von Rolf Kießling
Die historische Forschung billigt heute den Städten, und insbesondere den oberdeutschen Reichsstädten, eine Vorreiterrolle bei der Einführung der Reformation zu. Augsburg entschied sich als eine der führenden Reichsstädte jedoch erst relativ spät in den Jahren 1534/37 zu diesem Schritt. Ein langjähriges Ringen unterschiedlicher Strömungen, ein Offenhalten der Entscheidung sowie eine letztlich 'unvollendete' Reformation kennzeichnen seinen Weg in dem knappen halben Jahrhundert von 1517 bis 1555.
Strukturelemente am Vorabend der Reformation
Noch im ausgehenden Spätmittelalter hatte sich die Stadt zu einer der Metropolen des Reiches aufgeschwungen. Nach einer Phase stürmischen Wachstums zählte sie um 1535 etwa 35.000 Einwohner, dann verlangsamte sich der Anstieg bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts. Ein langfristiger Wirtschaftsboom basierte vor allem auf dem Exportgewerbe von Leinwand und Barchent, bahnte aber über den Einstieg in die Montanindustrie und den Metallhandel auch den Weg zu einem zentralen Wechselplatz und Kapitalmarkt.
Der wirtschaftliche Aufstieg warf jedoch auch erhebliche Schatten auf das 'Goldene Augsburg'. Die Polarisierung der städtischen Gesellschaft in kapitalkräftige Unternehmer bzw. einen grundbesitzenden 'Stadtadel' einerseits und eine breite Unterschicht von Handwerkern, Taglöhnern und Dienstpersonal andererseits spitzte sich in dieser Zeit erheblich zu. 'Reich und arm', die zeitgenössische Formel, die das Bürgertum als Einheit zusammenfaßte, waren in der Realität der Lebensverhältnisse weit auseinandergetreten, und das damit verbundene Unruhepotential äußerte sich in Krisenlagen mit Vehemenz. Enorme Steigerungen der Lebensmittelpreise mit den Höhepunkten 1517, 1531/34, 1551, die stockende Baumwollzufuhr im Zusammenhang mit dem Venedigkrieg 1512/13, Pestwellen und Epidemien wie 1521/22, 1529/30, 1533/36 und 1547 taten das ihre, um das Gefühl der Unsicherheit zur Lebensangst zu erhöhen.
Eng damit verbunden war eine gesteigerte Frömmigkeit. Die Zahl der Stiftungen, mit denen man sich Fürbitte und Werkgerechtigkeit sichern wollte, erreichte ebenso einen Kulminationspunkt wie die Lektüre volkssprachlicher Erbauungsliteratur. Spektakuläre Massenpredigten und neu errichtete Prädikaturen (1505 am Dom, 1517 bei St. Moritz) belegen das Verlangen nach intensiverer seelsorgerlicher Betreuung, wenn auch unübersehbar ist, daß zuweilen in Wundersucht und Reliquienkult die Grenzen der kirchlichen Heilslehre überschritten wurden.
In der Verfassungswirklichkeit der Reichsstadt war der Kompromiß zwischen patrizischer Oberschicht und zünftischer Mitbestimmung, der 1368 gefunden worden war, bereits zu einem System umgeformt worden, in dem sich 'Rat' und 'Gemeinde' gegenüberstanden. Obwohl die prinzipielle Gleichheit des Bürgerrechts - das längst nicht alle Einwohner besaßen - die Teilnahme am politischen Entscheidungsprozeß über die 17 Zünfte gewährleistete, bestimmte doch eine Elite in den Führungsämtern und engeren Ratsgremien, vor allem im Geheimen Rat der 'Dreizehner', die Grundlinien der Politik.
Eine Überhöhung erfuhr diese Konzentration politischer Macht aber dadurch, daß diese Ratsoligarchie sich spätestens seit Ende des 15. Jahrhunderts als von Gott und dem Kaiser legitimierte 'Obrigkeit' verstand und sich mit dem Ausbau der Exekutive eigenständige Herrschaftsinstrumente schuf, um die gesamte Bürgerschaft zu kontrollieren. Die Vorstellung, "damit die Aufrechterhaltung der Rechtsordnung, der öffentlichen Sicherheit, des Friedens und des materiellen Wohlergehens der Einwohner und Bürger [zu] garantieren" - den 'gemeinen Nutzen' zu gewährleisten, wie man in den Worten der Zeit das Ideal der Res publica übersetzte -, verwies die übrige Bürgerschaft auf die Rolle von 'Untertanen' (J. Rogge). Trotzdem hielt sich in den Zünften der Gedanke einer genossenschaftlich strukturierten 'Gemeinde' als konstitutiver Basis der Stadt - und er konnte als Oppositionshaltung immer wieder in Konfliktsituationen virulent werden, nicht zuletzt auch in der Reformation.
Dieser Begriff der 'Gemeinde' hatte aber nicht nur eine politische, sondern auch eine kirchlich-religiöse Dimension: Allgemein dadurch, daß sich schon die spätmittelalterliche Stadt als "corpus christianum im kleinen" (B. Moeller) verstand und ihren Lebensraum als 'Heilsraum' sakralisieren wollte - in ihren Kirchen, mit Prozessionen, Wallfahrten etc. -, im besonderen aber in den Pfarrgemeinden, die ihre ureigensten Belange selbst mitgestalten wollten. Die Spannungslinie gegenüber der Amtskirche war unübersehbar, solange deren Institutionen und Träger - Bischof samt Domkapitel, Klöster und Stifte, Pfarrer und Vikare - sich dem Zugriff entzogen. Die kirchlichen Immunitäten bildeten 'Sonderbezirke' innerhalb der Mauern, und das bedeutete eine Durchlöcherung des bürgerlich-städtischen Rechtsbezirks: Allen voran die durch eigene Mauern und Tore abgeschlossene Insel der Domstadt, auch wenn der Bischof und die hochstiftische Regierung bereits seit Ende des 15. Jahrhunderts nach Dillingen ausgewichen waren.
Das Asylrecht der Kirchen, die Privilegien der Steuer- und Abgabenfreiheit für die gesamte Geistlichkeit und ihr Personal sowie eine eigene Gerichtsbarkeit sorgten häufig für Konflikte mit der Bürgergemeinde. Viele der insgesamt 17 Stifte und Klöster waren über Familienbande, wenn auch unterschiedlicher Intensität, mit der Bürgerschaft verknüpft, und der Rat konnte über die Pflegschaft auf kirchliche Institutionen, vor allem die Bettelordenskonvente und die Spitäler, Einfluß ausüben. Doch als empfindliche Grenze erwies sich, daß er die Pfarrstellen nicht besetzen konnte, da sämtliche sechs Pfarreien den Stiften bzw. Klöstern inkorporiert blieben. Immerhin entwickelten die Pfarrgemeinden dazu ein Gegengewicht: Aus der Verwaltung der Stiftungsvermögen in den sogenannten 'Zechen' leiteten sie eine Mitbestimmung in allen gemeindlichen Belangen ab, angefangen beim Gottesdienst und bei der Ausstattung der Kirchen über den Friedhof und die Schule bis zum Bau eigener Predigthäuser. Trotzdem ließ sich 'die Kirche' nicht mit der Bürgerstadt verschmelzen, weil Augsburg als Bischofsstadt nicht zuletzt eine geistliche Stadt war, obwohl der Rat alle Hebel in Bewegung setzte, die ihm zur Verfügung standen.
Das Bedürfnis nach einer 'eigenen Kirche' war in vorreformatorischer Zeit als zentrales Handlungsmotiv sicher zumindest von gleich großem Gewicht wie die Mängel im alltäglichen Erscheinungsbild der Geistlichkeit, das die Zeitgenossen zu einer Reformation an Haupt und Gliedern herausforderte. Ein verbreiteter Antiklerikalismus, der 'Pfaffenhaß', entzündete sich nicht nur am weltlichen Treiben und an der Mißachtung der Gelübde, sondern er resultierte häufig auch daraus, daß das adelige Domkapitel seine geburtsständische Differenz zum Bürgertum betonte. Der Ablaß wurde zwar nur zum Teil generell in Frage gestellt, doch vehemente Äußerungen wandten sich gegen den Mißbrauch bzw. die damit verbundene Finanzpolitik der Kurie und der hohen Geistlichkeit.
Gelegentlich artikulierte sich freilich auch grundsätzlicher Zweifel an der religiösen Praxis wie etwa in der heftigen Auseinandersetzung um das sogenannte 'Wunderbarliche Gut', jene Bluthostie bei Hl. Kreuz, deren lokale Wallfahrt Domvikar Bernhard Stuntz in Frage stellte, hinter dem wohl eine beachtliche Sympathisantengruppe stand. In diesem Fall mag auch der Geist des Humanismus eine Rolle gespielt haben, der auf seiten der Befürworter einer Kirchenreform eine wichtige Stimme darstellte. Gerade in Augsburg fanden sich Mitglieder der bürgerlichen Oberschicht und des gebildeten Klerus zusammen in einer "offenen Gesellschaft" der "Patrizier, Gelehrten, Professoren, Kleriker am Vorabend der Reformation, alle interessiert ... für ein ehrenhaftes Leben in Gott und Welt" (F. Heer), deren Sympathien nicht zufällig auch der grundsätzlichen Stoßrichtung Luthers galten.
Die Bürgerstadt selbst war in ein vielfältiges Geflecht mit ihrer politischen Umwelt eingebunden. Als multifunktionales urbanes Zentrum lagen in Augsburg drei Reichsstände nebeneinander: außer der Reichsstadt die Bischofsstadt als topographischer Kern des Hochstifts und Domkapitels, sodann das zur Reichsunmittelbarkeit aufsteigende Benediktinerstift St. Ulrich und Afra, die beide wie die übrigen Stifte und Klöster über ihren herrschaftlichen Besitz in das Umland ausgriffen. Augsburger Bürger hatten dort zwar vielfältigen Landbesitz erworben, aber die Stadt konnte im Gegensatz etwa zu Ulm kein geschlossenes städtisches Territorium aufbauen. Die Gemengelage dieses Besitzes wie die nötige Versorgung mit Nahrungsmitteln und gewerblichen Rohstoffen über die lokalen und regionalen Märkte zwangen den Rat deshalb immer wieder zu einer regionalpolitischen Kooperation mit seinen benachbarten Herrschaftsträgern.
Die Garantie für den verfassungsrechtlichen Status der Stadt aber lag beim Reich und erforderte die Präsenz auf reichspolitischer Ebene. Als Reichsstadt hatte Augsburg zwar weitgehende Autonomie erlangt, trotzdem blieb der Kaiser oberster Stadtherr. Diese Verbindung enthielt zudem eine dynastische Komponente, seit die Habsburger enge finanzpolitische Beziehungen mit den führenden Augsburger Familien eingegangen waren. Wenn diese Linie sich unter Karl V. fortsetzte, dessen Wahl 1519 das Augsburger Kapital unter führender Beteiligung der Fugger finanziert hatte, so mündete das in langfristige Bindungen. Schon die sieben Reichstage in seinen Mauern zwischen 1500 und 1555, darunter die für die Reformationsgeschichte besonders gewichtigen, spiegeln die Bedeutung der Stadt für die Reichsgeschichte wider und markieren gleichzeitig die politischen Rahmenbedingungen für ihre bürgerlichen Entscheidungsträger.
Während somit einerseits innere Strukturmerkmale auf die Reformation zuliefen oder sie zumindest begünstigten, deuten nicht zuletzt die Außenbeziehungen eher auf eine Kontinuität - die Entwicklung war davon abhängig, welche Faktoren in dem komplexen Gefüge die Oberhand erlangen sollten.
Frühreformation im Zeichen humanistischer Reform und gemeindlicher Opposition
Der reformatorische Prozeß setzte in Augsburg, wie auch in anderen Städten, zunächst mit der gelehrten Reformdiskussion innerhalb der kirchlichen Tradition ein. Der eben 1517 neugewählte Bischof Christoph von Stadion, ein an italienischen Universitäten juristisch gebildeter Humanist, forderte in einer Diözesansynode am 20. Oktober 1517 vom Klerus "ein von Auswüchsen gereinigtes, biblisch bestimmtes, einfaches innerliches und gelebtes Christentum" und lehnte sich dabei an den berühmten Erasmus von Rotterdam an (F. Zoepfl). Freilich fiel Luthers Kritik des Ablaßwesens in seinen 95 Thesen gerade in Augsburg auf fruchtbaren Boden, war doch hier in der Fugger-Zentrale ein finanzielles Abwicklungszentrum des Peters-Ablasses im Reich, dessen päpstlichem Kommissar, Erzbischof Albrecht von Brandenburg, in Mainz Christoph von Stadion unterstellt war.
Inwieweit aber die Begegnung Luthers mit dem päpstlichen Legaten Kardinal Thomas de Vio da Gaeta, genannt Cajetan, im Anschluß an den eben abgeschlossenen Reichstag im Oktober 1518 bereits auf eine breite Zustimmung in der städtischen Öffentlichkeit traf, ist schwer zu entscheiden. Luther war im Karmelitenkloster untergekommen, mit dessen Prior Johannes Frosch er von der Wittenberger Universität her bekannt war, die Verhandlungen mit Cajetan fanden aber im Fugger-Palais statt. Luther hatte Fürsprecher in Dr. Konrad Peutinger und einigen Ratsmitgliedern wie im Domkapitel, doch trat er nicht mit einer Predigt öffentlich auf. Bekanntlich ließ er sich nicht zum Widerruf drängen und begegnete der Gefahr der Häresieanklage mit einer notariellen Appellation an Papst Leo X., die jedoch erst am Dom angeschlagen wurde, nachdem Luther in der Nacht vom 20. auf den 21. Oktober die Stadt durch eine Nebenpforte bereits heimlich verlassen hatte.
Erst in den folgenden Jahren, als die 'causa Lutheri' weitere Kreise zog, kamen auch spezifische Augsburger Züge zum Vorschein. So fand die päpstliche Bannandrohungsbulle 'Exsurge Domine' mit der Verurteilung seiner Schriften erst spät den Weg in die Öffentlichkeit. Zwar hatte der Ingolstädter Theologe Johannes Eck als päpstlicher Beauftragter den Bischof schon im Oktober 1520 zur Publikation gedrängt, doch Bischof Christoph wie der städtische Rat und das Domkapitel verzögerten sie bis zum 30. Dezember. Daß auch der Domherr Bernhard Adelmann von Adelmannsfelden als Anhänger Luthers in die Bannandrohung aufgenommen worden war, ist ein Zeichen dafür, daß offenbar der Gelehrtenkreis in seiner Reformorientierung mit dem Anliegen Luthers sympathisierte. Der Rückhalt ging anscheinend nahtlos in das Bürgertum über, denn die befohlene Ablieferung lutherischer Schriften zeitigte trotz mehrfacher Aufforderung keine rechten Erfolge, sorgte vielmehr für erhebliche Unruhe in den Pfarreien - gegen die der Rat seinerseits wenig unternahm. Auch das Wormser Edikt, die von Karl V. im Anschluß an den Reichstag von 1521 verhängte Reichsacht über Luther und seine Anhänger samt Verbot der Schriften, das am 14. September öffentlich verlesen und bei St. Peter angeschlagen wurde, verhallte ohne Konsequenzen.
Entscheidend mußte freilich werden, ob in der Stadt charismatische Geistliche der 'evangelischen Bewegung' eine Breitenwirkung verschaffen konnten. Urbanus Rhegius, der sich mit einer pseudonymen Flugschrift für den Wittenberger Mönch stark machte und an Fronleichnam 1521 gegen den Ablaß polemisierte, sah sich noch im gleichen Jahr wegen des Konflikts mit dem Domkapitel zum Verzicht auf die Domprädikatur gezwungen. Johannes Speiser, der 1518 die Prädikatur bei St. Moritz erhalten hatte, und Johannes Frosch, der 1523 als Prior resignierte und in den Status eines evangelischen Prädikanten trat, waren zunächst die wichtigsten Vertreter der lutherischen Sache, neben denen bald auch das Franziskanerkloster 'bei den Barfüßern' zu einem Zentrum avancierte. Die Verschärfung des Klimas in der Stadt signalisieren die erste öffentliche Hochzeit eines Priesters im August 1523 - trotz Ratsverbots -, Spottaktionen gegen die alte Priesterschaft und den üblichen Gottesdienst sowie eine Reihe von Flugschriften, verfaßt von Klerikern und Laien.
Einen ersten Höhepunkt erfuhr die Konfrontation, als der Lesemeister der Barfüßer, Johann Schilling, die Brücke zur politischen Argumentation schlug. Offenbar waren im Kontext seiner Predigten über das Lukas-Evangelium im Frühjahr 1524 Parallelen zwischen kirchlicher Hierarchie und städtischer Struktur gezogen und damit die etablierte Ratsobrigkeit in Frage gestellt worden. Um die Grundintention, Friede und Einheit in der Stadt zu halten, nicht zu gefährden, versuchte der Rat Schilling als Urheber der Zwietracht abzuberufen und zum Verlassen der Stadt zu bewegen. Doch bezeichnenderweise griff diese übliche Maßnahme nicht mehr, im Gegenteil, sie war die Initialzündung für einen 'Handwerkeraufstand' am 6. August: Eine Massenversammlung vor dem Rathaus setzte den Rat unter Druck und verlangte die Zurückberufung des Mönches. Die Gärung war auch mit dem Angebot, Urbanus Rhegius als Prediger zur Verfügung zu stellen, nicht zu beruhigen, und die Zuspitzung des Tumultes am 9. August konnte nur über Zugeständnisse gemildert werden. Das taktische Vorgehen des Rates verhinderte zwar eine weitere Eskalation, die Unruhe konnte aufgefangen und unterdrückt werden, aber es war deutlich geworden, daß sich nun religiöse und politische Forderungen verzahnten: Die oppositionelle Bewegung zielte zum einen darauf, die 'altgläubigen' Prediger am Dom und bei den Dominikanern zu entlassen, die Geistlichen generell einzubürgern und ihre Sonderstellung aufzuheben; gleichzeitig sollten aber auch das Ungeld, die indirekte Steuer auf Waren, die das einfache Bürgertum besonders belastete, aufgehoben und die großen Handelsgesellschaften aufgelöst werden. Dies bedeutete nichts weniger als die Wirtschaftsstruktur anzutasten, die für die drückende soziale Spannung verantwortlich gemacht wurde. Die Vorstellung von der 'Gemeinde' als der "brüderlichen Einigkeit" verband sich mit dem Verständnis, "evangelisch" zu sein. "Die Gemeinde [wurde] zum politischen Fluchtpunkt bei dem Versuch, die Lehren der Evangelien zur Verbesserung der erlebten eigenen politischen und sozialen Umwelt anzuwenden" (J. Rogge).
Insofern ist der Begriff der "Gemeindereformation" (P. Blickle) für diese Phase sicher zutreffend, denn die Initiative ging eindeutig von 'unten' aus. Die Position des Rates war demgegenüber von Zurückhaltung geprägt, zumal er sich schon in dieser Zeit von einer weiteren Gefahr bedroht sah, deren Kulminationspunkt erst noch bevorstand. Die Ereignisse einer spezifisch bäuerlichen Reformation und des Bauernkriegs mit einem ihrer Zentren in Oberschwaben strahlten auch auf das unmittelbare städtische Umland in der Reischenau, den Stauden und auf dem Lechfeld aus, und der Rat fürchtete sicher zu Recht eine Konvergenz mit dem innerstädtischen Unruhepotential. Wenn es trotzdem gelang, eine gemeinsame "Empörung des gemeinen Mannes" in Stadt und Land (P. Blickle) zu verhindern, dann sicher durch die konsequenten Kontrollmaßnahmen, aber auch durch behutsames Nachgeben in der Stadt selbst, zumindest was die Bewilligung von evangelischen Predigern betraf. Während Prädikant Speiser bei St. Moritz 1525 durch den profiliert altgläubigen Otmar Nachtigall abgelöst wurde, der neben dem neuen Domprediger Matthias Kretz und dem Dominikanerprior Johannes Faber die Reihe der "papistischen Doctoren" stärkte, waren Johannes Frosch und der inzwischen 1524 zurückgekehrte Urbanus Rhegius weiter eindeutig dem evangelischen Lager zuzuordnen; zu ihnen gesellte sich seit 1523 der ehemalige Augustiner Stephan Agricola bei St. Anna; seit November 1524 war zudem Michael Keller als Prediger bei den Barfüßern tätig. Diese Führungsgruppe wurde nun vom Rat besoldet, während weitere Geistliche bei Hl. Kreuz, St. Georg, St. Ulrich und am Spital wohl auf Initiative der Pfarrgemeinden aufgenommen worden waren, doch auch sie hatte der Rat anschließend akzeptiert.
Freilich entfaltete sich dabei ein breites Spektrum unterschiedlicher theologischer Orientierungen, ein "frühkonfessioneller Pluralismus" (H. Zschoch), seit neben Luther und den Wittenbergern mit Huldrych Zwingli die Schweizer Ausformung schärfere Konturen gewonnen hatte. Insbesondere über die Auffassung vom Abendmahl, das in Augsburg erstmals am Weihnachtstag 1525 in St. Anna in beiderlei Gestalt gereicht wurde, entwickelten sich sehr heftige Kontroversen, die auch Urbanus Rhegius mit einer 'gemeinsamen Vermahnung zum Abendmahlsempfang' (1527) als 'Augsburger Konkordie' nicht überbrücken konnte.
Wesentlich radikalere Schritte gingen die Täufer in ihrer Ablehnung der kirchlichen Strukturen und der Favorisierung einer individuellen Glaubensentscheidung. In ihrem Zirkel der sogenannten 'Gartenbrüder' stellte sich eine starke Affinität zu den einfachen sozialen Schichten ein, auch wenn das Spektrum nicht darauf reduziert werden kann (Georg Regel, Eitelhans Langenmantel). Nach ersten lokalen Ansätzen 1525 und dem Aufbau eigenständiger Organisationselemente in einer 'Armenbüchse' avancierte Augsburg, wo der Kreis auf über tausend Gläubige geschätzt wurde, unter der Führung der Zugewanderten Balthasar Hubmaier, Hans Denck und Hans Hut zu einem Zentrum der süddeutschen Täuferbewegung.
Ihr großes Treffen im August 1527, die sogenannte Märtyrersynode, bei dem sowohl Lehrfragen wie auch das weitere Vorgehen behandelt wurden, markiert allerdings bereits den Wendepunkt, denn unmittelbar darauf schritt die Obrigkeit gegen sie ein und unterdrückte diese 'radikale' Richtung der Reformation. Nach zahlreichen Verhaftungen und einigen Hinrichtungen konnte sie sich nicht mehr erholen. Doch trotz der vehementen gemeinsamen Ablehnung seitens der Anhänger der beiden reformatorischen Hauptströmungen wirkte sie noch lange im Untergrund weiter, auch wenn die Führungsfiguren ausgeschaltet worden waren. In den 30er Jahren gewann schließlich noch der Spiritualist Caspar Schwenckfeld - der 1533/34 selbst in der Stadt wirkte - einflußreiche Anhänger mit seiner betont auf Innerlichkeit setzenden, jede äußere Form ablehnenden Religiosität.
Die Hintergründe der 'Politik der Offenheit'
Das Vordringen reformatorischen Gedankenguts in Augsburg - obwohl die traditionelle Kirche in vielfältiger Weise weiter präsent blieb - ist zunächst auf die Zentralität der Stadt zurückzuführen, denn Reformation war eben nicht nur ein Phänomen theologischer Disputation, sondern nicht zuletzt der 'Propaganda'; sie schuf eine neue Dimension von Öffentlichkeit
(W. Wettges). Als Wirtschaftsmetropole war Augsburg gleichzeitig ein Kommunikationszentrum ersten Ranges. Dies gilt vor allem für die Schriften Luthers, wo Augsburg mit 18 % der Drucke nach Wittenberg (25 %), aber noch vor Nürnberg (9 %), Straßburg (8 %) und Erfurt (8 %) eine klare Spitzenstellung einnahm; zwischen 1518 und 1530 konnten aus elf Offizinen 457 Drucke des Reformators nachgewiesen werden, was sich auf die Größenordnung von knapp einer halben Million Exemplare hochrechnen läßt. Seine Augsburger Anhänger Rhegius und Oecolampad folgen erst in weitem Abstand, aber auch die zwinglianisch-oberdeutschen Schriften blieben erstaunlicherweise dahinter zurück: Von Zwingli sind nur 15 Augsburger Ausgaben bekannt, Michael Keller trat als Autor trotz seiner großen Erfolge als Prediger kaum in Erscheinung. Schriften zur Verteidigung der römischen Kirche in Augsburg fehlten jedoch fast völlig. Obwohl der Rat 1520 in einem Mandat die Drucker anhielt, nichts zu veröffentlichen, was "Irrungen zwischen den Geistlichen und Doktoren der hl. Schrift" betreffe, erwies sich in der Praxis die Zensur als wenig hinderlich: "Der Rat [hat] die Drucker so gut wie gar nicht behelligt" (H.-J. Künast). Selbst die Forderungen Papst Hadrians VI. 1522 und Kaiser Karls V. 1524 erwiesen sich als ebenso wirkungslos wie die Einsprüche des Bischofs Christoph von Stadion.
Die betonte Zurückhaltung des Rates als Entscheidungsträger der Bürgerstadt gegenüber den kontroversen religiösen Gruppierungen läßt sich nur aus seiner Zusammensetzung und seiner Stellung im Gefüge der politischen Organe ableiten. Trotz der Oligarchisierung konnte die Masse der Zunftmitglieder Druck ausüben, und umgekehrt sah sich die Führungselite immer wieder veranlaßt, die Legitimationsbasis ihrer Entscheidungen zu verbreitern, um Konflikte zu minimieren. Doch wie in anderen Städten verliefen die Grenzen zwischen den Angehörigen der traditionellen Kirche und den reformatorisch Gesinnten quer zu den verschiedenen Schichten und Gruppen der Stadtbevölkerung, auch wenn mit der Betonung gemeindlicher Belange eine gewisse Affinität zur zünftischen Ebene gegeben war. Die religiöse Orientierung der Führungsschicht folgte aber einem anderen Muster: Die "Verflechtung" in sozialen Netzwerken von Familie und Verwandtschaft, rechtlicher Interaktion, Wirtschaftskontakten und Nachbarschaft lassen vier wichtige Beziehungsnetze erkennen, die von Inhabern Augsburger Führungsämter ausgingen. Die Fugger wiesen nicht nur eine betont aristokratische Verhaltensweise auf, sie bewahrten auch am geschlossensten die traditionelle Kirchlichkeit. Demgegenüber tendierten die sozialen 'Aufsteiger' um die Familie Hörbrot und das kleine zünftisch-mittelständische Seitz-Netz zum Zwinglianismus, während das lange Zeit dominierende und zahlenmäßig umfangreichste Netz um die altpatrizischen Welser sich zwar lange relativ offen und tolerant verhielt, jedoch insgesamt gegenüber der Reformation aufgeschlossen war. Wenn diese Analyse zu der Einschätzung führt: "Das reformatorische Bekenntnis scheint sich offensichtlich entlang der bestehenden sozialen Beziehungslinien fortzupflanzen" (K. Sieh-Burens), dann war zunächst keine eindeutige Weichenstellung möglich, da sich die Kräftefelder gewissermaßen konkurrierend in Schach hielten.
Die Konsequenzen lassen sich zudem deutlich im städtischen Gefüge bis in die Topographie verfolgen. Fand das Fugger-Netz mit dem Schwerpunkt am Weinmarkt bei St. Moritz und der dortigen Prädikatur sein Zentrum, ergänzt durch den Abt von St. Ulrich, Johann Schrott, und das Dominikanerkloster mit seinem Prior Johannes Faber, so bildete sich um St. Anna im Kaufleuteviertel die lutherische Fraktion im Kontext des Welser- und Hörbrot-Netzes; es trat öffentlich erstmals mit führenden Mitgliedern bei der Hochzeit des Urbanus Rhegius 1525 in Erscheinung. Bei den Barfüßern wird mit Michael Keller wiederum die Breitenwirkung der Zwinglianer im Handwerkerviertel greifbar, die auf die Jakobervorstadt ausstrahlte, aber bald auch bei Hl. Kreuz und St. Georg in der Frauenvorstadt die unteren und mittleren Bevölkerungsschichten erfaßte.
Die religionspolitische Neutralität des Rates in den frühen 20er Jahren findet in dieser Struktur ebenso eine Erklärung wie umgekehrt die Ausbreitung der Reformation. Die Oligarchisierung des Rates erwies sich aber auch als gemeinsame Klammer gegen mögliche sozialpolitische Implikationen, wie sie im August 1524 im Schilling-Aufstand und im Bauernkrieg 1525 aufgebrochen waren. Immerhin hatte der Rat mit der Almosenordnung bereits 1522 ein System der sozialen Fürsorge etabliert, das die Spannungen partiell auffangen, gleichzeitig aber auch als erste reformatorische Maßnahme verstanden werden konnte: Sechs Almosenherren - ausschließlich Anhänger der evangelischen Bewegung - sammelten Gelder und erhielten Legate, führten die Armenliste und reichten Spenden.
Die Klammer der Oligarchisierung war nicht zuletzt wirtschaftspolitisch bedingt. Die gemeinsame Interessenlage in den engen Geschäftsverbindungen mit den Habsburgern wirkte in allen drei großen Netzen der Fugger, Welser und Hörbrot, und sie realisierte sich nicht zuletzt in der sogenannten 'Monopolien'-Frage, den Angriffen auf die beherrschende Marktstellung der großen Handelsgesellschaften, die reichspolitisch gerade in den 20er Jahren geführt wurden und die man schließlich gemeinsam mit Peutingers Hilfe abwehren konnte. Zudem veranlaßte die enge Verbindung mit dem habsburgischen Kaiser als oberstem Stadtherrn den Rat offenbar, alles zu unterlassen, was den Status der Kommune gefährden konnte, zumal Augsburg mit dem Herzogtum Bayern und dem Hochstift Augsburg (samt der von Österreich verpfändeten Markgrafschaft Burgau) von altgläubigen Territorien umgeben war. Auf dieses Umland der Stadt war die Bürgerschaft ihrerseits zur Versorgung mit Nahrungsmitteln und Rohstoffen angewiesen.
Diese bereits vor der Reformation angelegten Koordinaten blieben in den 20er Jahren und darüber hinaus wirksam. Sie mündeten in den berühmten sogenannten 'mittleren Weg', den Peutinger propagierte (H. Lutz) und den die Führungsfiguren trugen, auch wenn sie unterschiedlichen religiösen Bewegungen zugehörten oder mit ihnen sympathisierten. Deshalb hielt sich Augsburg noch bei den großen reichspolitischen Entscheidungen zwischen 1526 und 1530 auffallend zurück. Nachdem der erste Reichstag von Speyer 1526 die Religionsfrage weitgehend in die Hand der Stände gelegt hatte - bis zum Konzil sollten sie sich so verhalten, "wie ein jedes solches gegenüber Gott und der kaiserlichen Majestät hoffe und vertraue zu verantworten" -, war Augsburg lediglich in einen Sonderbund mit Nürnberg und Ulm getreten. Selbst als die Konfrontation auf dem zweiten Speyerer Reichstag 1529 nicht mehr zu vermeiden war, schloß sich der Rat nicht der berühmten Protestation der evangelischen Stände an, sondern akzeptierte den Reichstagsabschied, der die Aufrechterhaltung des alten kirchlichen Systems zum Ziel hatte. Man versuchte, "die prohabsburgische Interessenrichtung, die ökonomisch und politisch begründet war, mit einer evolutionären Änderung der kirchlichen Mißstände und einer Teilrezeption der reformatorischen Anliegen zu vereinbaren" (H. Lutz).
Konsequent verfolgte der Rat diese Linie auch auf dem Augsburger Reichstag von 1530. Zunächst wollte er sich weder der von Melanchthon bewußt zurückhaltend formulierten 'Confessio Augustana' anschließen, geschweige denn der oberdeutschen 'Tetrapolitana' oder der katholischen 'Confutatio'. Da der Kaiser nach dem Reichstagsabschied vom 22. September zugunsten der alten Kirche jedoch zu einem klaren Votum drängte, übergaben die Bürgermeister am 26. Oktober den Entscheid: Man wolle Gehorsam gegenüber Kaiser und Reich in allen weltlichen Dingen zeigen, bezüglich der Glaubensfrage aber könne man den Abschied nicht annehmen. Dieser Anschluß an die evangelischen Reichsstände und die Abkehr von der bisherigen "Neutralitätspolitik" des mittleren Weges war allerdings erst nach mehrmaliger Einberufung des Großen Rates erfolgt, womit sich das städtische Führungsgremium des Konsenses der breiten Mehrheit versicherte. Doch brach der Rat die Beziehungen zu Kaiser und König nicht ab und variierte somit seine bisherige Politik zu einer "Doppelstrategie" (H. Lutz).
Daß diese vorsichtige Haltung letztlich doch zugunsten einer bedingt reformatorischen Option aufgegeben wurde, beruhte sicher zu einem erheblichen Teil auf der innerstädtischen Kräfteverschiebung. Trotz restriktiver Maßnahmen Karls V. anläßlich des Reichstages war die von der Mehrheit in der Stadtbevölkerung getragene Befürwortung des neuen Glaubens auf das städtische Regiment übergesprungen. Mit den beiden Altbürgermeistern Ulrich Rehlinger und Anton Bimmel trugen zwei Zwinglianer sowie mit den regierenden Bürgermeistern Hieronymus Imhof und Georg Vetter zwei Lutheraner die Verantwortung, die nun zusammen mit den einflußreichen Zunftmeistern Mang Seitz und Stefan Eiselin an eine Umorientierung denken konnten. Allerdings vermied man vorläufig das eindeutige Einschwenken auf das protestantische Bündnis, das sich 1531 in Schmalkalden zusammenfand.
Die 'Ratsreformation' (1534/37 - 1546)
Daß Augsburg dem lutherisch geprägten Schmalkaldischen Bund noch nicht beitrat, lag auch daran, daß seine innere religiöse Situation noch keineswegs geklärt war und die Stadt deshalb als unzuverlässiger Partner galt. Offenbar wurde eine Kräfteverschiebung zugunsten der von Straßburg ausgehenden oberdeutschen Ausformung des Bekenntnisses in der Berufungspolitik der Prädikanten und Juristen: Nachdem Frosch und Agricola die Stadt verlassen hatten, fehlte es der lutherischen Richtung an einer herausragenden Führungspersönlichkeit; lediglich Kaspar Huber und Michael Weinmeier vertraten ihre Position. Demgegenüber war eine neue Garde von Prädikanten berufen worden, deren Orientierung an Martin Bucer, dem führenden Theologen in Straßburg, ein neues Profil versprach. Vor allem Wolfgang Musculus bei Hl. Kreuz und Bonifatius Wolfart bei St. Anna verstärkten zusammen mit Sebastian Maier bei St. Georg und Theobald Niger bei St. Ulrich die bisher von Michael Keller bei den Barfüßern gehaltene zwinglianisch-oberdeutsche Richtung entscheidend. In "einer engen Kooperation der reformatorischen Teile der verschiedenen Netze innerhalb der Oligarchie" vollzog der Rat auch die "gezielte Personalpolitik in der Administration" (K. Sieh-Burens). Neben dem bereits 1528 angestellten und zunehmend einflußreichen Arzt Dr. Gereon Sailer, einem entschiedenen Zwinglianer, relativierten die neuen Juristen Johannes Hagk und Balthasar Langnauer die jahrzehntelange Dominanz von Konrad Peutinger; ihnen folgten weitere Anhänger der Reformation (Konrad Hel 1531; Claudius Pius Peutinger 1534; Lukas Ulstätt 1535; Georg Fröhlich 1536), und 1533 konstituierte der Rat zudem einen Ausschuß, der die Reformation vollziehen sollte.
Dem Drängen dieser reformatorisch gesinnten Gruppe und ihrer Prädikanten wollte der Rat jedoch nur nachgeben, wenn seine Berechtigung zur Reformation abgesichert war. In einer Reihe von Gutachten seiner maßgeblichen Juristen, ergänzt durch auswärtige, ließ er sich seine Kompetenz bestätigen - Peutinger sprach sich bezeichnenderweise dagegen aus. Da aber Verhandlungen mit Bischof Christoph von Stadion in der Hauptsache scheiterten, begnügte sich der Rat zunächst damit, den Katholiken Prozessionen, Wallfahrten und Umgänge in der Stadt zu untersagen. Erst am 22. Juli 1534 folgte der erste fundamentale Schritt: Mit Mehrheitsbeschluß des Großen Rates wurde die Predigt den vom Rat installierten Prädikanten vorbehalten, der katholische Gottesdienst auf die acht Kirchen der Stifte eingeschränkt, der Besitz der Zechen aus den Kirchenvermögen ausgeschieden, die Stiftungskapitalien dem Almosensäckel zugewiesen, kleinere Nebenkirchen und Klosterkirchen geschlossen.
Mit diesem Religionsmandat nahm der Rat erstmals formal die Kirchenhoheit in der Stadt in Anspruch. Die Neuordnung des Kirchenwesens erfolgte ganz im straßburgischen Sinne - Bucer weilte seit 1534 jährlich längere Zeit in der Stadt. Die Installierung von fünf Kirchenpröpsten als Aufsichtsorgane über die Gemeinden, die Unterwerfung der Prädikanten als Bürger unter die Hoheit des Rates, die Verfügungsgewalt über Besitz und Vermögen der nichtbischöflichen Kirchen und Klöster dokumentieren diesen Zugriff. Freilich ließ sich eine konfessionelle Einheitlichkeit in der Stadt nicht vollständig durchsetzen, da 1535 der wittenbergisch geprägte Johann Forster bei St. Johannis am Dom zum Zuge kam. Immerhin konnte Bucer erreichen, daß Augsburg der Wittenberger Konkordie vom Mai 1536, dem Kompromiß zwischen der sächsischen und der oberdeutschen Abendmahlsauffassung, beitrat; am 20. Januar 1536 fand der Rat auch den Weg in den Schmalkaldischen Bund, der politische Rückendekkung versprach für den noch ausstehenden letzten Schritt, aus Augsburg eine rein evangelische Stadt zu machen.
Am 17. Januar 1537 war es erneut der Große Rat, der die völlige Beseitigung der "papistischen Abgötterey" in die Wege leitete: die Auflösung aller noch vorhandenen Klöster und Einzug des gesamten, auch des ländlichen Grundbesitzes sowie die Zwangseinbürgerung aller Geistlicher, die es nicht vorzogen, wegzuziehen. Die Messe war nun gänzlich untersagt, der zwinglianischen Bilderfeindlichkeit wurde nahezu freier Lauf gelassen. Allerdings nahm man in Kauf, daß die noch intakten geistlichen Korporationen ins Exil, in der Regel auf ihre Besitzungen, auswichen: das Domkapitel nach Dillingen zum bischöflichen Zentrum, ebenso Hl. Kreuz und St. Ursula; St. Georg nach Schloß Guggenberg bei Schwabmünchen; St. Moritz nach Landsberg; St. Ulrich nach Unterwittelsbach; St. Stephan nach Höchstädt. Einige Kirchen wie St. Martin, St. Nikolaus, Hl. Geist und eine Reihe von Kapellen wurden geschlossen oder abgebrochen; die Terziarinnenklöster St. Martin, St. Margareth und Horbruck, dazu St. Nikolaus fielen an die städtische Armenpflege.
Dieser entschiedene Bruch mit der spätmittelalterlichen Kirchlichkeit war die eine Seite, die andere die institutionelle Neugestaltung unter reformatorischen Vorzeichen. Wiederum in enger Zusammenarbeit mit Martin Bucer und damit angelehnt an das Straßburger Vorbild wurde im Juli 1537 die erste Augsburger Kirchenordnung konzipiert, die organisatorisch an die bereits seit 1535 etablierten Verhältnisse anknüpfte: Die Prädikanten mit ihren Helfern bildeten den Kirchenkonvent zusammen mit je zwei Vertretern der Kirchenpröpste, die vom Rat bestimmt wurden, dazu den fünf Pfarrpröpsten aus den Gemeinden. Er unterstand aber eindeutig dem Rat, ohne selbst eine hierarchische Spitzenposition auf Dauer - etwa einen Superintendenten - auszubilden. Das Feiertagsmandat vom 22. Juli, die umfassende Zucht- und Polizeiordnung vom 14. August, die dem Rat mit sechs Zuchtherren die Kontrolle über die sittliche Lebensführung einräumte, das am 13. September etablierte Ehegericht - ebenfalls ohne die Beiziehung der Geistlichen vorzusehen - sowie schließlich die Einrichtung der Zensurbehörde ließen insgesamt keinen Zweifel daran, daß der Rat die Fäden des Kirchenregiments in der Hand behielt. Er ordnete diesem System auch das gesamte Schulwesen zu, denn sowohl die privaten deutschen Schulen wie die ehemaligen Pfarrschulen wurden nun den städtischen Scholarchen unterstellt, zudem die Bibliotheken der aufgelösten Klöster dem erst 1531 gegründeten Gymnasium St. Anna eingegliedert. Zwar verzichtete der Rat, um offene Konflikte zu vermeiden, auf die regelmäßige Visitation und die Einführung des Kirchenbannes als Kontrollinstrumente; die öffentliche Moral behielt er trotzdem weit mehr im Auge als bisher.
Neben diesen organisatorischen Maßnahmen zeigt ein weiterer Vorgang den gesellschaftspolitischen Stellenwert der umfassenden Neuorientierung: die Patriziervermehrung von 1538. Auch wenn sie schon allein deshalb nötig war, weil die in der Verfassung dem Patriziat vorbehaltenen Stellen wegen der schwindenden Zahl kaum mehr besetzt werden konnten, so wog bei der Auswahl der nun neu aufgenommenen 38 Familien das evangelische Bekenntnis zumindest genauso schwer wie die Stellung in der städtischen Gesellschaft. Neben Peutinger, den Fuggern und den Baumgartnern waren es überwiegend Protestanten und Angehörige der Ratsführung, vor allem aus dem Welser-Netz, die zum Zuge kamen.
Die Durchführung der Reformation schien somit gelungen, auch unter den schwierigen Umständen einer geistlichen Stadt. Zwar konnte sich eine durchaus nicht unbeträchtliche altgläubige Minderheit halten, doch ihr Rückhalt in der kirchlichen Struktur der Stadt war seit 1537 verloren gegangen; lediglich einige Nonnen bei St. Nikolaus und St. Katharina verweigerten sich dem Ratsgebot. Die Rolle des Wortführers des Reformationsprozesses war Wolfgang Musculus zugefallen. Die Berufung einer neuen Generation von Prädikanten untermauerte dessen 'oberdeutsche' Option: Bernhard Occhino, Johann Herold, Thomas Naogeorg, Johann Haller folgten 1543/44 dieser Position, während Forster 1538 die Stadt verließ, so daß die unterschiedlichen Markierungen im Spannungsfeld von Luthertum und oberdeutscher Ausrichtung zwar bestehen blieben, aber doch das Klima in den 40er Jahren nach und nach in ruhigere Bahnen geriet.
Reichte die regional- und reichspolitische Einbindung der Stadt aus, die religiöse Entscheidung abzusichern? Solange Karl V. eine umfassende Lösung der Religionsfrage anstrebte, blieb der Rückhalt im Schmalkaldischen Bund zweifellos ein maßgeblicher Faktor. Die regionalpolitische Konstellation erwies sich als schwierig, denn der Rat wollte vor allem ein freundschaftliches Verhältnis zum Bischof und zum Herzog von Bayern aufbauen. Zwar gehörte Christoph von Stadion nicht zu den militanten Reformationsgegnern, auch wenn er an der Verteidigung der traditionellen Kirchlichkeit keinen Zweifel ließ. Das sollte sich ändern, als mit Otto Truchseß von Waldburg 1543 eine reichspolitisch gewichtige und papsttreue Figur die Nachfolge antrat und eine betont gegenreformatorische Position einnahm. Auch das Herzogtum Bayern erschien Augsburg als potentielle Bedrohung, da es als Führungsmacht der 1538 gegründeten 'Christlichen Einigung' - einer Gegengründung zu Schmalkalden - auf die umfassende Rekatholisierung zielte, so daß die Augsburger Politik lediglich den antihabsburgischen Affekt der Wittelsbacher ausspielen konnte. Vorsichtshalber bemühte der Rat sich schon seit 1538 um den Festungsbau und die Aufstellung militärischer Kontingente. Der Dreistädtebund mit Ulm und Nürnberg ließ sich allerdings nicht erweitern und war durch unterschiedliche Vorstellungen belastet, auch wenn er 1542 auf weitere acht Jahre verlängert wurde. Eine gewisse Entlastung versprach wenigstens der Übergang Pfalzgraf Ottheinrichs im benachbarten Fürstentum Pfalz-Neuburg zum Protestantismus 1542. Somit war Augsburg wenigstens nicht isoliert und allein auf die reichsstädtischen Partner der Städtekurie verwiesen.
Die immer deutlicher werdende Zuspitzung im politischen Umfeld der Stadt korrespondiert mit einer merklichen Verschiebung in der personellen Führungselite des städtischen Regiments, die vor allem in der Figur des Kürschner-Zunftmeisters Jakob Hörbrot festzumachen ist. Während die Repräsentanten des katholischen Fugger-Netzes an Einfluß verloren, schob sich im Kleinen Rat seit 1540 in diplomatischen Aktionen die von Hörbrot vertretene Gruppe in den Vordergrund und erreichte 1545 mit seiner Wahl zum Bürgermeister den Kulminationspunkt des Einflusses. Demgegenüber trat die Gruppe um den langjährigen Bürgermeister Mang Seitz, die noch die Einführung der Reformation mitbestimmt hatte, deutlich zurück, und das ohnehin offenere und konstante Welser-Netz ging eine neue Zusammenarbeit mit Hörbrot ein. Auch die damit verbundene Beratergruppe veränderte sich in den 40er Jahren: Stadtschreiber Georg Fröhlich, Stadtarzt Gereon Sailer und Stadthauptmann Sebastian Schertlin von Burtenbach wurden zu Hörbrots wichtigsten Verbündeten. Neue Schaltstellen in der städtischen Administration ergaben sich mit dem Syndikus Dr. Niclaus Mair und vor allen Dingen mit dem Ratsdiener Paul Hektor Mair, während die Kaufleutestube gegenüber dem Patriziat zum "neuen Machtzentrum" aufstieg und der zünftische Mittelstand stärker als bisher über die "politische Plattform" angebunden werden konnte (K. Sieh-Burens).
Vom Schmalkaldischen Krieg zum Religionsfrieden
Die offene Situation in der Reichspolitik stand somit in auffallendem Kontrast zur dezidiert reformatorischen Ausgestaltung der innerstädtischen Ordnung. Stabilität dafür war letzlich nur auf der Ebene der großen Politik zu erzielen, und hier bahnten sich in den 40er Jahren die Weichenstellungen an. Die Grundsatzfrage einer Konzilsentscheidung - von allen Seiten immer wieder als letzte Instanz angemahnt, wenn man darunter auch sehr Verschiedenartiges verstand - war unter Papst Paul III. mit der Eröffnung des Konzils 1543 in Trient im Sinne einer "Erneuerung des Katholizismus als konfessioneller Teilkirche" (H. Lutz) vorbereitet. Aber auch die Haltung Karls V., der noch 1540/41 die 'Concordia' angestrebt hatte, wandelte sich zusehends in Richtung auf eine militärische Brechung des protestantischen Widerstandes.
Die Politik Augsburgs im Kontext der Reichsstädte und des Schmalkaldischen Bündnisses erkannte den heraufziehenden Konflikt mit dem Kaiser, doch "die politische Freiheit der Städte und der Schutz der evangelischen Wahrheit wurden identisch gesetzt" (H. Lutz). Letztlich überwog die Bereitschaft zum militärischen Kampf die Bedenken, sich damit eindeutig gegen den kaiserlichen Stadtherrn zu stellen.
Freilich eröffneten sich damit auch bisher nicht realisierbare Perspektiven. Innerhalb ihrer Mauern bot sich die Gelegenheit, die 'exterritorialen' Rechtskreise der kirchlichen Immunitäten endgültig einzugliedern, außerhalb der Stadt ergaben sich Chancen für eine territoriale wie reformatorische Expansion. Schon im Juli 1539 hatten die Kirchenpröpste und Prädikanten in einer Eingabe an den Rat unter anderem die Ausdehnung der Reformation auf das Land gefordert, waren aber mit dem Hinweis auf den Mangel an Landeshoheit abgewiesen worden. Auch die Möglichkeit, die eigene oberdeutsche Variante der Reformation in der Region breiter zu verankern, war nicht einfach zu realisieren. Zwar konnte der Rat mit Michael Keller in Kaufbeuren den Schwenckfelder Spiritualismus eindämmen, aber im Fall Donauwörth hatte sich 1545 ergeben, daß Wolfgang Musculus, als er dort die Augsburger Kirchenordnung einzuführen gedachte, am Donauwörther Rat scheiterte, der letztlich die nürnberg-brandenburgische Kirchenordnung favorisierte.
Derartige Probleme ließen sich womöglich mit einem Schlag lösen, wenn man den militärischen Weg beschritt und damit den städtischen Einflußraum ausweitete - und die politische Führung griff diese Aussichten nun zielstrebig auf. Wenn der Rat auch gleichzeitig riskierte, daß die Gruppe der einflußreichen Großkaufleute (Fugger, Baumgartner, Teile der Familien Welser, Rehlinger, Herwart und andere) der Stadt den Rücken kehrte und den Kaiser mit Kriegskrediten unterstützte, ließ sich zumindest eine konfessionelle Einheitlichkeit herstellen. So erklärte der Kleine Rat am 1. Juli 1546 den Krieg zu einem Akt der Solidarität, der nicht gegen den Kaiser gerichtet sei.
In der Anfangsphase des Krieges, als die Bundestruppen im Juli unter der Führung des Sebastian Schertlin von Burtenbach erfolgreich in Schwaben operierten - die Banner des städtischen Kontingents in den Augsburger Farben trugen die Inschriften "Verbum domini manet in eternum" und "pugna pro patria" -, hob der Rat mit einer "systematischen Okkupations- und Säkularisationspolitik" (H. Lutz) die Territorialpolitik auf eine neue Ebene, knüpfte dabei an die im Spätmittelalter ausgebildete städtische Einflußzone an und koordinierte seine Ziele in klarer räumlicher Abgrenzung mit gleichgerichteten Interessen Ulms und der oberschwäbischen Reichsstädte. Daß der Rat zum einen die in der Stadt gelegenen Stifte und Klöster völlig unterwarf und ihre Landgüter an sich zog, lag in der Konsequenz des bisherigen religionspolitischen Prozesses. Zum anderen richtete er das Augenmerk auf das Füssener Oberland - die Haupthandelsachse Augsburgs - sowie auf die Markgrafschaft Burgau - das engere Versorgungsgebiet, das Umland der Stadt. Nach der Huldigung der fremden Hintersassen setzte er als vorläufige Verwaltung eine dreiköpfige Kommission von Ratsherren für den mittleren Teil des Hochstifts ein.
Der 'Export' der Reformation folgte diesen beiden Linien. Bereits im Juli bemühte sich Schertlin um einen Prädikanten für Füssen und erhielt Johann Flinner, der seit 1540 bei Hl. Kreuz tätig war. In Burtenbach hatte bereits am 7. Mai 1546 Sebastian Schertlin als Ortsherr die Reformation eingeführt und vom Rat Johann Hilbert, einen Helfer des Musculus, ausgeliehen bekommen. Anschließend erging an alle Bürger und Einwohner die Aufforderung, in den ihnen unterstehenden Dörfern die Messe und die "Babistische leer" abzustellen und durch eine solche der Augsburgischen Konfession zu ersetzen. Abgesehen von der Weigerung der Fugger scheint sich ein gewisser Erfolg eingestellt zu haben, denn mit Ulrich Lederlin in Grimoldsried und Georg Mayr in Lützelburg wurden wenigstens zwei evangelische Prädikanten installiert; in einigen weiteren Dörfern waren katholische Pfarrer bereit überzutreten; darüber hinaus gelang es, Geistliche aus Zürich und Basel zu gewinnen, die zusammen mit den übrigen Augsburgern die sonstigen neuen Gemeinden versorgen sollten.
Gezielte Maßnahmen galten den Klöstern und Stiften im Umland der Stadt, die als Schlüsselstellen besetzt und dann unter Leitung des Ratsbeauftragten Dr. Niclaus Mair in Besitz genommen und reformiert werden sollten. In Oberschönenfeld, dessen Nonnen zusammen mit der Äbtissin Ursula von Tanneck schon im Juli nach Landsberg geflüchtet waren und sich weigerten zurückzukehren, initiierte der Rat zumindest eine eigene Verwaltung. In andere Stifte delegierte er zwei Geistliche: Wolfgang Musculus sollte in Wettenhausen wirken, Hans Heinrich Held in Edelstetten.
Die weitreichenden Perspektiven des Sommers 1546 ließen sich freilich nicht lange aufrechterhalten, da der militärische Umschwung im Herbst mit dem Donaufeldzug die Niederlage der Schmalkaldener heraufbeschwor. Um so einschneidender waren die Folgen für die Stadt, eingeleitet durch den Fußfall einer städtischen Delegation am 29. Januar 1547 vor dem Kaiser in Ulm. Das einflußreiche Dreigestirn der Berater hatte vorläufig ausgedient: Schertlin mußte die Stadt verlassen, Sailer schied aus den diplomatischen Diensten aus, Fröhlich wurde nach Kaufbeuren abgeschoben. Nachdem Karl V. im Frühjahr 1547 den Krieg siegreich beendet hatte, vollzog sich auf dem anschließenden 'Geharnischten Reichstag' 1547/48 in Augsburg die politische Neuordnung im Reich.
Für die Stadt Augsburg bedeutete das eine dreifache fundamentale Revision der Verhältnisse. Als erster Schritt kam unter dem Druck des Kaisers zugunsten seines reichspolitisch bedeutsamen Parteigängers Kardinal Otto Truchseß von Waldburg der Restitutionsvertrag zwischen dem Bischof und der Stadt vom 2. August 1548 zustande, der zusammen mit den nachfolgenden Abmachungen nicht nur den Bischof wieder in seine alten Rechte einsetzte, sondern auch die Rückkehr des Klerus aus dem Exil und die Wiederherstellung der okkupierten bzw. geschlossenen Klöster und Stiftskomplexe ermöglichte. Nach dem Einzug von Bischof samt Domkapitel am 18. Juli 1547 hatte am 5. August die erste Messe im Dom stattgefunden, die Kirchen von St. Katharina und bei den Dominikanern sowie die Stiftsschulen am Dom und bei St. Ulrich wurden wieder geöffnet. Freilich ließ sich die vorreformatorische Struktur nicht völlig wiederherstellen, da die aufgelösten Bettelordenskonvente nicht wieder belebt werden konnten. Während die evangelisch gewordenen Teile der Frauenkonvente von Maria Stern und St. Katharina sich noch kurze Zeit halten konnten, wurde St. Katharina selbst rekatholisiert. Die Neuverteilung der Kirchen erforderte zähe Verhandlungen, ehe die evangelische Bevölkerungsmehrheit wenigstens die ehemaligen Klosterkirchen von St. Anna und den Barfüßern sowie als deren Tochterkirche die St.-Jakobs-Kapelle, sodann die Predigthäuser von St. Ulrich, Hl. Kreuz und St. Georg und die Pfarrstelle am Spital zugestanden erhielt. Dieser massive Eingriff durchbrach nicht nur die bislang erreichte protestantische Einheitlichkeit der Stadt, sondern kehrte die Gewichte sogar zugunsten der katholischen Minderheit um.
Am nächsten Tag folgte die politische Neuordnung der Stadt durch den Kaiser. Ausgehend von der Auffassung, daß die Politik der vergangenen Jahre ein Ergebnis der überwiegend zünftischen Einflußnahme gewesen sei, wurde die seit 1368 bestehende Verfassung beseitigt: Der kaiserliche Rat und Reichsvizekanzler Georg Sigmund Seld setzte am Morgen des 3. August 1548 den amtierenden Rat ab und ernannte einen neuen. Die Verfassungsnorm folgte dem Ziel, die Oligarchie des alten Patriziats und der potenten Kaufleute zu fixieren und gleichzeitig die katholische Fraktion zu stärken: Von den 41 (seit 1555 aufgestockt auf 45) Angehörigen des Kleinen Rates stellten die Patrizier 31, die 'Mehrer' - eine Zwischenschicht von Familien, die mit Patriziern versippt waren - drei (1555: 4), die Kaufleute einen (1555: 3) und nur sechs (1555: 7) die 'Gemeinde'; 20 waren katholisch und davon 18 Patrizier. Lediglich im Großen Rat, der erst am 14. Januar 1549 besetzt wurde, waren mit seinen 300 Mitgliedern neben den 44 Geschlechtern, 36 Mehrern, 80 Kaufleuten noch 140 Mitglieder der Handwerkerschaften vorgesehen, doch fielen seine Befugnisse sehr bescheiden aus. An der Spitze des Regiments standen nun (wie vor 1368) zwei Stadtpfleger, je ein Katholik und ein Protestant, die nun zweitrangigen sechs Bürgermeister hatten bei eingeschränkten Kompetenzen je vier Monate zu amtieren. Sie bildeten zusammen mit den fünf 'Geheimen' den Geheimen Rat - wiederum vorrangig aus Mitgliedern der katholischen Oberschicht. Die Zünfte wurden als politische Körperschaften aufgehoben und auf rein handwerkliche Innungen reduziert, die der Rat über sogenannte 'Vorgeher' kontrollierte; von den Zunfthäusern blieben lediglich die Metzg, das Bäcker-, Fischer- und Weberhaus erhalten, standen nun aber unter städtischer Regie.
Die unmittelbaren personellen Folgerungen zeigten sich bereits an der Auswahl der neuen Führungsfiguren. In die zentralen Ämter gelangten vorwiegend Repräsentanten des Fugger- und des Welser-Netzes. Vor allem die Fugger wurden zum "entscheidenden, das neue politische System tragenden Faktor", während die Welser ihre "traditionelle Führungsposition" behielten, aber deutlich bikonfessionell ausgerichtet blieben; die Hörbrot- und Seitz-Gruppe hatte nur mehr marginale Bedeutung (K. Sieh-Burens).
Der dritte Aspekt betraf die konfessionelle Frage. Der Reichstagsabschied vom 30. Juni 1548, der den evangelischen Ständen das sogenannte 'Interim' aufzwang, hatte zwar den Charakter der Vorläufigkeit bis zur endgültigen Klärung der Religionsfrage auf dem Konzil, doch ergaben sich langfristig weitreichende Auswirkungen auf die Pfarrgemeinden in der Stadt. Tendierte deren konfessioneller Status im Spannungsfeld von lutherischer und zwinglianischer Position bislang eher zu einem eigenständigen oberdeutschen Bekenntnis, so kam es nun auf Grund der Durchführung des Interims zu einem Verschwimmen der Konturen: Das Interim gestattete den Evangelischen lediglich die Priesterehe und den Kelch, während der Gottesdienst wie auch die Lehraussagen sich am katholischen Verständnis zu orientieren hatten.
Die Prädikanten - soweit sie nicht wie Musculus sofort den Abschied einreichten oder wie Johannes Karg kurze Zeit später die Entlassung riskierten - ließen sich teilweise äußerlich auf die Richtlinien ein, verweigerten aber mehrheitlich die vom Rat angeordnete Annahme der inhaltlichen Elemente; doch lediglich bei St. Anna und den Barfüßern wurde das Interim praktiziert, bei den Predigthäusern beließ man es beim alten Herkommen, um Unruhen zu vermeiden. Während die Predigt der evangelischen Geistlichen weiterlief, waren Taufe und Abendmahl von ehemals geweihten Priestern, den Interimsgeistlichen, abzuhalten. Der Rat lavierte vorsichtig zwischen dem Druck des Kaisers bzw. den Klagen Bischof Ottos wegen Nichterfüllung des Interims einerseits und der Verweigerung der nach wie vor großteils oberdeutschen Prädikanten andererseits, die in den Gemeinden Rückhalt fanden. Die Zuspitzung des Konflikts während des Reichstags von 1550/51, der zur Ausweisung fast aller Prädikanten sowie von 14 Schulmeistern des Gymnasiums bei St. Anna führte und die Entlassung der Zechpfleger als Repräsentanten der Pfarrgemeinden einschloß, schuf zusätzliche Spannungen.
Dieser dreifache Eingriff von 'außen', durch Kaiser und Bischof, veränderte die Situation in Augsburg grundlegend: Gemessen an dem zehnjährigen Aufbau eines reformatorischen Konzepts der städtischen Lebenswelt bedeutete diese neue Struktur einen tiefgreifenden Rückschlag, gemessen an der Tradition der Vorreformation eine zumindest teilweise, nämlich kirchliche und reichsrechtliche Wiederherstellung der alten Verhältnisse. Das kurze Zwischenspiel mit dem Fürstenaufstand 1552 schien das Rad noch einmal zugunsten der Protestanten zurückzudrehen, doch anschließend erfolgte die Rückkehr zum System von 1548/49. Der Passauer Vertrag von 1552 zeichnete schließlich das Nebeneinander der Konfessionen vor, das im Augsburger Religionsfrieden vom 25. September 1555 realisiert wurde. Er brachte die reichsrechtliche Anerkennung der Augsburger Konfession und damit auch eine innerstädtische Klärung: Zum einen schrieb er die Bikonfessionalität fest, da nach Paragraph 27, dem sogenannten 'Städteartikel', Augsburg zu den Reichsstädten gehörte, in denen beide Kirchen (gemäß dem Vertrag von 1548) nebeneinander bestehen sollten - das hieß aber auch, daß die "Identität von Bürgergemeinde und kirchlicher Gemeinde endgültig aufgehoben" war (P. Warmbrunn). Zum anderen erfolgte jetzt die endgültige Orientierung an der lutherischen Variante der Reformation, da nur die Augsburger Konfession Anerkennung fand. Melanchthon vermittelte die ersten sächsischen Theologen, der lutherische Katechismus wurde 1559 bei St. Anna eingeführt. Damit war der Weg zur Parität geebnet, der die Zukunft bestimmen sollte.
Immerhin gelang es dem Rat, die obrigkeitliche Kontrolle über das evangelische Kirchenwesen der Reichsstadt in der Hand zu behalten: die (ab 1552 anstelle der ehemaligen Kirchenpröpste eingesetzten) zwei (später drei) Kirchenpfleger unterstanden ihm ebenso, wie er auch die Zechpfleger der Pfarrgemeinden nun selbst einsetzte; das Ehegericht hatte er allerdings wieder an den Bischof abgeben müssen. Außenpolitisch verstärkte er die Kooperation nicht nur mit Habsburg, sondern auch mit dem Herzogtum Bayern in einer neuen Bündnispolitik. Alles das schließt selbstverständlich nicht aus, daß diese Politik des Ausgleichs erheblichen Belastungsproben unterworfen war - und sich im weiteren Verlauf des 16. Jahrhunderts in neuen Konfrontationen eines konfessionellen Gegeneinanders zuspitzte.