Mark Häberlein: Vom Augsburger Religionsfrieden bis zum Ende der Reichsfreiheit
von Mark Häberlein
Augsburg im konfessionellen Zeitalter (1555-1618)
Patrizisches Regiment und Bikonfessionalität als Strukturmerkmale
Mit der von Kaiser Karl V. 1548 verfügten Aufhebung der Zunftverfassung, der Einsetzung eines 41-köpfigen, mehrheitlich mit Patriziern besetzten Rates, der 1555 durch die Aufnahme von vier Nichtpatriziern auf 45 Mitglieder aufgestockt wurde, sowie durch die Anerkennung der katholischen wie der lutherischen Religion im Augsburger Religionsfrieden 1555 waren zwei Strukturmerkmale vorgegeben, die die Stadt bis zum Ende der Reichsfreiheit zweieinhalb Jahrhunderte später prägten: die Dominanz der Patrizier im Stadtregiment und der bikonfessionelle Charakter der Reichsstadt.
Seit 1555 setzte sich der politisch maßgebliche Kleine Rat aus 31 Patriziern, vier Vertretern der Mehrer (der mit dem Patriziat verschwägerten Familien), drei Angehörigen der Kaufleutestube und sieben Vertretern der 'Gemeinde' zusammen, wie die übrige Bürgerschaft nach der Auflösung der Zünfte 1548 genannt wurde. Daß die Patrizier fast drei Viertel der Sitze einnahmen, bedeutete, daß die gesellschaftliche Gruppe mit dem höchsten sozialen und ständischen Prestige auch die politische Führungsrolle innehatte. Wie bereits zu Zeiten des Zunftregiments vereinigte der Kleine Rat legislative, exekutive und judikative Befugnisse; die frühneuzeitliche Reichsstadt kannte also keine Gewaltenteilung. Das Verhältnis der Konfessionen im Rat war zunächst nicht festgelegt - die Wahlordnung von 1549 bestimmte eher vage, daß Personen, die 'der alten, wahren christlichen Religion am nächsten seyn' (also Katholiken) bevorzugt werden sollten -, sondern war vor allem zwischen 1555 und 1583 steten Veränderungen unterworfen. Zwischen 1555 und 1583 fluktuierte die Zahl der Katholiken im Kleinen Rat zwischen 22 und 26; in den Jahren 1558 und 1570/71 waren die Protestanten im Kleinen Rat sogar in der Mehrheit (23 Sitze gegenüber 22 der Katholiken). Zwischen 1583 und 1597 standen dann stets 26 katholische 19 lutherischen Ratsherren gegenüber, und von 1598 an betrug das Zahlenverhältnis drei Jahrzehnte lang 27 zu 18. Dies bedeutet, daß die Katholiken, die im späteren 16. Jahrhundert nur etwa ein Fünftel der Augsburger Bevölkerung stellten, im Stadtregiment ein Übergewicht hatten.
Bereits nach der Verfassungsänderung Karls V. waren einzelne Patrizierfamilien im Kleinen Rat mit mehreren Mitgliedern vertreten: das Geschlecht der Rehlinger mit fünf, die Fugger und Welser mit je drei Angehörigen. Ein gutes halbes Jahrhundert später, im Jahre 1604, waren unter den 31 patrizischen Ratsherren nicht weniger als acht Rehlinger, vier Welser und drei Fugger. Unter den Welsern und Rehlingern befanden sich sowohl katholische als auch protestantische Familienmitglieder, so daß diese beiden Sippen mit ihren jeweiligen verwandtschaftlichen Netzen gewissermaßen eine Brückenfunktion zwischen den beiden konfessionellen Gruppen in der Stadt einnahmen. Die Fugger hingegen standen eindeutig auf der katholischen Seite. Überhaupt ist im späteren 16. und frühen 17. Jahrhundert allgemein eine deutliche Tendenz zur Konfessionalisierung der städtischen Führungsschicht der Patrizier und Großkaufleute festzustellen, die sich in einer abnehmenden Zahl von konfessionell gemischten Ehen und einer zunehmenden Tendenz zur Festlegung von spezifisch katholischen oder evangelischen Heirats- und Bestattungsformen in Eheverträgen und Testamenten niederschlug.
Generell waren die Ratsherren im späteren 16. und frühen 17. Jahrhundert 'im wesentlichen reiche, mindestens sehr wohlhabende Leute' (B. Roeck). Neben dem Kleinen bestand ein 300 Mitglieder zählender Großer Rat, der zwar in der Regel nur einmal jährlich zusammentrat und keine nennenswerten politischen Entscheidungsbefugnisse hatte; da in ihm die nicht-patrizischen Bevölkerungsgruppen der Kaufmannschaft und der Gemeinde jedoch viel stärker vertreten waren als im Kleinen Rat, stellte er ein wichtiges Bindeglied zwischen Bürgerschaft und Stadtobrigkeit dar und hatte damit eine nicht zu unterschätzende Integrationsfunktion.
Als engerer Ausschuß des Kleinen Rats bildete der siebenköpfige, ausschließlich patrizische Geheime Rat den inneren Führungszirkel der Reichsstadt, der laufende Geschäfte erledigte und auf den Gebieten der Finanz- und Außenpolitik wichtige Vorentscheidungen traf, die dann im Kleinen Rat nur noch bestätigt wurden. Nur die Geheimen Räte konnten zudem in die Ein- und Ausgabenbücher der Stadt Einsicht nehmen und sich damit einen Überblick über die Haushaltslage verschaffen. Den Vorsitz im Kleinen und Geheimen Rat führten die beiden Stadtpfleger, die zugleich die höchsten Repräsentanten der Stadt unter dem patrizischen Regiment waren. Von 1553 bis in die Zeit des Dreißigjährigen Krieges wurde das Stadtpflegeramt von zwei Katholiken ausgeübt, wobei sich auch hier wieder die Dominanz der drei Familien Rehlinger, Welser und Fugger zeigt. Die Rehlinger stellten mit Heinrich (1549-1575), Anton Christoph (1575-1589) und Quirin Rehlinger (1597-1604) vor dem Dreißigjährigen Krieg drei Stadtpfleger, die die Kommune fast ein halbes Jahrhundert lang mitregierten. Die Fugger wurden zwischen 1555 und 1618 von Markus (1576-1585) und Octavian Secundus Fugger (1594-1600), die Welser durch Hans (1585-1597) und Markus Welser (1600-1614) im Stadtpflegeramt repräsentiert.
Gegenüber der Zunftverfassung war das Bürgermeisteramt 1548 deutlich abgewertet worden; die drei patrizischen und drei nicht-patrizischen Bürgermeister übten jedoch wichtige Ordnungs- und Verwaltungsfunktionen aus, und vor allem die Bürgermeister patrizischer Herkunft qualifizierten sich in diesem Amt häufig für höhere Aufgaben im Stadtregiment. Zudem spielte sich hier mit jeweils drei katholischen und evangelischen Bürgermeistern bereits frühzeitig eine numerische Parität ein. Darüber hinaus existierte eine differenzierte Ämterhierarchie, aus der als wichtige Institutionen das Stadtgericht, das Handwerksgericht und das Strafamt im judikativen Bereich, das Baumeister- und Einnehmeramt sowie das Steuer- und Ungeldamt in der Finanzverwaltung, ferner die Zeug- und Proviantämter hervorzuheben sind. Diese städtischen Ämter waren im Gegensatz zur Zeit des Zunftregiments besoldet, und die Patrizier wurden bei der Ämtervergabe durchweg bevorzugt: die 31 patrizischen Ratsherren besetzten etwa 100 Ämterstellen und Pflegen, ihre 14 nicht-patrizischen Kollegen hingegen lediglich 22 Ämter (I. Bátori). Dadurch eröffnete sich vor allem für Patrizier die Möglichkeit, eine reine Ämterlaufbahn einzuschlagen.
Städtischer Haushalt und öffentliche Aufgaben
Mit etwa 45.000 Einwohnern zählte Augsburg am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges zu den größten Städten des Heiligen Römischen Reiches. Wie im Beitrag über die Wirtschaftsgeschichte in diesem Band ausführlicher dargelegt, prägten Prosperität und wirtschaftliche Krisensymptome gleichermaßen das Erscheinungsbild dieser mitteleuropäischen Großstadt um 1600. Die Größe der Stadt und die Armut vieler ihrer Bewohner stellten die städtische Obrigkeit vor vielfältige Aufgaben und schlugen sich auch im Volumen ihres Haushalts nieder.
Im Haushaltsjahr 1606/07 nahmen die reichsstädtischen Einnehmer mehr als 270.000 Gulden ein, von denen über 60 Prozent aus dem vor allem auf Wein und Bier aufgeschlagenen Ungeld, also aus indirekten Steuern, und ein weiteres gutes Viertel aus der Vermögenssteuer resultierten (B. Roeck). Den städtischen Einnahmen von insgesamt knapp 290.000 Gulden standen Ausgaben von schätzungsweise rund 305.000 Gulden, vor allem für das Militärwesen, das städtische Almosen, für öffentliche Baumaßnahmen und die Gehälter städtischer Bediensteter, gegenüber. In den Jahren 1550 bis 1574 wurden durchschnittlich 1260 Almosenempfänger registriert, doch in Krisenjahren wie 1571 erhöhte sich ihre Zahl auf über 3300 Personen, unter denen zahlreiche Witwen und Kinder waren. Gerade die schwere Wirtschaftskrise der frühen 1570er Jahre bildete auch den Anlaß für die Gründung des städtischen Waisenhauses im Jahre 1572.
Die relativ günstige Haushaltslage erlaubte es der Stadt, zwischen 1590 und 1620 ein sehr ambitioniertes Bauprogramm in Angriff zu nehmen, von dem die Bauwerke Elias Holls wie das Rathaus, das Zeughaus, die Stadtmetzg und das Rote Tor sowie die öffentlichen Brunnen noch heute ein eindrucksvolles Zeugnis ablegen (vgl. den Beitrag über Augsburg und die Kunst in diesem Band). Neben der urbanistischen Erneuerung und Umgestaltung, die den Reichtum der Wirtschaftsmetropole auch nach außen hin sichtbar demonstrierte, war dieses Bauprogramm ein zentraler Bestandteil der städtischen Konjunktur- und Beschäftigungspolitik, die vor allem den wirtschaftlich notleidenden Bauhandwerkern zugute kommen sollte. Um 1608 arbeiteten unter der Leitung des Stadtwerkmeisters Elias Holl über 550 Handwerker und Tagelöhner. Dafür hatte Holl einen Etat von 10.000 Gulden jährlich zur Verfügung, der während des Rathausbaus (1615-1620) zeitweilig auf bis zu 15.000 Gulden anstieg. Obwohl die Handwerker zweifellos von den Baumaßnahmen profitierten, scheint sich langfristig an ihrer Situation wenig geändert zu haben.
Die Stellung Augsburgs im Reich
In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zeigte sich mit zunehmender Deutlichkeit, daß die Reichsstadt Augsburg in vielfältiger Weise in ein Kräftefeld eingebunden war, das vom Kaiser als oberstem Stadtherrn - der ja 1548 erst seine diesbezügliche Macht unter Beweis gestellt hatte -, den Institutionen des Reiches (Reichstag, Reichskammergericht) und des Schwäbischen Kreises sowie dem Einfluß mächtiger katholischer Nachbarn wie dem Herzogtum Bayern, dem Hochstift Augsburg und dem Haus Habsburg als Inhaber der Markgrafschaft Burgau geprägt war. Obwohl gerade auf der Ebene des Heiligen Römischen Reiches zwischen 1555 und 1618 ein relativer Bedeutungsverlust der Reichsstadt gegenüber den erstarkenden Territorialstaaten festzustellen ist, spielte die Stadt im System der Reichsfinanzen sowie als Austragungsort mehrerer Reichstage nach wie vor eine nicht unerhebliche Rolle.
Augsburg war eine der fünf Legstädte des Reiches, in denen die Reichssteuern zur Türkenhilfe zusammenflossen. Zwischen 1594 und 1602 wurden beispielsweise über 800.000 Gulden an Reichssteuern eingenommen. Da die Gelder eher schleppend eingingen und faktisch ein großer Teil von der Stadt vorgeschossen werden mußte, verband sich mit der Rolle der Legstadt auch die Funktion Augsburgs als Kreditgeber des Kaisers. Zudem war die Stadt Sitz des Reichspfennigmeisteramts, das wiederholt von Männern aus bzw. mit engen Verbindungen nach Augsburg wie Georg Ilsung, Zacharias Geizkofler (1589-1604) und Matthäus Welser (1604-1609) bekleidet wurde.
Die Reichstage, die 1559, 1566 und 1582 in Augsburg stattfanden, waren äußerlich glanzvolle Veranstaltungen; die Bedeutung des prunkvollen Zeremoniells erschöpfte sich nicht in Äußerlichkeiten, sondern lag vor allem in der Repräsentation kaiserlicher Herrschaft und der Demonstration der Einheit des Reiches. Politisch waren diese drei Augsburger Reichstage geprägt von den Fragen der reichsständischen Unterstützung des Kaisers gegen die Türken an der Südostgrenze des Habsburgerreiches, die zunehmende konfessionelle Polarisierung zwischen katholischen und evangelischen Ständen und die sich allmählich herauskristallisierende eigenständige Rolle einer von der Kurpfalz angeführten calvinistischen Partei. Auf dem Reichstag von 1582 kam es überdies zum Konflikt zwischen Kaiser Rudolf II. und den Reichsstädten wegen des kaiserlichen Vorgehens gegen die protestantischen Räte der Stadt Aachen. Die Reichsstädte verweigerten deshalb zunächst die Bewilligung der Reichssteuern, gaben in separaten Verhandlungen nach dem Reichstag aber nach. In diesem Nachgeben zeigt sich deutlich die schwache Stellung der Reichsstädte im Reichsverband des späteren 16. Jahrhunderts, deren ohnehin geringes Mitspracherecht durch ihre Uneinigkeit untereinander noch weiter ausgehöhlt wurde.
Neben der Einbindung in das Heilige Römische Reich und den Schwäbischen Reichskreis ist Augsburgs Haltung gegenüber gesonderten reichsständischen Zusammenschlüssen zu erwähnen. Auf Initiative des Stadtpflegers Heinrich Rehlinger sowie Hans Jakob Fuggers trat Augsburg 1556 dem Landsberger Bund bei, einem Bündnis verschiedener Reichsstände zur Erhaltung des Land- und Religionsfriedens nach dem Vorbild des Schwäbischen Bundes, dem auch König Ferdinand, der bayerische Herzog und der Salzburger Fürstbischof angehörten. Die bikonfessionelle Reichsstadt setzte sich in der Folgezeit für die konfessionelle Neutralität des Bundes ein, stand damit aber im Gegensatz zu den meisten anderen Mitgliedern, vor allem zum katholischen Bayern. Andererseits lehnte der Rat aber auch die vom Naumburger Fürstentag von 1561 ausgehende Initiative ab, daß alle evangelischen Reichsstände die Confessio Augustana von 1530 unterzeichnen sollten. Die Reichsstadt befand sich somit im Gegensatz zur Tendenz der Konfessionalisierung reichsständischer Bündnisse, und bereits für die Zeit um 1570 ist eine 'Bündnismüdigkeit' Augsburgs zu konstatieren (Warmbrunn). In den folgenden Jahren - vor allem während des noch zu behandelnden Kalenderstreits - näherte sich die Reichsstadt dem nunmehr ganz unter katholischen Vorzeichen stehenden Bund wieder stärker an. Maxime des städtischen Handelns blieb jedoch auf Jahrzehnte eine kaisertreue, aber konfessionsneutrale Politik. Dies zeigte sich noch zu Beginn des 17. Jahrhunderts, als sich die Stadt dem Eintritt in die katholische Liga widersetzte, solange diese eine militant antiprotestantische Ausrichtung aufwies.
Konfessionelle Institutionen und Konflikte
Nach der Wiederherstellung der bischöflichen Jurisdiktion 1547/48 waren die Einflußmöglichkeiten des Rates auf die katholische Kirche in der Stadt, deren Zentren die Dompfarrei sowie die Pfarreien St. Moritz, St. Georg, Heilig Kreuz und St. Stephan waren, stark eingeschränkt. Eine treibende Kraft der katholischen Konfessionalisierung in Augsburg bildete der Jesuitenorden, der seit 1559 eine intensive Predigt- und Seelsorgetätigkeit in der Reichsstadt ausübte und 1579-1582 mit der Gründung und Errichtung des Jesuitenkollegs St. Salvator auch ein institutionelles Zentrum erhielt. Die Predigten des Jesuiten Petrus Canisius, seit 1559 Nachfolger des Dominikaners Johannes Fabri als Domprediger, führten nach dessen eigenen Angaben bis Ostern 1560 bereits zu rund 900 Konversionen und damit zu einer erheblichen Stärkung des katholischen Bevölkerungsanteils, der gegen Ende der 1550er Jahre auf etwa 7000 Personen geschätzt wird. Besonderes Aufsehen erregten die Übertritte von vier Mitgliedern der Familie Fugger zum Katholizismus in den Jahren 1560/61, die am Beginn einer engen Kooperation der Fugger mit den Jesuiten stehen. Neben seiner intensiven Predigttätigkeit widmete sich Canisius auch der Seelsorge und Klosterreform. Die Tätigkeit der Jesuiten stieß innerhalb des katholischen Lagers insbesondere seitens des Domkapitels auf Opposition, während die Protestanten vor allem die exorzistischen Aktivitäten des Ordens, aber auch die öffentlichen katholischen Kulthandlungen wie Prozessionen und Wallfahrten zur Zielscheibe ihrer Kritik machten. Seit 1601 war auch der Kapuzinerorden in der Stadt tätig und entfaltete eine rege Predigt- und Seelsorgetätigkeit, insbesondere unter den ärmeren Bevölkerungsschichten. Im Jahre 1609 ermöglichte eine Schenkung der Familie Fugger zudem den Bau eines Franziskanerklosters in der Jakobervorstadt.
Im Falle der evangelischen Kirche konnte der Magistrat im Gegensatz zum Katholizismus seine in der Reformationszeit gefestigte obrigkeitliche Rolle behaupten, wobei er bestrebt war, die Geistlichkeit gegen den um die Mitte des 16. Jahrhunderts noch starken Zwinglianismus, später dann gegen flacianische, täuferische und spiritualistische Strömungen auf eine orthodoxe lutherische Linie einzuschwören. In den sechs protestantischen Kirchen (St. Anna, St. Ulrich, Barfüßerkirche, Heilig Kreuz, St. Georg, Spitalkirche) waren seit 1566 insgesamt 14 Geistliche (sechs Pfarrer, acht Diakone) tätig, die gemeinsam das 'Ministerium' bildeten, das zusammen mit den Kirchenpflegern die inneren Angelegenheiten der Religionsgemeinschaft regelte und diese gegenüber dem Rat vertrat. Seit 1591 examinierte das Ministerium auch die Kandidaten für freie Pfarrstellen und ordinierte neue Prediger. Drei vom Rat eingesetzte patrizische Kirchenpfleger fungierten als Bindeglied zwischen Ratsobrigkeit, Bürgerschaft und Kirchengemeinde.
Eine Besonderheit des bikonfessionellen Augsburg bildete das Nebeneinander unmittelbar benachbarter katholischer und evangelischer Institutionen. Seit dem Restitutionsvertrag von 1548 waren Kapellen bzw. Predigthäuser des reichsunmittelbaren Klosters St. Ulrich und Afra sowie der Augustiner-Chorherrenstifte St. Georg und Heilig Kreuz dem evangelischen Gottesdienst geöffnet worden. Dies hatte zur Folge, daß an drei Stellen der Stadt ein katholisches Kloster bzw. Stift und eine evangelische Pfarrgemeinde mit selbständiger Organisation auf engstem Raum nebeneinander existierten und sich viele Einrichtungen wie beispielsweise Glocke und Uhren teilen mußten. Aufgrund dieser Konstellation kam es immer wieder zu Streitigkeiten zwischen beiden Parteien um die Besitz- und Nutzungsrechte an einzelnen Gebäude- und Grundstücksteilen, die sich häufig an geringfügigen Anlässen entzündeten und den Willen beider Konfessionen demonstrierten, ihre Besitzstände zu wahren.
Das höhere Schulwesen der Stadt war bis 1580 primär durch das evangelische Gymnasium bei St. Anna geprägt, das unter der Leitung des Humanisten und bedeutenden Philologen Hieronymus Wolf (1516-1580) seit 1557 stark an Bedeutung gewann und zum neunklassigen Gymnasium ausgebaut wurde. Die Zahl der Schüler stieg von 135 im Jahre 1553 auf 478 im Jahre 1578. Wurde die Schule vor 1580 auch von Katholiken besucht, so gab die Gründung des Jesuitengymnasiums St. Salvator 1579/82 den Impuls zur weiteren Konfessionalisierung des Bildungswesens. Nach mehreren vergeblichen Anläufen bildeten zwei großzügige Stiftungen der Familie Fugger 1579/80 die Grundlage für die Errichtung dieser katholischen Bildungseinrichtung, die 1582 mit 100 Schülern den Lehrbetrieb aufnahm, drei Jahre später bereits 300 und 1618 rund 600 Schüler zählte. Die Attraktivität des Jesuitengymnasiums wurde nicht zuletzt durch die vom Augsburger Rat verfügte Schulgeldfreiheit gefördert. Außer diesen beiden höheren Schulen bestanden in den Jahrzehnten vor dem Dreißigjährigen Krieg eine ganze Reihe von deutschen und lateinischen Schulen sehr unterschiedlicher Qualität.
Zwei führende Vertreter des Augsburger Protestantismus, der Patrizier Hans Baptist Hainzel und der Kaufmann Martin Zobel, initiierten als Reaktion auf die Gründung von St. Salvator eine Sammlung unter der evangelischen Bürgerschaft zur Gründung eines Internats bei St. Anna, das begabten evangelischen Schülern freie Kost und Logis gewähren sollte. Das Kollegium bei St. Anna, in dem zunächst 32 unterstützungsbedürftige Schüler Aufnahme fanden, wurde Ende 1582 eingeweiht. Das höhere Bildungswesen war in der Folgezeit trotz der Konkurrenz der beiden Schulen kein wesentlicher Gegenstand des konfessionellen Streits, und die Rektoren von St. Anna im ausgehenden 16. und frühen 17. Jahrhundert, David Höschel und Elias Ehinger, nahmen in religiösen Fragen eine ausgleichende, irenische Haltung ein.
Die Gründungen von St. Salvator und des Evangelischen Kollegs bei St. Anna belegen zugleich eindrucksvoll, wie sich die Finanzkraft der patrizisch-kaufmännischen reichsstädtischen Oberschicht in einer regen Stiftungstätigkeit manifestierte. Zwischen 1548 und 1619 errichteten Augsburger Bürger mindestens 74 Stiftungen für Bildungs- oder Wohltätigkeitszwecke, von denen 32 auf katholische, 42 auf protestantische Stifter zurückgingen. Auf katholischer Seite kam dabei der Familie Fugger überragende Bedeutung zu. Während eine zunehmende Zahl an Stiftungen konfessionellen Charakter hatte, kamen Donationen wie diejenigen Susanne Neidharts, Matthäus Manlichs (beide 1558) und der Barbara Weiß (1568) Empfängern beider Konfession zugute.
Ungeachtet der auf konfessionellen Ausgleich bedachten Haltung führender Stadtpolitiker und Gelehrter zeigte der Kalenderstreit der 1580er Jahre, wieviel Sprengkraft im Nebeneinander von Protestanten und Katholiken in einer Stadt steckte. Den Anlaß bildete die 1582 von Papst Gregor XIII. verfügte und von der Ratsmehrheit Anfang des Jahres 1583 angenommene Reform des alten Julianischen Kalenders, durch die zehn Tage aus dem Kalender gestrichen und Schaltjahre eingeführt wurden. Für diese Zustimmung waren neben den Mehrheitsverhältnissen im Rat vor allem die wirtschaftlichen Beziehungen der Stadt mit ganz Europa, insbesondere aber zu den benachbarten katholischen Herrschaften (Bayern, Hochstift Augsburg) ausschlaggebend, die sich ebenfalls der Reform anschlossen. Während der Rat in der Kalenderreform eine rein 'politische' Maßnahme sah, interpretierten die drei evangelischen Kirchenpfleger Hans Matthäus Stammler, Adam Rehm und Hans Heinrich Hainzel sowie der Patrizier Ulrich Herwart in einer Protestschrift die Reform als Verstoß gegen die Gewissensfreiheit und den Augsburger Religionsfrieden. Obwohl die vier Kalendergegner ein Mandat des Reichskammergerichts gegen die Reform erwirkten, setzte der Rat sie in Kraft, worauf die evangelische Bürgerschaft mit demonstrativer Mißachtung der neuen Feiertagstermine reagierte. Der Rat verstärkte indessen das Militär in der Stadt und verhängte zahlreiche Strafen gegen protestantische Handwerker wegen Sonn- und Feiertagsarbeit.
Seit 1584 wurde die Auseinandersetzung durch einen Streit um das Berufungsrecht für evangelische Prediger zusätzlich verschärft, da der Rat entgegen der seit 1552 geübten Praxis den Vorschlag der evangelischen Kirchenpfleger für die Besetzung zweier Prädikantenstellen verwarf und selbst die Berufung vornahm. Nachdem das Reichskammergericht im Mai 1584 das Mandat gegen die Kalenderreform annulliert hatte, wurden die drei Kirchenpfleger und Ulrich Herwart aus dem Rat entlassen. Unter den Kalendergegnern ging die Führungsrolle daraufhin an die evangelischen Prediger über, von denen vor allem der Superintendent Dr. Georg Müller (Mylius) zum Widerstand gegen die Ratspolitik aufrief; ihre Position wurde durch ein Gutachten der Universität Tübingen gestärkt, das den Anspruch der Evangelischen auf Gleichberechtigung formulierte. Der Anfang Juni gefaßte Ratsbeschluß zur Absetzung und Ausweisung Müllers führte zu offenem Aufruhr; eine aufgebrachte Menschenmenge stoppte die Kutsche, die den Pfarrer aus der Stadt bringen sollte, und befreite Müller. Auf dem Rathausplatz versammelten sich Tausende bewaffneter Handwerker, vereinzelt fielen Schüsse, und der Rat mußte ausgerechnet auf die evangelischen Prediger zurückgreifen, um die Menge zu beruhigen.
Während der Rat daraufhin versuchte, den Kalenderstreit durch Verhandlungen mit der nicht-patrizischen Bürgerschaft einvernehmlich zu regeln, gingen die Auseinandersetzungen um die Berufung der Prediger weiter. Als eine im Juli 1584 eingesetzte kaiserliche Kommission in Augsburg über 100 Bürger befragte, manifestierte sich in deren Aussagen ein hohes Maß an Unzufriedenheit mit dem gegenwärtigen Ratsregiment. Zu den wesentlichen Kritikpunkten gehörten das Mißverhältnis von Katholiken und Protestanten im Rat, eine ungerechte Wahlordnung, zahlreiche Eingriffe in die evangelische Kirchenverfassung, die Tätigkeit der Jesuiten in der Stadt, aber auch die steuerliche Begünstigung reicher Patrizierfamilien, vor allem der Fugger. Dieser Katalog von Beschwerden verweist auf die komplexen Ursachen des Konflikts (der sich übrigens in eine ganze Serie von innerstädtischen Unruhen im Heiligen Römischen Reich des ausgehenden 16. und beginnenden 17. Jahrhunderts einreiht): Wirtschaftliche Krisenerscheinungen, vor allem die schlechte Lage des Weberhandwerks, und soziale Spannungen - etwa zwischen Webern und Kaufleuten im Textilbereich oder zwischen ärmeren und reicheren Metzgern um Schlachtquoten - vermischten sich mit konfessionellen und verfassungspolitischen Fragen, wobei bereits die erst 1648 realisierte Forderung nach konfessioneller Parität zur Sprache kam.
Nachdem die Kommissionsverhandlungen die Spaltung von Rat und Bürgerschaft in katholische und evangelische Fraktionen nicht überbrücken konnten, griff der Rat im August 1585 schließlich zu Zwangsmaßnahmen, ließ eine 18köpfige protestantische Oppositionsgruppe, der Vertreter prominenter Patrizier- und Kaufmannsfamilien angehörten, verhören und verwies zehn von ihnen der Stadt. Im folgenden Jahr wurden auch - zum zweiten Mal nach 1551 - sämtliche evangelischen Prediger ausgewiesen; die vom Rat berufenen Nachfolger stießen bei der protestantischen Bürgerschaft auf Ablehnung. Erst 1591 wurde in der Frage des Berufungsrechts der Prediger ein Kompromiß gefunden. Zu den drei Kirchenpflegern traten künftig drei nicht-patrizische 'Adjunkten'; gemeinsam hatten die sechs Pfleger ein Vorschlagsrecht für freie Pfarrstellen, während die Berufung selbst vom Rat vorgenommen wurde. In längerfristiger Perspektive hat der Kalenderstreit die konfessionelle Polarisierung der Augsburger Bevölkerung zweifellos verstärkt und das Bild, das sich Protestanten und Katholiken von der jeweils anderen Seite machten, nachhaltig geprägt.
Kulturelle Aktivitäten, Weltbilder und 'Lebensformen'
Die starke soziale Polarisierung der städtischen Bevölkerung in eine schwerreiche Oberschicht und zahlreiche Handwerker und Tagelöhner, die nahe am Existenzminimum lebten, spiegelte sich auch in der sozialen Topographie Augsburgs wider. Während ein Großteil der ärmeren Bevölkerung in der Jakobervorstadt, der Frauenvorstadt und im Lechviertel lebte, konzentrierte sich die Oberschicht in der Oberstadt entlang der Achse vom Rathaus zur Reichsabtei St. Ulrich und Afra. Wirtschaftliche Gewinne und die Akkumulation großer Vermögen versetzten die Angehörigen der reichsstädtischen Oberschicht in die Lage, umfangreichen Grundbesitz zu erwerben und sich persönlichen humanistischen, wissenschaftlichen und künstlerischen Interessen und Neigungen zu widmen. Eine ganze Reihe von Patriziern und Großkaufleuten kaufte Schlösser und Landgüter vor den Toren Augsburgs, sammelte Bücher und Kunstwerke und widmete sich gelehrten Studien. Eine herausragende Rolle kam auch in diesen Bereichen den Angehörigen der Familie Fugger zu, die ihren schwäbischen Grundbesitz planmäßig vergrößerten, sich ihres Faktoreiennetzes zur Beschaffung von Büchern und Manuskripten bedienten, zahlreiche wissenschaftliche Publikationen finanzierten und Aufträge für künstlerische Arbeiten vergaben. Markus Fugger übersetzte die Kirchengeschichte des Baronius, verfaßte aber auch ein Buch über die Pferdezucht. Hans Fugger und Octavian Secundus Fugger bauten in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts umfangreiche Kunstkabinette auf, in denen neben kostbaren Kunstwerken und Edelsteinen auch verschiedenste exotische Kuriositäten ihren Platz fanden. Bedeutende Bibliotheken besaßen Hans Jakob Fugger (1516-1575) und Ulrich Fugger (1526-1584). Beide Büchersammlungen verblieben nicht in der Stadt: Hans Jakob Fuggers Sammlung ging in den Besitz des bayerischen Herzogs über und bildete den Grundstock der Bayerischen Staatsbibliothek, während Ulrich Fuggers Bibliothek durch Friedrich III. von Kurpfalz erworben wurde und in die Palatina einging. Der Erwerb von Landgütern kann - bei den Fuggern wie bei anderen Familien der Augsburger Oberschicht - als Indiz für die Orientierung an adligen Leitbildern und Lebensstilen, aber auch als Bestreben nach der sicheren Anlage ihres Kapitals und der Erschließung zusätzlicher Einkommensquellen (Einnahme von Grundrenten, Vermarktung von Getreideüberschüssen) gedeutet werden.
Der Augsburger Stadtpfleger Markus Welser verfaßte eine Geschichte des römischen Augsburg, eine Beschreibung der in der Stadt gefundenen Altertümer und eine Geschichte Bayerns, letztere im Auftrag Herzog Maximilians. Dem humanistischen Gelehrtenkreis, dessen Mittelpunkt er war, gehörten auch Protestanten wie die Rektoren bzw. Lehrer von St. Anna, David Höschel (1556-1617) und Georg Henisch (1549-1618), an. Der von Welser gegründete und mitfinanzierte Verlag 'Ad insigne pinus' publizierte zwischen 1594 und 1614 über 70 Werke, darunter viele Editionen antiker und byzantinischer Schriften und eine Ausgabe des Falkenbuchs Kaiser Friedrichs II., nach 1600 zunehmend auch theologische Bücher. Angehörige anderer reichsstädtischer Patrizier- und Kaufmannsfamilien wie die Brüder Hans Baptist und Paul Hainzel, Hans Heinrich Herwart oder Hans Steininger traten ebenfalls als Kunstsammler und Förderer gelehrter und wissenschaftlicher Aktivitäten hervor, und unter den Augsburger Ärzten des späteren 16. Jahrhunderts befanden sich vielseitig interessierte, humanistisch orientierte Männer wie der auch als Chronist tätige Achilles Pirmin Gasser, der Orientreisende Leonhard Rauwolf und der als Verfasser eines Werks zur antiken Münzgeschichte hervorgetretene Adolph (III) Occo.
Den gelehrten und bibliophilen Interessen der Augsburger Patrizier, Kaufleute, Juristen, Ärzte und Geistlichen kam auch die Tatsache zugute, daß die Stadt ein Zentrum des mitteleuropäischen Buchhandels war. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts entwickelte sich eine ziemlich strikte Arbeitsteilung zwischen den - von 1540 bis 1601 ausschließlich protestantischen - Druckern und den Händlern und Verlegern, die den Vertrieb übernahmen. Unter den Buchhändlern der zweiten Jahrhunderthälfte ragt Georg Willer d.Ä. heraus, der seit 1564 Bücherkataloge der Frankfurter Messen drucken ließ und spätestens seit 1570 als bedeutendster Großsortimenter Süddeutschlands gelten kann, bei dem die Buchführer aus Bayern, Österreich, Württemberg und Franken die Messeneuheiten einkauften. In den 1590er Jahren gaben die Druckaufträge des Verlags 'Ad insigne pinus' dem Augsburger Druckgewerbe neue Impulse. Mit Christoph Mang nahm 1601 erstmals seit sechs Jahrzehnten wieder ein katholischer Drucker in Augsburg die Arbeit auf, und für die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts ist festgestellt worden, daß im allgemeinen eine katholische Druckerei mit vier bis fünf protestantischen Druckereien konkurrierte (H.-J. Künast).
Die Augsburger Stadtbibliothek, die 1562 ein eigenes Gebäude erhielt, konnte vor allem um 1600 unter den Stadtpflegern Markus Welser und Hans Jakob Rembold zahlreiche Neuerwerbungen verzeichnen. Unter den in Augsburg tätigen Jesuiten schließlich ragt Jacobus Pontanus (1542-1626) als Philologe, Verfasser von theologischen Schriften und Schuldramen hervor. Generell ist in den beiden Jahrzehnten vor Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges ein erster Höhepunkt in der Produktion von theologischen Schriften, Erbauungsbüchern, Heiligenviten und Missionsberichten aus Übersee festzustellen.
Die Jahre 1555 bis 1618 lassen sich insgesamt als 'Inkubationszeit einer konfessionellen Differenzierung' bezeichnen (B. Roeck), die sich während des Dreißigjährigen Krieges weiter verstärkte und nach 1648 zur vollen Entfaltung kam. Nicht alle Augsburger fügten sich allerdings der Logik der Konfessionalisierung. Der 1598 vor dem Rat verhörte Goldschmied David Altenstetter etwa scheint jenseits von Katholizismus und Protestantismus einen ganz eigenen, konfessionell indifferenten und mit spiritualistischen Elementen durchsetzten Heilsweg gefunden zu haben. Altenstetter bezog seine religiösen Vorstellungen vor allem aus der privaten Lektüre der Bibel und theologischer Schriften.
Das Weltbild der reichsstädtischen Bewohner, für das neben den Werken der Gelehrten die Chroniken des späten 16. und frühen 17. Jahrhunderts besonders aufschlußreich sind, trug um 1600 oft düstere Züge und war vielfach von apokalyptischen Erwartungen durchzogen. In Augsburger Quellen der Zeit vor dem Dreißigjährigen Krieg finden sich zudem zahlreiche Belege für Wahrsagerei, Sterndeutung, Geisterbeschwörung und Magie als Mittel der Weltdeutung und Alltagsbewältigung, für die Vermengung und Amalgamierung christlicher und 'heidnischer' Bräuche und Glaubensinhalte. Kometenerscheinungen, Naturphänomene oder Unglücksfälle wurden häufig als göttliche Zeichen interpretiert. Die beträchtliche Teile Mitteleuropas um 1590 heimsuchende Hexenhysterie ließ auch Augsburg nicht unberührt und schlug sich in einem deutlichen Anstieg der wegen Magie und Hexerei angestrengten Verfahren nieder. Vor dem Hintergrund solcher Vorstellungen kann es nicht überraschen, daß viele Zeitgenossen den 1618 ausbrechenden großen Krieg als göttliche Strafe und Züchtigung für menschliche Sünden und Verfehlungen interpretierten. Als im Jahr des Prager Fenstersturzes ein großer Komet am Himmel über der Reichsstadt sichtbar war, erschien er vielen ihrer Bewohner als Vorbote kommenden Unglücks.
Augsburg im Dreißigjährigen Krieg
Von grundlegender Bedeutung für die Geschichte Augsburgs im Dreißigjährigen Krieg sind die Arbeiten Bernd Roecks, vor allem seine monumentale Studie 'Eine Stadt in Krieg und Frieden'. Sie zeigt, daß sich der Zeitraum zwischen 1618 und 1648 in drei Phasen einteilen läßt. Eine erste Phase wäre vom Ausbruch des Krieges bis zur Verkündigung des Restitutionsedikts durch Kaiser Ferdinand im Jahre 1629 anzusetzen. Die Stadt wurde in dieser Zeit noch nicht selbst zum Kriegsschauplatz, bekam die Auswirkungen des Konflikts aber bereits in vielfältiger Weise zu spüren. Von 1629 bis 1635 traf Augsburg dann die ganze Wucht des Krieges, und die Stadt mußte mehrfach einschneidende Eingriffe in ihre innere Verfassung hinnehmen. In einer dritten, von der Vorherrschaft der katholisch-kaiserlichen Partei geprägten Phase zwischen 1635 und 1648 sind bereits Ansätze einer demographischen Erholung erkennbar.
Vom Kriegsausbruch bis zum Restitutionsedikt (1618-1629)
In der ersten Phase der großen europäischen Auseinandersetzung, die auch als 'böhmisch-pfälzischer Krieg' (1618-1623) bezeichnet wird, lagen die Kriegsschauplätze fernab von Augsburg. Die Verstärkung der Wachen an den Toren, die Musterung der waffenfähigen Bürger und die Anwerbung von 1131 Mann Fußvolk und 110 Reitern gegen Ende des Jahres 1619 stellten reine Vorsichtsmaßnahmen dar. Die erste direkte Auswirkung des Krieges auf Augsburg stellte die galoppierende Inflation der Jahre 1622/23 dar, die als 'Kipper- und Wipper-Zeit' bekannt geworden ist. Bereits in den Jahrzehnten vor Kriegsausbruch waren die Güterpreise, vor allem die Preise für Lebensmittel, infolge des säkularen Bevölkerungswachstums in Mitteleuropa langsam, aber stetig gestiegen, was sich insbesondere auf die Lage der Handwerker und Tagelöhner, deren Einkommen mit der Preissteigerung nicht mithielten, ungünstig auswirkte. Der Hauptgrund dafür, daß dieser Preisauftrieb in eine Hyperinflation umschlug, lag in der Politik der münzprägenden Reichsstände (Fürsten und Städte), die den Edelmetallgehalt der Münzen immer weiter verringerten, um daraus Gewinne zu erzielen, Schulden möglichst billig zu begleichen und die mit dem Krieg verbundenen Rüstungskosten zu bestreiten. Spekulation und illegale Münzprägungen heizten die Inflationsspirale weiter an. Der durch die Inflation hervorgerufene steile Anstieg der Brotpreise führte zu einer deutlich höheren Sterblichkeit, und wiederholt wurden die Läden der Bäcker gestürmt. Der Rat versuchte, der Lage durch strenge Markt- und Preiskontrollen, vor allem aber durch eine tatkräftige Versorgungspolitik Herr zu werden. An Tausende von Bedürftigen wurde Getreide verteilt, das in den städtischen Kornspeichern lagerte oder außerhalb der Stadt erworben wurde. Die Notwendigkeit, die notleidende Bevölkerung während der Hyperinflation zu versorgen, hatte für den städtischen Haushalt gravierende Auswirkungen: Die Reserven der Stadt aus der Vorkriegszeit wurden aufgezehrt, Augsburg mußte Schulden machen und hatte für künftige Krisen keine Mittel mehr. Während große Teile Mitteleuropas in den krisenhaften 1620er Jahren eine weitere Welle der Hexenverfolgungen erlebten, kam es in Augsburg nur zu einer einzigen Hinrichtung. Die in der Fuggerei lebende Dorothea Braun wurde 1625 nach Bezichtigung durch ihre Tochter als Hexe mit dem Schwert gerichtet und anschließend verbrannt. Trotz mehrerer Verhaftungen und Hinrichtungen angeblicher Hexen in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts gehörte die Reichsstadt - im Gegensatz etwa zum Hochstift Augsburg - nicht zu den Gebieten intensiver Verfolgung.
Auf mehrere schlechte Erntejahre seit 1626 und einen drastischen Rückgang der Textilproduktion infolge der kriegsbedingten Störung der Handelswege folgte 1628 eine verheerende Pestepidemie. Nachdem im Herbst 1627 die ersten Fälle der Krankheit auftraten, wurden im folgenden Jahr über 9600 Tote - und damit fast fünfmal so viele wie in einem 'normalen' Jahr - registriert. In den ärmeren Vierteln der Stadt, vor allem in der Jakobervorstadt, waren die Sterblichkeitsraten besonders hoch. Der Rat reagierte mit Quarantänemaßnahmen und Hygienevorschriften entsprechend dem medizinischen Wissensstand der Zeit und rief die Bevölkerung zu Buße und Gebet auf, um die göttliche Strafe von der Stadt abzuwenden.
Vom Restitutionsedikt bis zum Ende der schwedischen Besatzung (1629-1635)
Nach dem Siegeszug des kaiserlichen Heeres unter Wallenstein und des von Tilly kommandierten Heeres der Katholischen Liga gegen den dänischen König und seine Verbündeten in Norddeutschland erließ Kaiser Ferdinand, der sich auf dem Höhepunkt seiner Macht im Reich sah, am 6. März 1629 das sog. Restitutionsedikt. Kernpunkte waren die Bekräftigung des im Augsburger Religionsfrieden von 1555 festgeschriebenen, von den Protestanten aber nie anerkannten 'Geistlichen Vorbehalts', dem zufolge ein geistlicher Fürst im Fall seiner Konversion zum Protestantismus sein Amt aufzugeben hatte, und die Verfügung, daß aller seit 1552 säkularisierte Kirchenbesitz zurückzugeben war. Diese Bestimmungen, die das Signal zu einer umfassenden Rekatholisierung des Reiches geben sollten, zeigen die enge Verknüpfung von Religion und Politik im Denken des Kaisers. Daß Augsburg seit August 1629 zum Modellfall für die Durchführung des Restitutionsedikts wurde, lag indessen nicht nur an den Interessen des Kaisers und des ebenfalls katholisch-gegenreformatorisch eingestellten bayerischen Kurfürsten, sondern vor allem an der Initiative des Augsburger Bischofs Heinrich V. von Knöringen, der die Gelegenheit gekommen sah, aus Augsburg wieder eine rein katholische Stadt zu machen. Bereits 1628 hatte der Bischof eine kaiserliche Untersuchungskommission erwirkt, die Beweise für eine Unterdrückung der Katholiken durch die protestantische Bevölkerungsmehrheit sammeln sollte. Der mehrheitlich katholische Rat hatte demgegenüber auf das friedliche Nebeneinander der Konfessionen in der Stadt seit dem Kalenderstreit und die wirtschaftliche Bedeutung der evangelischen Bürgerschaft hingewiesen und sogar einen seiner Ratskonsulenten, Dr. Georg Theisser, nach Wien entsandt, der dort vergeblich versuchte, den Initiativen Heinrich von Knöringens entgegenzuwirken. Die vom Kaiser verfügte Aufnahme mehrerer katholischer Familien ins Patriziat diente bereits der Vorbereitung des entscheidenden Schlags gegen den Augsburger Protestantismus, der am 8. August während einer allgemeinen Ausgangssperre und bei starker Militärpräsenz in der Stadt verkündet wurde: Die evangelischen Kirchen wurden geschlossen, die Prediger entlassen und, sofern sie keine Augsburger Bürger waren, der Stadt verwiesen.
Im Gegensatz zu den Maßnahmen des Jahres 1584 führte die Durchsetzung des Restitutionsedikts zu keinem Aufstand der evangelischen Bürgerschaft, die sich angesichts der militärischen Präsenz und der in den vorangegangenen Jahren erfahrenen Krisen auf passiven Widerstand, indirekte Formen der Kritik und eine 'geheime Öffentlichkeit' (B. Roeck) in Lese- und Diskussionszirkeln beschränken mußte. Unter dem Druck des Kaisers und des Bischofs wurden 1630 die evangelischen Kirchen St. Georg und Heilig Kreuz abgerissen, evangelischen Armen das Almosen verweigert und Sanktionen gegen protestantische Handwerker verhängt. Der Bischof unterstellte das Gymnasium und das Kolleg bei St. Anna den Jesuiten. Alle evangelischen Ratsherren und städtischen Bediensteten wurden 1631 schließlich vor die Wahl gestellt, die katholische Messe zu besuchen oder ihr Amt aufzugeben. Da kein einziger evangelischer Ratsherr sich dazu bereitfand, folgte darauf die vollständige Rekatholisierung des Rates. Aus 'Mangel an tauglichen subiectis' blieben bei der Ratswahl im September 1631 jedoch sechs Sitze im Kleinen und 123 Sitze im Großen Rat unbesetzt - ein deutliches Indiz dafür, wie dünn die Personaldecke der Katholiken unter den Patriziern, Mehrern und Kaufleuten war. Während in Augsburg die Gegenreformation voranschritt, nahm der Krieg durch das Eingreifen des schwedischen Königs Gustav Adolf eine entscheidende Wende. Der durch die Uneinigkeit von Kaiser und katholischer Liga, durch Bündnisse mit Frankreich und Sachsen sowie durch eine überlegene militärische Taktik und Strategie begünstigte Vormarsch des 'Löwen aus Mitternacht' führte ihn im April 1632 bis an die Donau. Nach dem schwedischen Sieg in der Schlacht bei Rain am Lech (14./15. April) entschloß sich der bayerische Kommandeur der Stadt, die zuvor noch in den Verteidigungszustand versetzt worden war, zur Übergabe. Am 20. April zog die schwedische Armee in Augsburg ein, vier Tage später folgte der König selbst. Sein erster Weg führte ihn in die protestantische Hauptkirche St. Anna.
Mit dem Einzug der Schweden begann eine Phase, in der die seit 1629/30 durchgeführten Katholisierungsmaßnahmen zurückgenommen wurden. Die Bürgerschaft wurde auf Gustav Adolf vereidigt, der katholische Rat abgesetzt, der König erhob 14 Familien aus den Reihen der Kaufmannschaft und der Mehrer ins Patriziat und beschenkte diese 'schwedischen Geschlechter' mit säkularisierten Kirchengütern. Im 'Schwedenrat', der in den folgenden Jahren die Stadt regierte, dominierten vermögende Kaufleute. Vor allem in der Oberschicht der evangelischen Patrizier, Kaufleute, Ärzte und Juristen sind die 'Gewinner' der schwedischen Okkupation Augsburgs zu sehen. Vielen evangelischen Bewohnern der Stadt - wie des Reiches überhaupt - erschien Gustav Adolf als Retter des deutschen Protestantismus, der in zahlreichen Flugschriften und bildlichen Darstellungen als Sieger über die Mächte des Bösen verklärt wurde. Die nicht-öffentliche Ausübung der katholischen Religion blieb unter schwedischer Besatzung gestattet. Die schwedische Anordnung der Aufstellung einer Bürgerwehr, die überaus hohen Kontributionsforderungen der Besatzungsmacht, die Einquartierung der Truppen und die Heranziehung von bis zu 3000 Menschen zu Schanzarbeiten bedeuteten unterdessen für die gesamte Bevölkerung eine schwere Belastung.
Während die kaiserlichen Truppen in der Umgebung Augsburgs wieder an Boden gewannen, verschlechterte sich in der zweiten Jahreshälfte 1633 die Versorgungslage der Reichsstadt zusehends. In den Sommermonaten desselben Jahres wütete außerdem wieder die Pest in Augsburg, wobei die in der Jakobervorstadt und der Frauenvorstadt konzentrierten ärmeren Bevölkerungsschichten besonders hart getroffen wurden. Die Sterblichkeit blieb auch in den folgenden beiden Jahren enorm hoch: 1634/35 wurden annähernd 11.000 Tote gezählt. Als nach der schwedischen Niederlage bei Nördlingen im September 1634 kaiserliche Truppen vor der Stadt erschienen, entschloß sich die Ratsmehrheit, der Belagerung so lange wie möglich standzuhalten. Damit begann für die Augsburger Bevölkerung die schlimmste Zeit des Krieges. Während des Belagerungswinters 1634/35 machten die vom Hunger gequälten Einwohner den Berichten zufolge auch vor dem Verzehr von Hunden, Katzen, Ratten, Tierhäuten und Leichenteilen nicht halt. Als im Februar 1635 an der Aussichtslosigkeit weiteren Ausharrens nicht mehr zu zweifeln war, handelte eine Delegation des Rates unter der Führung eines der beiden von den Schweden eingesetzten Stadtpfleger, Jeremias Jakob Stenglin, im kaiserlichen Feldlager zu Leonberg einen Übergabevertrag aus, der den schwedischen Besatzungstruppen freien Abzug zusicherte, die Reichsunmittelbarkeit Augsburgs bestätigte und ansonsten weitgehend die Verhältnisse des Jahres 1629 - also zur Zeit des Restitutionsedikts - wiederherstellte. An Bayern war eine Entschädigungszahlung von 50.000 Gulden zu entrichten. Den Protestanten wurde lediglich der Bau einer Kirche auf eigene Kosten zugestanden. Ansonsten mußten alle Kirchen den Katholiken zurückgegeben werden, und nur vorübergehend durften die Evangelischen noch die Barfüßerkirche für Gottesdienste nutzen. Nachdem der Große Rat am 24. März den Leonberger Vereinbarungen zugestimmt hatte, zog die schwedische Besatzungsmacht am 28. März 1635 ab. Der kaiserliche Statthalter Graf Ottheinrich Fugger enthob daraufhin Ende April den 'Schwedenrat' seines Amtes.
In diesem Jahr hatte die Bevölkerung der vor Kriegsausbruch rund 45.000 Einwohner zählenden Stadt mit 16.432 Menschen einen absoluten Tiefstand erreicht. Fast zwei Drittel der Bewohner waren in den Jahren der Pest, des Hungers und des Krieges ums Leben gekommen. Der Bevölkerungsrückgang betraf nicht alle Stadtviertel gleichmäßig, sondern war in den 'armen' Außenbezirken der Jakobervorstadt und der Frauenvorstadt besonders ausgeprägt. In der Oberstadt hingegen blieb die Zahl der Haushalte relativ stabil, nahm in einigen Steuerbezirken sogar zu. Der demographische Einbruch des Krieges zog also innerstädtische Wanderungsbewegungen aus den schlechteren in die besseren Wohngegenden nach sich.
Augsburg zwischen dem Prager Frieden und dem Westfälischen Frieden (1635-1648)
Während der Augsburger Rat bis 1648 ausschließlich katholisch blieb, bedeuteten die Jahre zwischen dem Prager und dem Westfälischen Frieden für die reichsstädtischen Protestanten erneut eine Zeit der Unterdrückung. Ihre Gottesdienste mußten die Evangelischen im Hof des Kollegiums von St. Anna unter freiem Himmel halten. Während die finanziellen Belastungen der Bürgerschaft nun nicht mehr auf die Höhe kletterten, die sie zur Zeit der schwedischen Besatzung erreichten, hatte die stark geschrumpfte Augsburger Bevölkerung immer noch deutlich höhere Lasten zu tragen als vor dem Krieg - nicht zuletzt, weil der kaiserliche Statthalter Ottheinrich Fugger versuchte, sich an der wirtschaftlich ohnehin schwer angeschlagenen Stadt zu bereichern. Der Löwenanteil der außerordentlichen Kriegslasten wurde der evangelischen Bevölkerung aufgebürdet.
Um die Lücken, die Pest und Krieg in die Reihen der städtischen Bevölkerung gerissen hatten, zumindest teilweise zu füllen, wurden im Gegensatz zur vor dem Krieg geübten restriktiven Praxis nun zahlreiche, auch ärmere Zuwanderer als Bürger angenommen. Zwischen 1635 und 1645 wuchs die Bevölkerung daher um etwa 3500 auf rund 20.000. Diese Einwanderer stammten zumeist aus der ländlichen Umgebung der Stadt; viele von ihnen waren alleinstehende Frauen. Da der Rat dabei eine dezidierte Rekatholisierungspolitik verfolgte und das Umland Augsburgs obendrein stark katholisch geprägt war, erhöhte sich der Anteil der Katholiken an der Augsburger Bevölkerung bis 1645 auf über dreißig Prozent. Die Zahl der Katholiken nahm 1635-1645 um zwei Drittel, die der Protestanten hingegen nur um fünfzehn Prozent zu.
Der Krieg hatte nicht nur die Bevölkerung der Reichsstadt dezimiert, sondern auch in großem Umfang Vermögen vernichtet. Dennoch war die Sozialstruktur gegen Ende des Krieges nach wie vor durch ein hohes Maß an Ungleichheit gekennzeichnet. Die reichsten zehn Prozent der Steuerzahler, die im Jahre 1618 für 92 Prozent des gesamten Steueraufkommens verantwortlich zeichneten, entrichteten 1646 immerhin noch fast 85 Prozent. Während einerseits ein Wegfall der ganz großen Steuerzahler zu konstatieren ist, nahm andererseits auch der Anteil der 'Habnits', die aufgrund ihrer Armut keine Vermögenssteuer zu entrichten brauchten, von 48,5 Prozent (1618) auf 37,2 Prozent (1646) ab. Die vormals breite wirtschaftliche Spitzengruppe Augsburgs war auf hundert bis hundertfünfzig Personen zusammengeschrumpft. Besonders drastisch fiel der Rückgang der Weberhaushalte aus, deren Zahl sich um vier Fünftel verminderte - für Roeck 'das sozialgeschichtlich bei weitem folgenschwerste Ergebnis des Dreißigjährigen Krieges für Augsburg'.
In der zweiten Jahreshälfte 1646 kehrte der Krieg nochmals nach Augsburg zurück. Französische und schwedische Truppen belagerten vergeblich die von kaiserlichen und bayerischen Einheiten gehaltene Stadt. Daß an der Verteidigung der Stadt auch Protestanten teilnahmen, deutet auf eine gewisse Annäherung der Konfessionen in der Stadt wie auch auf eine Entkonfessionalisierung des Krieges hin. Bei den zu dieser Zeit bereits im Gange befindlichen Friedensverhandlungen zu Münster und Osnabrück erwies sich der bikonfessionelle Charakter Augsburgs zugleich einmal mehr als entscheidender Faktor für die Position der Stadt. Während der offizielle Vertreter des Rates, Dr. Johann Leuchselring, die Linie der katholischen Reichsstände mittrug, versuchte ein Ausschuß der evangelischen Bürgerschaft, in dem der Patrizier Johann David Herwart eine führende Rolle spielte, auf die Verhandlungen in ihrem Sinne Einfluß zu nehmen. Die Sache der Augsburger Protestanten wurde vor allem von dem Lindauer Delegierten Dr. Valentin Heider vertreten. Militärische Erfolge der Franzosen und Schweden in Süddeutschland und Bayerns Ausscheren aus der katholischen Front stellten neben dem Verhandlungsgeschick Heiders schließlich die Voraussetzung dafür dar, daß die konfessionelle Parität und damit die Gleichberechtigung der Protestanten im Westfälischen Friedensvertrag von 1648 festgeschrieben wurde. Das Jahr 1648 bedeutete damit für Augsburg nicht nur den Abschluß eines verheerenden Krieges, sondern zugleich den Beginn einer neuen Ära im Verhältnis der beiden großen Konfessionen in der Stadt.
Vom Westfälischen Frieden bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts
Parität und Stadtverfassung
Für die vier Reichsstädte Augsburg, Biberach, Ravensburg und Dinkelsbühl bedeutete der Westfälische Friedensvertrag die Wiederherstellung aller Rechte und Besitztümer der Protestanten, die im zum 'Normaljahr' erklärten Jahr 1624 bestanden hatten, sowie die paritätische Besetzung der städtischen Ämter bis in die niedrigsten Ränge. Bei ungerader Zahl der Amtsträger sollten die jeweiligen Ämter alternierend von Katholiken und Protestanten versehen werden; im Kleinen und Geheimen Rat Augsburgs hatten die Katholiken jeweils eine Mehrheit von einem Sitz. Das Prinzip der Parität galt außerdem bei Spitälern und Stiftungen.
Historiker wie Etienne François und Paul Warmbrunn sehen dieses System als logische Konsequenz und Weiterentwicklung der 1555 etablierten Bikonfessionalität. In längerfristiger Perspektive ist das paritätische System 'weniger als Neuerung und Wandel, sondern weit eher als Wiederherstellung und Bestätigung einer durch den Krieg unterbrochenen Tradition' (E. François) zu interpretieren. Und für Paul Warmbrunn 'ist die Einführung der numerischen Parität letztlich ein Beweis dafür, daß sich das Gefühl für ein tolerantes, auf gegenseitiger Achtung beruhendes Miteinander der Konfessionen gerade in den schweren Belastungsproben, die der Krieg mit sich brachte, erhalten, ja wahrscheinlich sogar verstärkt hatte'. François hat als die drei Grundprinzipien der Parität die Autonomie jeder Konfession in ihren jeweiligen inneren Angelegenheiten, ihre völlige rechtliche Gleichheit und ihre gemeinsame Verantwortung für die Geschicke der Stadt betont.
In der Stadtverfassung wurde die Parität 1649 umgesetzt. Durch die Aufnahme von vier evangelischen Familien ins Patriziat erhöhte sich die Zahl der evangelischen Patrizierfamilien auf 13, die der Patrizierfamilien insgesamt auf 28. Sechzehn Geschlechterfamilien starben in der Folgezeit aus, während 23 neu aufgenommen wurden. Nach der Standeserhebung der Koch von Gailenbach 1654 erfolgte um 1700 die Aufnahme der reichen evangelischen Silberhändler und Bankiers Hößlin, Rauner (1699) und Schnurbein (1706) ins Patriziat. In den 1730er Jahren rückten die katholischen Seida und Pflummern sowie die evangelischen Münch und Scheidlin in die Reihen der Geschlechter vor, und in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts erlangten unter anderem die evangelischen Bankiersfamilien Schwarz und Halder Patrizierstatus. Die Stadt wurde damit in den letzten eineinhalb Jahrhunderten von einem Kreis von maximal 27 bis 28 Familien regiert. Die Patrizier sahen das Stadtregiment mit der Hierarchie seiner gut besoldeten Ämter in zunehmendem Maße als eine Art Versorgungsinstitut an. Die Stadtpfleger kamen im 18. Jahrhundert auf ein Jahreseinkommen von etwa 3000 Gulden, die Geheimen Räte auf mindestens 1500 Gulden und die wichtigeren Stadtämter auf 800 bis 1500 Gulden. Trotz dieser guten Besoldung waren Korruption und Bestechung gerade der hohen Amtsträger offenbar keine Seltenheit.
Seit dem ausgehenden 17. Jahrhundert ist zudem eine dominierende Rolle der Familien Langenmantel unter den katholischen und Stetten unter den evangelischen Geschlechtern festzustellen. Beschwerden über die enge verwandtschaftliche Verfilzung der Ratsherren und hohen Amtsträger führten 1718 zur Einsetzung einer kaiserlichen Untersuchungskommission und im folgenden Jahr zum Erlaß einer neuen Regimentsordnung, die versuchte, durch Bestimmungen über die Verwandtschaft der Ratsmitglieder die Verfilzung des Rates einzudämmen. Außerdem enthielt die neue Regimentsordnung Bestimmungen gegen Ämterhäufung und eine 'eingehende Geschäftsordnung' des Kleinen und Geheimen Rats. Das Problem der verwandtschaftlichen Verflechtung der Ratsmitglieder war damit jedoch nicht aus der Welt geschafft, und die Klage des evangelischen Patriziers Johann Thomas von Rauner d.Ä., daß 'Stadtpfleger von Stetten und seine Bande' beständig danach strebten, ihren Einfluß im Rat zu erhöhen und ihn mit ihren 'Kreaturen' zu besetzen, war kein Einzelfall. Jeweils fünf katholische und evangelische Stadtpfleger der Jahre 1648-1806 gehörten den Familien Langenmantel und Stetten an, deren Amtszeit sich insgesamt über 51 bzw. 47 Jahre erstreckte. Geschichtsbewußstein und reichsstädtischer Patriotismus gerade dieser Familien schlugen sich in den historischen Werken David Langenmantels (Historie des Regiments in des Heil. Röm. Reichs Stadt Augsburg, 1725), Paul von Stettens d.Ä. (Geschichte der Heil. Röm. Reichs Freyen Stadt Augspurg, 2 Bde., 1743/58) und seines gleichnamigen Sohnes (Geschichte der adelichen Geschlechter in der freyen Reichs-Stadt Augsburg, 1762) nieder. Neben den Langenmantel und Stetten waren im 18. Jahrhundert auch die katholischen Patrizierfamilien Imhof, Rehm, Holzapfel und Rehlinger und die evangelischen Ammann im Geheimen Rat stark vertreten.
Die Verschuldung der Stadt war nach Beendigung des Dreißigjährigen Krieges naturgemäß enorm hoch; allein die von der Stadt gegen feste Verzinsung aufgenommenen Kapitalien beliefen sich im Sommer 1650 auf über 1,5 Millionen Gulden. Umgekehrt hatte die Stadt hunderttausende von Gulden vom Kaiser und einer Reihe von Reichsfürsten zu fordern, deren Eintreibung große Schwierigkeiten bereitete. Die zur Sanierung der zerrütteten Finanzen notwendigen Sonderabgaben stießen bei der Bürgerschaft auf Widerstand. Die gesamten Einnahmen der Stadt im Jahr 1650 beliefen sich lediglich auf ein Zehntel der Bilanzsumme, zeigten aber bereits ab dem folgenden Jahr eine steigende Tendenz. Die größten Gläubiger der Stadt nach dem Dreißigjährigen Krieg neben dem ortsansässigen Patriziat waren geistliche Stiftungen - vor allem die St. Jakobs-Pfründe - sowie ungarische und mährische Jesuitenkollegien. Die Sanierung der städtischen Finanzen in den Jahren nach dem Westfälischen Friedensschluß gelang jedoch relativ rasch; Augsburg war spätestens um 1670 wieder ein begehrter Platz zur sicheren Anlage von Geldern. Die Schuldenlast der Stadt konnte bis zu diesem Zeitpunkt immerhin um 20 Prozent reduziert und ein Teil der städtischen Güter, die nach Kriegsende zur Bestreitung der notwendigsten Ausgaben veräußert werden mußten, konnte in der Folgezeit zurückerworben werden.
Während die Stadt in wirtschaftlicher Hinsicht bereits in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts einen bemerkenswerten Wiederaufstieg erlebte, wurde Augsburg nur noch selten Schauplatz reichspolitisch bedeutender Ereignisse. Die Wahl Ferdinands IV. zum römischen König, die 1653 in Augsburg stattfand, erscheint in langfristiger Perspektive eher als Nachklang der einstigen Bedeutung der Stadt innerhalb des Reiches. Ähnliches gilt für die Krönung der dritten Gemahlin Leopolds I. zur Kaiserin sowie die Wahl und Krönung Josephs I. zum römischen König 1689/90. Während des Spanischen Erbfolgekrieges zu Beginn des 18. Jahrhunderts wurde Augsburg zudem einmal mehr zum Kriegsschauplatz. Die Belagerung und Einnahme der Stadt durch französische und bayerische Truppen gegen Ende des Jahres 1703 brachte eine hohe Belastung von Stadtkasse und Bürgerschaft durch die Belagerungs- und Einquartierungskosten, die Räumung des Zeughauses und die teilweise Zerstörung der Befestigungsanlagen mit sich. Die bayerische Besatzungsmacht leitete eine Verfassungsrevision und die Eingliederung der Stadt in das bayerische Verwaltungs- und Justizsystem ein; diese Maßnahmen wurden nach dem Sieg der Kaiserlichen und ihrer Verbündeten in der Schlacht bei Höchstädt im Sommer 1704 jedoch wieder aufgehoben. Der finanzielle Verlust durch die Abgaben während der französischen und bayerischen Besatzung belief sich auf über vier Millionen Gulden.
Im 18. Jahrhundert war Augsburg nach wie vor eine reichsunmittelbare, nur dem Kaiser untertane Stadt; im Gegensatz zum 16. Jahrhundert war sie nun jedoch kein Zentrum der Reichspolitik, d.h. kein Ort mehr, an dem sich die Macht des Kaisers und die Einheit des Reiches in großen festlichen Versammlungen sichtbar manifestierten. Wichtig blieb die Stadt auch im 18. Jahrhundert noch als Kreditgeber des Kaisers. Im Jahre 1700 etwa übernahm sie ein Darlehen in Höhe von rund 100.000 Gulden, das die Fugger 1656 dem Kaiser gewährt hatten, und 1757 streckte Augsburg dem Reichsoberhaupt 50.000 Gulden vor.
Bevölkerung und Gesellschaft in der paritätischen Stadt
Die bei Ende des Dreißigjährigen Krieges nur noch rund 20.000 Einwohner zählende Stadt wuchs bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts auf etwa 27.000 Bewohner an. Vor allem infolge eines beträchtlichen Zustroms von Zuwanderern stieg die durchschnittliche Anzahl der jährlichen Taufen und Trauungen von etwa 1650 bis etwa 1690 stetig an. Danach verlangsamte sich dieses Wachstum jedoch während einer Versorgungskrise der Jahre 1693/95 und wurde durch die bereits erwähnten Ereignisse des Spanischen Erbfolgekrieges, insbesondere die Belagerung und Besatzung 1703/04, unterbrochen. In der Folgezeit setzte sich das demographische Wachstum in verlangsamter, unbeständiger Form fort. Seit dem zweitem Viertel des 18. Jahrhunderts wurden kontinuierlich mehr Sterbefälle als Geburten in Augsburg registriert. Die Stadt wies also ein natürliches Bevölkerungsdefizit auf, das nur durch Einwanderungen ausgeglichen werden konnte. Um die Mitte des 18. Jahrhunderts dürfte Augsburg maximal 30.000 Einwohner gezählt haben; dies war noch immer ein Drittel weniger Menschen als am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges.
Ein Vorgang von ganz entscheidender Bedeutung war die Umkehrung des Zahlenverhältnisses zwischen den beiden großen Konfessionen, die sich zwischen 1650 und 1750 vollzog. Stellten die Lutheraner um 1645 noch 70 Prozent, die Katholiken 30 Prozent der Stadtbevölkerung, war das Verhältnis zwischen den Konfessionen um 1700 bereits ausgeglichen, und um die Mitte des 18. Jahrhunderts war Augsburg, seit der Reformation eine überwiegend protestantische Stadt, zu 60 Prozent katholisch. Während die protestantische Bevölkerung im wesentlichen auf dem Niveau von 1645, also bei 13.000 bis 14.000 Menschen, stagnierte, expandierte die katholische Bevölkerung stark, ehe sie sich um 1730 stabilisierte. In der Folgezeit verlief die demographische Entwicklung von katholischer und evangelischer Einwohnerschaft in ähnlichen Bahnen. Der Hauptgrund für das starke Wachstum der altgläubigen Bevölkerung war die Zuwanderung aus dem katholisch geprägten Umland Augsburgs. Gegenüber dieser dynamischen, expandierenden und durch zahlreiche Einwanderer geprägten Bevölkerungsgruppe bildeten die Lutheraner 'den harten Kern der Stadtbevölkerung', also eine eher seßhafte, bereits lange in der Stadt verwurzelte Gruppe.
Zwischen 1646 und 1712 wuchs das Steueraufkommen der Augsburger Einwohnerschaft von 18.819 auf 27.369 Gulden, was einer Zunahme von 45 Prozent entspricht. Da sich die Zahl der Steuerzahler im gleichen Zeitraum nur um 14 Prozent erhöhte, nahm der Wohlstand der Bevölkerung insgesamt zu, ohne daß es dabei zu einer der Zeit vor dem Dreißigjährigen Krieg vergleichbaren gesellschaftlichen Polarisierung zwischen wenigen Reichen und vielen Armen kam. Der Anteil der 'Habnits', also der als vermögenslos Eingestuften, unter den Steuerzahlern ging zwischen 1646 und 1688 von 32 auf 24 Prozent zurück.
In sozialer Hinsicht war Augsburg zu Beginn des 18. Jahrhunderts primär eine Handwerkerstadt. Im Jahre 1711 arbeiteten fast 70 Prozent der Steuerzahler, deren Beruf bekannt ist, als Handwerker, wobei die größten Gruppen im Textil- und Kunstgewerbe tätig waren. 5,5 Prozent lassen sich der Oberschicht der Kaufleute, Ärzte, Apotheker, Juristen und Inhaber höherer städtischer Ämter zurechnen, und eine etwa ebenso große Gruppe (5,4 Prozent) gehörte der 'kaufmännischen Mittelschicht' der kleineren Händler, Krämer und Handelsdiener an. Rund fünf Prozent waren Angestellte oder mittlere und kleinere Beamte, 15 Prozent verdienten ihr Brot als Gesellen, Transportarbeiter und Tagelöhner. Augsburg erlebte im 18. Jahrhundert zahlreiche Gesellenstreiks, bei denen es jedoch häufig weniger um Löhne und Arbeitszeiten als um die 'Ehrbarkeit' des Handwerks und den Ausschluß unerwünschter Konkurrenz ging.
In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts waren Katholiken unter den 'niederen' Bevölkerungsgruppen der Gesellen und Tagelöhner, Protestanten hingegen in der Oberschicht und unter den angesehenen Handwerksberufen überrepräsentiert. Die größten Vermögen befanden sich um 1700 weitestgehend in der Hand von Lutheranern. Im 18. Jahrhundert verringerte sich der soziale und wirtschaftliche Abstand zwischen den Konfessionen, und Katholiken drangen in immer größerer Zahl in vorher von Protestanten dominierte Berufe vor.
Besonders augenfällig ist diese Verschiebung des Kräfteverhältnisses zwischen den Konfessionen im Bereich des Buchdrucks, -handels und Verlagswesens. Gegen Ende des Dreißigjährigen Krieges bestanden in Augsburg vier protestantische Druckereien und nur eine katholische (wobei der katholische Drucker, Andreas Aperger, allerdings einen hohen Marktanteil innehatte). Mit dem Anwachsen der Zahl der Druckereien auf elf bis vierzehn im 18. Jahrhundert nahm auch der Anteil der katholischen Drucker zu. Um 1740 war das Verhältnis mit je sieben Druckern beider Konfession ausgeglichen. Im Bereich des Buchhandels und Verlagswesens, der im 18. Jahrhundert von dem des Buchdrucks weitgehend getrennt war, errangen katholische Händler und Verleger wie Bencard, Wolff und Veith seit dem ausgehenden 17. Jahrhundert eine eindeutige Vorrangstellung, die sich vor allem auf Produktion und Vertrieb von Erbauungsliteratur, Predigtsammlungen, Andachts- und Gebetbüchern sowie Geschichtswerken katholischer Autoren gründete. Eine große Rolle spielten illustrierte Werke, bei deren Herstellung auf die große Zahl der ortsansässigen Kupferstecher, Briefmaler, Formstecher und Illuministen zurückgegriffen werden konnte. In den katholischen Gebieten Süddeutschlands, insbesondere bei den zahlreichen Klosterbibliotheken, fanden die Augsburger Buchhändler und Verleger einen großen Absatzmarkt. Da die protestantischen Drucker und Verleger über kein vergleichbares Hinterland verfügten, nahmen sie auch Aufträge für katholische Erbauungsliteratur an. Aber auch das protestantische Verlagswesen war keineswegs unbedeutend und machte Augsburg unter anderem zum wichtigsten Verlagsort architekturtheoretischer und technischer Literatur in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Mit der 'Postzeitung', für deren Herausgabe der Drucker Jacob Koppmayer 1690 ein kaiserliches Privileg erhielt, und der 'Abendzeitung' wurden zudem bereits im frühen 18. Jahrhundert zwei mehrmals wöchentlich erscheinende Periodika in Augsburg hergestellt.
Etienne François hat in seiner Untersuchung des Zusammenlebens von Katholiken und Protestanten in Augsburg eindrucksvoll gezeigt, daß sich die Lebensbereiche beider Konfessionen im reichsstädtischen Alltag vielfach überlagerten und beide Gruppen in verschiedensten Situationen miteinander in Kontakt traten. Katholische Dienstboten etwa waren häufig in protestantischen Haushalten beschäftigt, protestantische Kunsthandwerker arbeiteten für katholische kirchliche Auftraggeber, und katholische und protestantische Handwerksgesellen arbeiteten im Falle von Auseinandersetzungen mit den Meistern zusammen. Besonders hervorzuheben ist, daß sich in Augsburg keine konfessionell einheitlichen Wohngebiete entwickelten. Katholiken und Protestanten wohnten in denselben Stadtvierteln und Straßen.
Während Katholiken und Protestanten einerseits Geschäfte miteinander machten und als Nachbarn zusammenlebten, grenzten sie sich andererseits in einer Reihe von Lebensbereichen deutlich gegeneinander ab. Dies gilt vor allem für den Bereich der Familie: In Augsburg gab es im 18. Jahrhundert sehr wenige konfessionell gemischte Trauungen (zwischen 1774 und 1779 weniger als ein Prozent!), und im späteren 17. und 18. Jahrhundert läßt sich eine zunehmende konfessionelle Abgrenzung im Bereich der Vornamensgebung feststellen. Auch hinsichtlich des Fassadenschmucks der Häuser, der Wohnungseinrichtungen oder der Frauenkleidung bestanden deutliche konfessionell bedingte Unterschiede. Glaubensübertritte kamen zwar durchaus vor, doch waren die meisten Konvertiten relativ junge, 'heimatlose' und häufig in sozialer Abhängigkeit (z.B. als Knechte oder Mägde) lebende Personen; der Wechsel der Konfession erscheint häufig als Bruch mit der Familie und der vorherigen sozialen Umgebung des Konvertiten. Vereinzelte gewaltsame Zusammenstöße zwischen Mitgliedern der beiden Konfessionen wie ein Tumult im Jahre 1718, der zwei Menschenleben forderte, sind nach übereinstimmender Auffassung der Historiker als Ausnahmen anzusehen, die den Regelfall eines friedlichen Zusammenlebens bestätigen.
Konfession und Kultur
Unter beiden großen Konfessionen im paritätischen Augsburg entwickelte sich im späteren 17. und 18. Jahrhundert ein intensives und vielfältiges religiöses Leben, auf das die konfessionelle Konkurrenzsituation offensichtlich zusätzlich stimulierend wirkte. Die Stadt zählte gegen Ende des 18. Jahrhunderts 500 bis 550 Ordens- und Weltgeistliche, was drei bis vier Prozent der damaligen katholischen Bevölkerung entspricht. Katholische Frömmigkeit konkretisierte sich in zahlreichen Wallfahrten (etwa nach Biberbach, Andechs und Klosterlechfeld), feierlichen Prozessionen, einer lebhaften Heiligenverehrung und in zahlreichen Laienbruderschaften. Große Bedeutung hatten auch die katholischen Kontroverspredigten, die regelmäßig viermal im Jahr in den großen Augsburger Kirchen stattfanden und zumeist von Jesuiten gehalten wurden. Diese Predigten, die für die Augsburger Katholiken eine einheitsstiftende Funktion hatten, erhielten großen Zulauf, wurden zumeist nachgedruckt und teilweise in größeren Sammlungen zusammengefaßt. Neben ihrer Tätigkeit als Kontroversprediger waren die Jesuiten weiterhin durch ihre Aktivitäten im Bildungswesen bedeutsam. Am Jesuitenkolleg St. Salvator, der bevorzugten höheren Schule der katholischen Oberschicht der Stadt, unterrichteten im Jahre 1768 36 Patres 734 Schüler. Auch nach der Aufhebung des Jesuitenordens im Jahre 1773 konnten die ehemaligen Ordensmitglieder ihre Bildungstätigkeit nahezu unbehelligt fortführen. Im Bereich der katholischen Mädchenbildung trat das 1662 gegründete Institut der englischen Fräulein hervor. Einen Höhepunkt des öffentlichen katholischen Lebens der Stadt im 18. Jahrhundert stellte der Besuch Papst Pius' VI. in Augsburg im Mai 1782 dar.
Der Wille der Augsburger Protestanten zu einem Neuanfang manifestierte sich zunächst besonders deutlich im Wiederaufbau der im Dreißigjährigen Krieg abgerissenen evangelischen Heilig Kreuz-Kirche, der 1652/53 mit Hilfe von Geldern durchgeführt werden konnte, die der Pfarrer Thomas Hopfer auf einer Reise, die ihn bis nach Schweden führte, zusammengetragen hatte. Das Gegenstück zur katholischen Kontroverspredigt bildete auf protestantischer Seite das Friedensfest, das unmittelbar nach dem Westfälischen Frieden zum Gedenken an die 'Errettung' der Protestanten eingerichtet wurde und seit 1650 jährlich am 8. August (dem Jahrestag der Verkündung des Restitutionsedikts) in Augsburg gefeiert wird. Im späteren 17. und 18. Jahrhundert wurde das Fest mit großem Aufwand begangen (besonders in den Jubiläumsjahren 1717, 1730, 1748 und 1755). Neben den evangelischen Festgottesdiensten entwickelten sich gesonderte Veranstaltungen für Kinder, an die neben Süßigkeiten eigens zu diesem Zweck angefertigte sogenannte 'Friedensgemälde' verteilt wurden, zu integralen Bestandteilen dieser protestantischen Feier- und Gedenktage. Wie die katholische Kontroverspredigt diente das evangelische Friedensfest der symbolischen Abgrenzung von den jeweils Andersgläubigen und der Demonstration von Einheit und Solidarität der eigenen Glaubensgemeinschaft.
Innerhalb des Augsburger Protestantismus gewann seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts die Erneuerungsbewegung des Pietismus Anhänger. Erster bedeutender Vertreter dieser Richtung war Gottlieb Spitzel (1639-1691), seit 1661 Diakon bei St. Jakob, seit 1682 Pfarrer und 1690 Senior der evangelischen Geistlichen, der auch als Kirchen- und Religionshistoriker hervortrat. Als Theologe sah Spitzel seine vorrangige Aufgabe im Kampf gegen Unglauben und antireligiöse Strömungen. In der Nachfolge des Begründers des Pietismus, Philipp Jakob Spener, propagierte er eine gefühlsbetonte, innere Frömmigkeit, gleichzeitig aber auch die Notwendigkeit, an den Grundprinzipien der lutherischen Lehre festzuhalten. Pietistisch geprägte Laien ergriffen um die Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert die Initiative zur Gründung eines Armenkinderhauses.
Mit der von einflußreichen evangelischen Ratsherren gegen den anfänglichen Widerstand eines Teils der Geistlichkeit geförderten Berufung Samuel Urlspergers (1685-1772) zum Pfarrer von St. Anna (1722) fand schließlich der Pietismus Halle'scher Prägung Eingang in den Augsburger Protestantismus. Als 1731/32 Gruppen von Protestanten, die der Salzburger Fürstbischof aus seinem Territorium ausgewiesen hatte, durch Schwaben zogen, organisierte Urlsperger in Augsburg ihre Unterbringung, Verpflegung und Weiterreise. Aufgrund seiner seit 1712 bestehenden Kontakte zur 'Society for Promoting Christian Knowledge' in London, die bestrebt war, arme und verfolgte Protestanten für die neugegründete Kolonie Georgia in Nordamerika zu rekrutieren, kam Urlsperger eine zentrale Rolle bei der Vermittlung von Salzburger Protestanten nach Georgia zu.
Zwischen 1733 und 1741 organisierte der Augsburger Pfarrer vier Salzburger Auswanderertransporte nach Amerika, sammelte Spendengelder für die dort gegründete Siedlung Eben-Ezer und brachte die Briefe und Berichte, die die Pastoren der Salzburger Emigranten über ihre Aufbauarbeit nach Europa sandten, in Augsburg zum Druck - nicht ohne sie vorher erheblich zu redigieren und von schlechten Nachrichten zu 'reinigen'.
Unter Urlspergers Seniorat wurde auch Jacob Brucker (1696-1770) zum Prediger der Heilig Kreuz-Kirche (1744) und Pfarrer von St. Ulrich (1757) berufen. Brucker, zweifellos einer der herausragenden Augsburger Gelehrten des 18. Jahrhunderts, machte sich als Verfasser einer fünfbändigen Philosophiegeschichte, die vor allem durch eine Reihe von Auszügen und Kurzfassungen bekannt wurde, sowie einer Sammlung von Lebensbildern deutscher Gelehrter seiner Zeit einen Namen. Seinem Versuch, 1746 mit Paul von Stetten d.Ä., Elias Herwart u.a. eine historisch orientierte gelehrte Gesellschaft 'Ad insigne pinus' ins Leben zu rufen, war allerdings kein dauerhafter Erfolg beschieden. Im Gegensatz zu vielen anderen mitteleuropäischen Städten blieb die Gründung gelehrter Gesellschaften und Sozietäten in Augsburg immer wieder in Ansätzen stecken. Die Pflege gelehrter Interessen blieb entweder eine individuelle Angelegenheit oder erfolgte über die Korrespondenz mit auswärtigen Gleichgesinnten.
Die letzten Jahrzehnte der Reichsfreiheit: eine Stadt im Niedergang?
In den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts wurde es unter den Vertretern der deutschen Aufklärung populär, ihre Beurteilung der gesellschaftlichen Zustände in die Form von Reiseberichten zu kleiden. Aufklärer wie Friedrich Nicolai, Christian Friedrich Daniel Schubart oder Johann Pezzl richteten dabei einen kritischen Blick auf Augsburg und fanden viel an der Reichsstadt auszusetzen. Die pointierteste, aber wohl auch polemischste Kritik stammt von Wilhelm Ludwig Wekhrlin, der unter dem Pseudonym Anselmus Rabiosus eine 'Reise durch Oberdeutschland' (1778) verfaßte. Für Wekhrlin glich die einst bedeutende Handelsstadt 'einem von der Abzehrung angegriffenen Körper, welcher mit sich selbst kämpft'. An die Stelle der einstmals blühenden Kunst sei 'die gröbste Barbarei' getreten. Augsburgs Stellung als Reichsstadt war für ihn eine Chimäre, da die Stadt faktisch vom bayerischen Kurfürsten vollständig abhängig sei. Über die Patrizier, Kaufleute und den 'Pöbel' hatte er ebenfalls wenig Positives zu sagen. Die Patrizier bildeten sich zwar viel auf ihre Wappen und Titel ein, lebten aber 'in einer melancholischen Armut, welche sie der Verachtung der Bürgerschaft aussetzt'. Unter den Kaufleuten gab es Anselmus Rabiosus zufolge zwar einige tüchtige und weitblickende Männer, doch der 'Geist der meisten übrigen erstreckt sich nicht viel über den Geist eines Teewrackers zu Amsterdam'. Für den Augsburger Konzertbetrieb hatte er ebenso nur Spott übrig wie über die Bemühungen der Stadt, ein neues Theater zu bauen. Daß sich das Theater aufgrund architektonischer Mängel als 'unbrauchbar' erwies, kommentierte er mit den Worten: 'Dieses Schicksal war unvermeidlich bei einem Volke, welches zuviel Stolz besitzt, um Fremde zu Rat zu ziehen, und zuwenig Genie um etwas von selbst zu machen'. Wekhrlins herbste Kritik richtete sich jedoch gegen die Parität, die er als 'Drachen' bezeichnete und als kleinliches, bigottes und reformfeindliches System brandmarkte: 'Diese Parität ist so weit von ihrem wahren Charakter, dem Duldungsgeist, entfernt, daß jede von den zwo Religionspartien alle Augenblick bereit ist, der andern den Hals zu brechen, wenn der Magistrat nicht in beständiger Wachbarkeit bliebe. In der Tat bei einer so unglücklichen Stellung des Publici kann man die Grenzen nicht genau genug hüten'.
Sicherlich wäre der Nachweis nicht schwierig, daß Wekhrlins Bild sehr einseitig war und der Autor offenkundig versuchte, seine Leser zu provozieren (dabei schreckte er auch vor der Behauptung nicht zurück, daß 'die Natur den Augsburgerinnen keine Brüste und große Füße gegeben hat'!). Dennoch lohnt es sich, über die Gründe nachzudenken, warum gerade die Repräsentanten der Aufklärung im späteren 18. Jahrhundert der alten Reichsstadt vergleichsweise wenig abgewinnen konnten. Da ist zum einen die überragende Bedeutung der Parität; die Aufklärer hatten zweifellos recht, wenn sie feststellten, daß die strikte Wahrung der Parität wenig mit religiöser Freiheit und Toleranz zu tun hatte, doch übersahen sie, daß die Parität über ein Jahrhundert lang ein weitestgehend friedliches Zusammenleben von Katholiken und Protestanten in einer großen Reichsstadt ermöglicht hatte. Die obrigkeitliche Zensur religionskritischer und aufklärerischer Schriften kann aus dieser Perspektive nicht einfach als Zeichen geistiger Engstirnigkeit gesehen werden, sondern entsprang dem Wunsch des Rates nach Ausbalancierung der konfessionellen Gegensätze in der paritätischen Stadt. Zweitens vermißten die Aufklärer in Augsburg die für das Zeitalter vielerorts typischen Formen der Geselligkeit und bürgerlichen Öffentlichkeit. Wie bereits erwähnt, war Augsburg kein Zentrum gelehrter Gesellschaften und Sozietäten. Die bedeutendste Initiative in dieser Hinsicht war die Neuorganisation der städtischen Kunstakademie unter Federführung Paul von Stettens d.J. und Georg Friedrich Branders im Jahre 1779. Augsburger Patrizier und Bankiers wie Paul von Stetten, die Familie Halder und der aus Venedig stammende Kaufmann und Bankier Joseph Paul von Cobres pflegten ihre gelehrten und literarischen Interessen bevorzugt im privaten Raum ihrer Bibliotheken, und das Sortiment der führenden katholischen Buchhandlungen wie Veith und Wolff mutete den Reisenden aus dem protestantischen Norddeutschland fremdartig an. Somit fanden die Aufklärer in der Reichsstadt nur wenige 'kongeniale Geister' vor, und es ist bezeichnend, daß vielen auswärtigen Beobachtern der in Augsburg selbst heftig umstrittene und vor allem bei den Webern höchst unbeliebte Kattunfabrikant Johann Heinrich von Schüle als Mann von besonderem Weitblick und Exponent einer fortschrittlichen Haltung erschien.
Schließlich wurde das Urteil der aufklärerischen Reisenden auch dadurch beeinflußt, daß die wirtschaftliche und gesellschaftliche Lage Augsburgs in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts gleichermaßen von Prosperität und Stagnation geprägt war. Augsburg war ein wichtiger Bankenplatz, ein florierendes Zentrum der Textilverarbeitung, des Buch- und des Kunstgewerbes, und eine Stadt mit einer vielfältigen und differenzierten Gewerbestruktur. Bürgerlicher Reichtum fand noch in den letzten Jahren der Reichsfreiheit in bedeutenden Stiftungen seinen Niederschlag. Im Jahre 1805 vermachte der Juwelier Johann Gottlieb Klaucke dem Armenhaus und der evangelischen Kirche beinahe eine halbe Million Gulden, und im selben Jahr hinterließ Anna Barbara von Stetten fast 300.000 Gulden zur Aufstockung mehrerer bestehender Stiftungen und zur Gründung einer höheren Mädchenschule. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts bestanden in Augsburg jeweils 18 Stiftungen für den Evangelischen Kultus und das Schulwesen sowie 98 wohltätige Stiftungen. Zugleich waren Krisensymptome wie die Verarmung des Weberhandwerks bei gleichzeitiger Prosperität der Kattundrucker oder der Niedergang traditioneller Gewerbe wie der Goldschmiedekunst oder des Bortenmacherhandwerks unübersehbar. Zwischen 1781 und 1806 waren 1100 bis 1400 Personen regelmäßig auf öffentliche Armenunterstützung angewiesen; der Anteil der Unterstützungsbedürftigen an der Stadtbevölkerung lag meist zwischen vier und fünf Prozent. Die Bevölkerung Augsburgs schließlich stagnierte in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts bei 28.000 bis 30.000 Einwohnern.
Daß die städtische Verwaltung und Justiz in den letzten Jahrzehnten der Reichsstadtzeit zwar mit Schwierigkeiten zu kämpfen hatten, dabei aber durchaus noch handlungsfähig waren, zeigt sich beispielhaft im Bereich der Kriminalität und Strafjustiz. Zwischen 1780 und 1805 wurden 375 Urteile in Strafsachen gefällt, von denen insgesamt 580 Personen betroffen waren; dies entspricht durchschnittlich 14 Fällen pro Jahr. Bei 45 Prozent der Fälle handelte es sich um 'Bereicherungsdelikte', zumeist um Diebstähle; 72mal kam es zu Verurteilungen wegen Vergehen im Bereich der Sexualität (uneheliche Schwangerschaften, Ehebruch, Vergewaltigung). Ferner wurden 31 Verstöße gegen Ruhe und Ordnung sowie Angriffe auf Leib und Leben, einige 'politische' Vergehen (Verbreitung von Schmähschriften, Widerstand gegen reichsstädtische Beamte) und 18 Fälle von Amtsvergehen geahndet. Die Stadt war also offensichtlich von erheblichen politischen, administrativen und wirtschaftlichen Problemen geplagt, bei der Verbrechensbekämpfung aber noch immer handlungsfähig.
Eine krisenhafte Entwicklung, die sich längerfristig als besonders fatal erweisen sollten, blieb fast allen zeitgenössischen Beobachtern verborgen: Die zunehmende Verschuldung der Stadt seit der Wirtschaftskrise von 1770/72, die schließlich in eine akute Finanzkrise mündete. In der durch verheerende Mißernten in weiten Teilen Europas und eine damit verbundene drastische Verteuerung der Lebensmittel hervorgerufenen Wirtschaftskrise der Jahre 1770-1772 entstanden dem städtischen Haushalt, der bis dahin ausgeglichen war, durch Einnahmeausfälle und Ausgaben für Getreidekäufe Verluste in Höhe von rund 400.000 Gulden. In der Folgezeit nahm die Verschuldung der Stadt - trotz des Wegfalls der außerordentlichen Belastungen - weiter zu; allein zwischen 1770 und 1790 erhöhte sie sich um fast 90 Prozent auf rund 1,6 Millionen Gulden. Seit 1770/71 überstiegen die städtischen Ausgaben regelmäßig die Einnahmen; die Stadt mußte immer größere Beträge für den Schuldendienst ausgeben. Als Hauptursache für die Verschuldung der Stadt sind somit nicht etwa außerordentliche Belastungen durch Kriege oder wirtschaftliche Krisen, sondern mangelnde Haushaltsdisziplin, die Unübersichtlichkeit der reichsstädtischen Finanzverwaltung sowie die Tatsache anzusehen, daß der Geheime Rat gegenüber den Mitgliedern des Kleinen Rates nicht zur Rechnungslegung verpflichtet war. In den Jahren 1771/72 und 1788 beschäftigten sich zwar vom Rat eingesetzte Kommissionen mit der Frage einer möglichen 'Ökonomieverbesserung', also einer Verwaltungs- und Finanzreform; Impulse für eine wirkliche Reform gingen von diesen Kommissionen aber nicht aus. Den entscheidenden Katalysator für weitergehende Reformanstrengungen und die Formierung einer bürgerlichen Oppositionsbewegung bildete jedoch ein Ereignis, das zunächst mit der Finanzkrise der Stadt in keinem Zusammenhang stand: der Weberaufstand von 1794.
Den Hintergrund bildete ein Streit zwischen dem städtischen Weberhandwerk auf der einen, den Kattunfabrikanten und Kaufleuten auf der anderen Seite um die Einfuhr außerhalb Augsburgs produzierter, vor allem ostindischer Kattune, der seit den 1760er Jahren im Gange war. 1762 waren die Kattuneinfuhren zwar beschränkt worden, doch gingen diese Beschränkungen den Webern nicht weit genug und wurden obendrein von den Fabrikanten unterlaufen. Bereits 1784/85 war es zu Unruhen im Weberhandwerk gekommen, die im Oktober 1785 durch einen Kompromiß beigelegt werden sollten, demzufolge die Fabrikanten und Kaufleute sich verpflichteten, doppelt so viele in Augsburg hergestellte Kattune wie auswärtig produzierte Tuche abzunehmen. Das Abkommen des Jahres 1785 sorgte vorübergehend für Ruhe und Ordnung in der Stadt, ohne doch die tiefen Gräben, die die vergangenen wirtschaftlichen und sozialen Konflikte aufgerissen hatten, auf Dauer schließen zu können. Vor allem versäumte es der Rat, durch wirtschafts- und sozialpolitische Maßnahmen auf eine Verbesserung der krisenhaften Situation der Weber hinzuarbeiten. Konflikte zwischen Kaufleuten, Fabrikanten und Webern gärten in der Folgezeit weiter: Während sich die Weber über zu hohe Einkaufspreise für Wolle beschwerten, kritisierten Händler und Manufakturbetreiber die mangelhafte Qualität der Augsburger Webwaren.
Am 29. Januar 1794 eskalierte der seit Jahren schwelende Streit in einem Aufstand der Weber. Nahezu 300 Webermeister drangen in eine Sitzung des Magistrats auf dem Rathaus ein und forderten ein unverzügliches Importverbot für auswärtige Waren sowie die Einsetzung einer Deputation zur Untersuchung ihrer Beschwerden. Der Magistrat beugte sich dem Druck der Menge und verkündete ein entsprechendes Dekret. Als er in der Folgezeit versuchte, das Dekret zurückzunehmen, löste dies einen weiteren Aufruhr aus. Eine aufgebrachte Menge zog am 25. Februar vor das Haus des Stadtpflegers von Stetten, holte den höchsten Repräsentanten der Stadt aus seiner Wohnung heraus und nötigte ihn, für die erneute Bestätigung des totalen Einfuhrstops zu sorgen.
Unter dem Eindruck der Unruhen gab der Rat am 8. März einer bürgerlichen Forderung nach, daß künftig nur noch Einheimische als Stadtbedienstete angestellt werden sollten, und stimmte eine Woche später einem Vorschlag des Ratskonsulenten von Schaden zu, einen aus sechs Ratsherren und 16 von der Bürgerschaft direkt gewählten Deputierten bestehenden Bürgerausschuß einzusetzen. Der Ausschuß sollte die Beschwerden der Bürgerschaft untersuchen, gegenüber dem Rat aber nur eine beratende Funktion einnehmen. Das Gremium, in das überwiegend Angehörige der wirtschaftlichen Oberschicht wie die Bankiers Liebert und Obwexer gewählt wurden, wurde vom Reichshofrat in Wien als verfassungswidrige Neuerung aufgehoben. Ende des Jahres sorgte die Einquartierung von 670 Mann württembergischen Kreismilitärs für neue Unruhe in der Stadt, und zu Beginn des folgenden Jahres stellte sich die Kaufleutestube an die Spitze der Bürgeropposition und verlangte die Einberufung des ansonsten nur einmal im Jahr zusammentretenden Großen Rates. Ein Ausschuß des Großen Rates erreichte den Abzug des Kreismilitärs, und das Ausschußmitglied Christoph von Zabuesnig, zugleich einer der Vorsitzenden der Kaufleutestube, sorgte mit einer kritischen Schrift über den Zustand des Stadtregiments für Aufsehen. Einen neuralgischen Punkt bildete die Geheimhaltung der finanziellen Verhältnisse der Stadt, da nur die Stadtpfleger und die Geheimen Räte Einblick in die Einnahme- und Ausgabenbücher der Stadt hatten. 1797 ordnete der Reichshofrat die Auflösung auch dieses Ausschusses an. Selbst innerhalb des Magistrats übten einzelne Ratsherren wie der Steuermeister von Herwart und der Oberpfleger von Seida deutliche Kritik an der Finanzpolitik (Seida wurde dafür sogar seiner Ämter enthoben), und der letzte evangelische Stadtpfleger, der seit 1792 amtierende jüngere Paul von Stetten, verfaßte mehrere Denkschriften über Möglichkeiten zur Sanierung der Stadtfinanzen, doch wurde der Handlungsspielraum dafür nach Ausbruch der Französischen Revolutionskriege, die 1796 zu einer militärischen Besetzung Augsburgs durch die Franzosen führten, äußerst gering. Die in einer Phase anhaltender Prosperität aufgehäuften Schulden ließen sich in Kriegszeiten nicht beseitigen.
Ein Vortrag, den Paul von Stetten 1801 über das 'zerrüttete Finanz-, Ökonomie- und Polizeiwesen und dessen unumgängliche Verbesserung' hielt, führte im folgenden Jahr zur Bildung einer weiteren Ökonomiedeputation, der neben den beiden Stadtpflegern, zwei Mitgliedern des Geheimen und zwei weiteren des Kleinen Rats auch die beiden Vorsteher der Kaufleutestube angehörten. Die Berücksichtigung der Kaufmannschaft ist vor dem Hintergrund der dringenden Kreditbedürftigkeit der hochverschuldeten Reichsstadt zu sehen. Die von dieser Deputation ausgearbeiteten Grundsätze einer Finanzreform wurden zwar noch im selben Jahr verabschiedet, sahen aber keine wirklich einschneidenden Maßnahmen vor, und auch die Säkularisation der auf reichsstädtischem Territorium liegenden kirchlichen Güter 1802/03 brachte der Stadt keinen finanziellen Gewinn. Ein 1804 ausgearbeiteter Reformplan, der weiterreichende Änderungen in Verwaltung und Rechnungswesen vorsah, an der Vorherrschaft des Patriziats aber nicht grundsätzlich rüttelte, wurde mit der Mediatisierung der Reichsstadt 1806 ebenso obsolet wie eine 1804 angestrengte Klage der Kaufmannschaft gegen den Magistrat vor dem Reichshofrat, die 1803 durch die Aufnahme dreier jüdischer Bankhäuser, welche der Stadt dafür Kredite zugesichert hatten, veranlaßt wurde.
Das Bild, das die Reichsstadt Augsburg vor dem Übergang an Bayern bietet, ist somit durchaus ambivalent: einer zwar mit Schwierigkeiten kämpfenden, in der Substanz aber durchaus intakten privaten Wirtschaft standen ein maroder städtischer Verwaltungsapparat und ein fast bankrotter städtischer Haushalt gegenüber. Gegen die Politik des Magistrats hatte sich zwar seit 1794 eine von vermögenden Kaufleuten angeführte bürgerliche Oppositionsbewegung formiert, doch waren deren Forderungen keineswegs revolutionär, sondern zielten primär auf Reformen in der Verwaltung und Kontrolle der Finanzen ab. Ob die Reichsstadt allerdings in der Lage gewesen wäre, die notwendigen Reformen auch aus eigener Kraft durchzuführen, läßt sich aus der Rückschau nicht eindeutig entscheiden, erscheint aber höchst fraglich.