fielen wesentliche Teile der Konkursmasse, vielleicht auch Besitz in Persen, an die Kötzer.
- 1) Markus (Marx), * um 1460, † 1522 Augsburg, Kaufmann, Apotheker, Buchdrucker. Heiratete 1485 die Tochter des Kaufmanns Paul Cristell und übernahm 1496 die ehemalige Apotheke bei St. Moritz. Wechselte 1498/1503 aus der Salzfertiger- wohl in die Kramerzunft. Durch seine zweite Ehe mit einer Tochter Georg (II) Sulzers gelangte er 1501 auf die Herrenstube. Gründete 1517 mit dem Arzt Sigmund Grimm eine Offizin, die sich die Herausgabe literarisch anspruchsvoller humanistischer Werke zum Ziel setzte und u. a. Texte lateinischer Kirchenväter und Dichtungen Ulrich von Huttens, aber auch Übersetzungen von Plautus und des spanischen Lesedramas 'Celestina' druckte, letzteres erarbeitet von seinem Sohn Christoph. Projekte wie eine deutsche Übersetzung von Ciceros 'De officiis' oder Petrarcas 'Von der Arznei beider Glück' kamen wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten des Unternehmens nach seinem Tod nicht zur Ausführung.
- Wirsungstraße (1908, Links der Wertach-Nord, Amtlicher Stadtplan I 7; früher: 'Straße 5').
- 2) Christoph, * nach 1501 Augsburg, † 1571 Heidelberg, Apotheker, Schriftsteller, Gelehrter. Sohn von 1). Sein Vater ermöglichte ihm einen Italienaufenthalt (bis 1520), wo er das erste deutsche Sonett verfasste und eine Übersetzung des spanischen Lesedramas 'Celestina' anfertigte, das 1520 in der Offizin seines Vater gedruckt wurde. Führte nach dessen Tod die Apotheke mit seiner Mutter weiter und übernahm sie 1530 allein. Heiratete 1534 Anna von Furtenbach. Übergab 1541 die väterliche Apotheke seinem Bruder Hieronymus und betrieb bis 1556 eine neue Apotheke in der Steingasse (Lit. D 59). Anschließend bis 1561 Geschäftsführer der Apotheke des Lukas Schellenberg. Anhänger der Reformation, später Zwinglianer. Befreundet mit dem Polyhistor und Sprachforscher Konrad Gesner. Verbrachte seine letzten Lebensjahre in Heidelberg bei seiner Tochter Marie, die mit ihrem Mann, dem Juristen Christoph Ehem, 1556 dorthin gezogen war. Christoph Wirsungs wissenschaftlichen Ruhm begründete seine erst in Heidelberg entstandene Schrift 'Ain new Artzney-Buch' (1568), die zahlreiche Auflagen erlebte und ins Holländische (1589) und Englische (1598) übersetzt wurde. Die darin enthaltene umfangreiche Rezeptsammlung (14.000 Rezepte) beruhte auf eigenen Erfahrungen oder spiegelt den zeitgenössischen Wissensstand der Pharmazie wider.
- 3) David, * 1554 Augsburg, † 1592 Augsburg (?), Mediziner. Kehrte nach Promotion in Basel nach Augsburg zurück und lebte anschließend bis 1588 in Altdorf, wo er 1583 heiratete. Wieder in Augsburg, wurde er in das Collegium Medicum aufgenommen. Arbeitete bis zu seinem Tod wohl als Stadtarzt.
- 4) Johann Georg, * 3.7.1589 (?) Augsburg, † 1643 Padua, Mediziner. Sohn von 3). Studierte wahrscheinlich in Paris und Altdorf und später in Padua, wo er nach nur einem Jahr in den Fächern Medizin und Philosophie promoviert wurde. Der von ihm 1642 in Padua entdeckte 'Ductus pancreaticus' am Menschen machte ihn bekannt (nach ihm Wirsung-Gang benannt). Ein Jahr darauf wurde er unter ungeklärten Umständen ermordet.
Literatur:
Eduard Zimmermann, Augsburger Zeichen und Wappen, 1970, 3143
Gerhard Gensthaler, Das Medizinalwesen der Freien Reichsstadt Augsburg bis zum 16. Jahrhundert, 1973, 64 f.
Die Celestina-Übersetzung von Christoph Wirsung, 1984
Josef Bellot, Humanismus, Bildungswesen, Buchdruck und Verlagsgeschichte, in: Geschichte der Stadt Augsburg von der Römerzeit bis zur Gegenwart, 21985, 343-357
Antonio Gamba / Karl-Armin Doehnel, Johann Georg Wirsung, in: Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben 82 (1989), 95-103
Gelehrtes Schwaben, 1990, 41 f.
Atti del Convegno Celebrativo di Johann Georg Wirsung, 1992
Kurzweil viel ohn‘ Maß und Ziel, 1994
Fritz Peter Geffcken, Soziale Schichtung in Augsburg 1396-1521, 1995, München Diss. 1983
Augsburger Buchdruck und Verlagswesen, 1997, 1218.