von Volker Dotterweich

Eröffnung der Eisenbahnlinie Augsburg - München, 1840
Eröffnung der Eisenbahnlinie Augsburg - München, 1840

Säkularisation, Mediatisierung und bayerische Reformen schnitten tief in die politische Geschichte Augsburgs ein. Sie markieren das Ende der Reichskirche, den Verlust der politischen Selbständigkeit des Stadtstaates, die Eingliederung der Stadt in das Königreich Bayern, die Abschaffung geburtsständischer Privilegien und die Neuordnung der kommunalen Verwaltung. Manche Reformmaßnahmen der Montgelas-Zeit wirken in ihren Grundstrukturen bis in die Gegenwart hinein fort, in anderen Bereichen, wie zum Beispiel dem der Gemeindeverfassung, blieb noch vieles im Fluß. Ohne Zweifel stellen jedoch die Umwälzungen der Ära Montgelas eine der wesentlichen Voraussetzungen des 'Modernisierungsprozesses' dar, den Augsburg im 19. Jahrhundert durchlief.

Grundlegende Veränderungen der Bevölkerungs-, Sozial- und Wirtschaftsstruktur der Stadt vollzogen sich Ende der dreißiger, Anfang der vierziger Jahre. Damals brach Augsburg, begünstigt durch die Wasserkraft von Lech und Wertach, das zur Anlage drängende Investitionskapital seiner Bankhäuser und die Linienführung des Eisenbahnbaus, mit der Gründung von mechanischen Baumwollspinnereien und Webereien (zuerst 1837) sowie der Errichtung von Maschinenfabriken (seit 1840) kraftvoll ins Industriezeitalter auf. Der Nationalökonom Friedrich List, der als Mitarbeiter der von Cotta verlegten 'Allgemeinen Zeitung' in Augsburg sein 'Nationales System der politischen Ökonomie' (1841) abschloß, sah voraus, daß die Zukunft der Stadt in der Industrie lag. Tatsächlich gelang es dem Augsburger Unternehmertum scheinbar mühelos, sich an die Spitze der Industrialisierung in Süddeutschland zu stellen und im Bereich der großbetrieblichen Textilerzeugung eine historische Pionierleistung zu vollbringen, die durch den Bau der Bahnstrecken nach München (1840), Kaufbeuren (1847), Nürnberg (1849) und Ulm (1853) eindrucksvoll unterstrichen wurde.
War die Bedeutung Augsburgs als Verkehrsknoten und Wirtschaftsmittelpunkt unbestritten, so hatte die Stadt ungleich schwerer um ihre Anerkennung als Zentralort (Bayerisch-)Schwabens zu ringen. Denn im Unterschied zu Nürnberg, das als Reichsstadt ein ausgedehntes Territorium besaß, hatte Augsburg keinerlei Tradition als Gebietshauptstadt. Erst allmählich wuchs die Stadt als Sitz von Kreisregierung (1817), Appellationsgericht, Mittelbehörden von Bahn und Post, einer starken Garnison und eines gut ausgebauten weiterführenden Schulwesens in ihre zentralörtliche Funktion hinein. Überregionale politische Impulse gingen von Augsburg im 19. Jahrhundert nur mehr auf dem Wege der politischen Willensbildung im Rahmen der Wahlen zum bayerischen Landtag, zur deutschen Nationalversammlung 1848, zum Zollparlament und seit 1871 zum Deutschen Reichstag aus. Die Voraussetzungen hierfür schufen politische Vereine, die eine Vorstufe der Parteien darstellen und sich, wie überall im Deutschen Bund, im Umfeld der Revolution von 1848/49 zunächst auf lokaler Ebene ausbildeten.

Gemeindeverfassung

Für die politische Partizipation des Bürgertums und seine dauerhafte Bindung an den neuen bayerischen Staat stellten indes die Gemeindeordnung vom 17. Mai und die Verfassung des Königreichs Bayern vom 26. Mai 1818 die Weichen. Bereits nach wenigen Jahren erwiesen sich Montgelas' Gemeindeedikte praktisch als undurchführbar. Unmittelbar nach dem Sturz des mächtigen Mini-sters gab die Münchener Bürokratie die Verstaatlichung der Gemeindeverwaltung sowie des Gemeinde- und Stiftungsvermögens zugunsten des kommunalen Selbstverwaltungsgedankens auf. Denn, so führte Georg Friedrich Freiherr von Zentner vor dem bayerischen Staatsrat aus, 'ohne eine dem Geist der Zeit und der Kultur des Volkes entsprechende Gemeinde-Verfassung ist eine allgemeine Staatsverfassung nicht denkbar; sie ist die Grundlage aller politischen Institutionen im Staate'. Die Erziehung zu politischer Mitverantwortung und die Bindung der Bürger an Staat und Dynastie war somit eines der wesentlichen Motive für die gründliche Revision des bayerischen Gemeinderechts, das nun für ein Jahrhundert die Grundlage der Augsburger Stadtverfassung war.

Die neue Gemeindeordnung verfügte die freie Wahl der Gemeindebevollmächtigten und gab der Stadt, ohne auf das Aufsichtsrecht des Staates und die Kontrolle durch den Stadtkommissar (bis 1869) zu verzichten, mit der Verwaltung des Gemeinde- und Stiftungsvermögens, der Erhebung von Gemeindeumlagen, der Erteilung des Bürgerrechts, der Gewerbebewilligung, der Organisation des Volksschulwesens und der Beaufsichtigung der Ortspolizei einen zwar bescheidenen, aber festumrissenen Wirkungskreis. Schaltstelle der städtischen Verwaltung war der Magistrat (Stadtrat), der sich aus einem Ersten und Zweiten Bürgermeister, vier rechtskundigen Räten (berufsmäßige Stadträte), einem technischen Baurat (Stadtbaumeister), zwölf bürgerlichen Räten und einem Stadtkämmerer zusammensetzte. Dem Magistrat gegenüber übte das Kollegium der Gemeindebevollmächtigten (36 Vertreter der Bürgerschaft, gewählt für neun Jahre, mit Ergänzung eines Drittels in dreijährigem Turnus) die Kontrolle aus. Für die Wahl zum Ersten Bürgermeister und zum rechtskundigen Magistratsrat durch die Gemeindebevollmächtigten waren ein abgeschlossenes akademisches Studium und die bayerische Staatsprüfung, für die zum Zweiten Bürgermeister der Besuch des Gymnasiums Voraussetzung. Nach dreijähriger Amtszeit und Wiederwahl traten der Erste Bürgermeister und die rechtskundigen Räte in ein den Staatsbeamten analoges Dienstverhältnis. Der Zweite Bürgermeister und die bürgerlichen Räte hingegen wurden auf sechs Jahre gewählt. An der Spitze der Verwaltung stand somit ein aus Berufs- und bürgerlichen Wahlbeamten gemischtes, grundsätzlich aber unter maßgeblicher Mitwirkung der Bürgerschaft gebildetes Gremium. Aufs Ganze gesehen verfügten die Augsburger Bürger damit über ein höheres Maß an Selbstbestimmung als jemals zuvor in der Geschichte der Stadt seit Einführung der Karolinischen Regimentsordnung.

Allerdings war das Gemeindewahlrecht von modernen demokratischen Grundsätzen noch weit entfernt. Denn nur diejenigen hatten Stimmrecht, die in der Stadt mit steuerbarem Haus- und Grundbesitz ansässig waren oder Gewerbesteuer zahlten. Als solche besaßen sie das Bürgerrecht neuer Art und wurden in die Liste der Urwähler eingetragen - zwischen 1818 und 1830 durchschnittlich 3320 Personen. Sodann wurde der Magistrat in mehreren Schritten auf indirektem Wege gewählt. Die stimmberechtigten Urwähler wählten rund 80 Wahlmänner, diese das Kollegium der Gemeindebevollmächtigten, dieses wiederum die Magistratsräte. Da sowohl die Gemeindebevollmächtigten als auch die Mitglieder des Magistrats dem höchstbesteuerten Drittel der Bürgerschaft angehören mußten, wirkte sich das passive Wahlrecht eindeutig zugunsten der wirtschaftlichen Oberschicht aus. Nicht weniger als ein Drittel der Gemeindebevollmächtigten von 1818 ging aus der ehemaligen reichsstädtischen Bürgeropposition hervor. Zum ersten Vorsteher der Bürgervertretung wurde der vermögendste Augsburger Bürger, der doppelte Guldenmillionär und Bankier Johann Lorenz Schaezler, gewählt. An die Stelle des Patriziats trat somit eine neue besitzbürgerliche Führungsschicht, die überwiegend dem Handel, den freien Berufen und dem Gewerbe entstammte. Während Industrie und Banken in der ersten Jahrhunderthälfte nur wenige, gleichwohl einflußreiche Vertreter ihrer Interessen in die Gemeindegremien entsandten, zeichnete sich die politische Aufwertung des Handwerkerstandes besonders deutlich ab: 1836 befanden sich bereits zwanzig Handwerker unter den Gemeindebevollmächtigten. Entgegengesetzt verlief die Entwicklung innerhalb des Magistrats. Von ursprünglich drei, vorübergehend auch vier bürgerlichen Magi- stratsräten (1823-1828) aus dem Handwerk war seit 1834 keiner mehr im Amt. Hier behielten Kaufleute, Bankiers und Privatiers unangefochten die Oberhand.

Nach der amtlichen Statistik hatte Augsburg um 1830 rund 29.000 Einwohner. Von ihnen nahm etwa die Hälfte über die wahlberechtigten 'selbständigen Haushaltsvorstände', das heißt die Familienväter, wenigstens indirekt an den Gemeindewahlen teil. Die andere Hälfte blieb von der Wahl vollkommen ausgeschlossen. Zu den Nichtberechtigten gehörten alle 'Mietbewohner und Inleute', alle Unterstützungsbedürftigen und Beschäftigungslosen, die Masse der Taglöhner, Knechte, Mägde und Bediensteten, aber auch die Handwerksgesellen, Manufaktur- und Fabrikarbeiter. Diese politische Deklassierung fiel um so mehr ins Gewicht, als in Augsburg seit der Jahrhundertmitte sowohl die Zahl der Selbständigen ohne Haus- und Grundbesitz (infolge Überbesetzung des Handwerks) als auch der unselbständig Erwerbstätigen (infolge von Industrialisierung und Zuwanderung) sprunghaft anstieg.

Dieser veränderten Bevölkerungs- und Erwerbsstruktur trug die Revision der bayerischen Gemeindeordnung im Jahre 1869 nur bedingt Rechnung. Sie führte das direkte geheime Wahlrecht ein, hob den Zensus für die Wahlfähigkeit der Gemeindebevollmächtigten auf und ließ Gesellen und Fabrikarbeiter zur Gemeindewahl zu, sofern sie das Bürgerrecht erwarben. Dieses setzte die Zahlung einer direkten Steuer und selbständige Haushaltsführung (nicht mehr aber Haus- und Grundbesitz) voraus. Allerdings war der Erwerb des Bürgerrechts eine kostspielige Angelegenheit. Für die Verleihung wurden 1869 zwischen 50 und 100 Gulden erhoben. Dies entsprach dem doppelten Monatsverdienst eines Fabrikarbeiters. Noch 1908, als die Verhältniswahl eingeführt wurde, waren von 100.000 Einwohnern erst 5985 Personen ('Bürger' ab 25 Jahren) wahlberechtigt. So blieb die weit überwiegende Mehrzahl der Gesellen, Lohnarbeiter und Abhängigen noch auf Jahrzehnte hinaus von den Gemeindewahlen ausgeschlossen.

 
Albrecht Volkhardt
Albrecht Volkhardt

Politisches Leben und Parteien 1830-1870/71

In der Zeit der Restauration und des Biedermeier bestimmte politische Abstinenz den Alltag. Seit der Julirevolution in Frankreich, hauptsächlich aber unter dem Eindruck der liberal-demokratischen Bewegung in der bayerischen Pfalz war die Staatsgewalt ängstlich bemüht, jede Form von Opposition zu unterbinden. Eines der ersten Opfer der Polizeimaßnahmen des konservativen Ministeriums Oettingen-Wallerstein war der Drucker und spätere Magistratsrat Albrecht Volkhart, im Vormärz einer der wenigen profilierten Anhänger der liberalen Bewegung in Augsburg. Als er Schriften oppositioneller Demokraten, darunter den 'Bürgerkatechismus' des 'Hambachers' Daniel Ludwig Pistor, herausbrachte, wurde er wegen Hochverrats und fortgesetzter Majestätsbeleidigung zu einer Zuchthausstrafe auf unbestimmte Zeit verurteilt. 1838 kehrte er nach Augsburg zurück, wo er seit 1842 das liberale 'Augsburger Anzeigblatt' verlegte.

Trotz strenger Zensur stellte die Nachrichtenübermittlung durch die Presse das wirksamste Mittel politischer Meinungsbildung dar. In Augsburg, dem Knotenpunkt der Postlinien, erschienen nicht weniger als drei bedeutende Blätter: Cottas liberal-konservative, im Grunde großdeutsche 'Allgemeine Zeitung', mit über 11.000 Abonnenten das führende Organ in Süddeutschland,  in Konkurrenz dazu die protestantisch-fortschrittliche 'Augsburger Abendzeitung', die unter der Redaktion Karl Braters und Gustav Widenmanns Sprachrohr des gemäßigten Liberalismus war, und die katholisch-konservative 'Augsburger Postzeitung'.

Auf die Lokalpolitik schlugen die Grundauffassungen dieser Blätter zunächst nicht durch. Eher schon führten konfessionelle Bindungen zu einer gewissen politischen Polarisierung. Dies verwundert insofern nicht, als noch im 19. Jahrhundert die 'Parität' der Konfessionen den Alltag durchdrang, Ärzte und Hebammen, Gastwirte und Handwerksmeister je nach Bekenntnis frequentiert wurden. Als den Katholiken in beiden Gemeindegremien die Mehrheit zufiel, entzündeten sich in den vierziger Jahren an den Gemeindewahlen, an der Führung der Gemeindegeschäfte und der städtischen Stiftungsverwaltung wiederholt heftige, konfessionell gefärbte Konflikte, die sich 1848/49 zum erstenmal zu parteipolitischer Konfrontation verdichteten.

In den Revolutionsjahren entwickelte sich Augsburg, im Unterschied zu den kleineren Städten in Schwaben wie Kempten, Immenstadt oder Nördlingen, wo der demokratische Liberalismus Fuß faßte, unter dem Einfluß seines Ersten Bürgermeisters Georg Forndran zu einem liberal-konservativen Stützpunkt. Ausschreitungen wie in den ersten Märztagen, als aufgebrachte Bürger katholische Magistratsräte wegen konfessioneller Voreingenommenheit angriffen, blieben die Ausnahme. Statt dessen ging aus einer Volksversammlung vor dem Rathaus (4. März 1848) eine Adresse mit 2000 Unterschriften an den König hervor, welche die typischen Forderungen des gemäßigten Liberalismus enthielt: Reform des Deutschen Bundes, Presse-, Vereins- und Versammlungsfreiheit, öffentliche Gerichtsverfahren und Geschworenengerichte, Aufhebung der Verbrauchssteuern, Ministerverantwortlichkeit und Änderung des Gemeinde- und Landtagswahlrechts 'in dem Umfange, daß sich in der Wahl auch der allgemeine Volkswille erkennen lasse'. Als König Ludwig I. zwei Tage später die Erfüllung der 'Märzforderungen' versprach, war für die Augsburger Bürger die revolutionäre Aktion zu Ende. Die politische Initiative lag nun eindeutig bei einem Kreis gemäßigt liberaler Männer aus dem Bildungsbürgertum. Zu ihnen gehörten neben Volkhart der Rechtsanwalt Dr. Adolf Paur, der mit überwältigender Mehrheit in die Frankfurter Nationalversammlung gewählt wurde, der Herausgeber der Zeitschrift 'Das Ausland' Dr. Eduard Widenmann und der Rechtsanwalt und spätere Bürgermeister Dr. Ludwig Fischer. Sie hielten die konstitutionelle Monarchie für die beste Regierungsform und lehnten jede demokratische Wahlrechtsordnung, die auf Kosten der Intelligenz nur 'Hände und Füße' zählte, entschieden ab. Paur wechselte in Frankfurt vom föderalistisch-großdeutschen ins erbkaiserlich-kleindeutsche Lager.

Die Teuerung und Hungerkrise von 1847 berührte die politische Bewegung in Augsburg nur am Rande. Denn Stadtverwaltung und Fabrikherren hatten durch Armenpflege und betriebliche Unterstützungskassen schon frühzeitig ein bescheidenes, aber funktionierendes System der Sozialhilfe geschaffen. Im Revolutionsjahr jedoch trat die Krise, in der sich der gewerbliche Mittelstand befand, offen zutage. Als im April 1848 die Einführung der Gewerbefreiheit diskutiert wurde, riefen die Augsburger Handwerker einen Gewerbeverein ins Leben, der sich entschieden gegen die liberalen Wirtschaftsprinzipien, namentlich gegen Gewerbefreiheit und Freihandel aussprach und statt dessen obligatorische Innungen mit Aufsichtsrecht über die Gesellen sowie Produktionsbeschränkungen für die Fabriken forderte. Diese restaurativen Absichten der zünftigen Meister stießen zuerst im Handwerk selbst auf Widerspruch. Vor allem die Gesellen lehnten die gegen die Unternehmer gerichteten Maßnahmen ab, da die Industrie vielen von ihnen Brot und Arbeit gab.

Standen an der Spitze des Gewerbevereins noch gemäßigte Liberale und Konservative wie Volkhart und Forndran Seite an Seite, so polarisierte der Fortgang der Verfassungsdiskussion in der Frankfurter Paulskirche die politischen Kräfte auch auf örtlicher Ebene. Als erste 'Partei' bildete sich in Augsburg im November 1848 ein vom Klerus wirksam unterstützter 'Konstitutionell-monarchistischer Verein', der im katholisch-konservativen Bürgertum und unter der Landbevölkerung zahlreiche Anhänger fand. Er trat entschieden für das monarchische Prinzip, die großdeutsche Lösung der nationalen Frage, die Interessen des (adeligen) Grundbesitzes und gegen die Einführung der Gewerbefreiheit ein. Bald stellten die Konservativen die stärkste Kraft des Augsburger Wahlkreises dar.

Der konservativen Bewegung gegenüber gründeten die Anhänger der liberalen Paulskirchenmajorität - Volkhart, Fischer, Widenmann - einen 'Deutschen Verein', der sich nachdrücklich für die Annahme der kleindeutschen Frankfurter Reichsverfassung durch Bayern einsetzte, angesichts der erstarkenden Reaktion aber auf verlorenem Posten stand. Noch ungünstiger war die Lage der demokratischen Linken. Zwar hatte auch Augsburg in der republikanischen 'Volkshalle' ein 'subversives Blatt', das bedingungslos für Pressefreiheit, Trennung von Kirche und Schule, allgemeine Wehrpflicht, demokratische Wahlen und Volkssouveränität eintrat, doch erst im April 1849, als der Bamberger Rechtsanwalt Dr. Kronacher zusammen mit dem praktischen Arzt Dr. Nusser einen 'Märzverein' ins Leben rief, um die Bevölkerung für die Annahme der Reichsverfassung durch König Max II. zu mobilisieren, erlebten die Augsburger Demokraten einen gewissen Aufschwung. Eine in der Stadt geplante große Versammlung aller schwäbischen Märzvereine kam jedoch nicht mehr zustande. Kronacher wurde verhaftet, der zweite Vorstand des Vereins sah sich zur Flucht gezwungen.

Indes dämpften nicht allein polizeiliche Verfolgung und Überwachung die politische Aktivität der radikalen wie der gemäßigten Opposition. Auch die Wahlen zum bayerischen Landtag (20. Juli 1849) verliefen für die Augsburger Liberalen äußerst entmutigend. Denn obgleich sie in der Stadt über die Mehrheit der Wahlmänner verfügten, gelang der katholisch-konservativen Richtung mit Hilfe der ländlichen Stimmbezirke ein vollständiger Sieg. Seit August 1849 resignierte die liberale und demokratische Bewegung. Ihre Schwäche hatte nicht zuletzt in der Distanz sowohl zur wirtschaftlich führenden Oberschicht als auch zu Arbeitern und Gesellen ihre Ursache. Ein Untersuchungsbericht der Regierung über Persönlichkeiten, 'welche sich 1848/49 für den allerhöchsten Thron und die Regierung hervorgetan haben', enthielt die Namen nahezu aller großen Augsburger Kaufleute, Bankiers und Fabrikanten. Auf der anderen Seite erwiesen sich aus der Sicht der Regierung die Augsburger Arbeiter 'ihrer konservativen und loyalen Haltung wegen' als 'wahre Stütze für [...] Ruhe und Ordnung'.

Die Zeit der Reaktion, in der politische Vereine verboten waren, unterbrach für mehr als ein Jahrzehnt die kontinuierliche Fortentwicklung des Parteiwesens. Politische Konflikte wurden nun wie ehedem hauptsächlich unter konfessionellen Vorzeichen ausgetragen. Sie führten zu einer hohen Wahlbeteiligung bei den Gemeindewahlen, verlagerten sich aber überwiegend in den Magistrat und die Kammer der Gemeindebevollmächtigten. Hier reichte die Spannweite der Streitgegenstände vom Kampf der liberalen 'Protestanten' gegen die konfessionelle Trennung der Patienten im städtischen Krankenhaus über den Widerstand der katholisch-konservativen 'Ultramontanen' gegen die Niederlassung jüdischer Familien in der Stadt bis hin zur Auseinandersetzung über das Programm des deutschen Nationalvereins.

Mitte der fünfziger Jahre zeichnete sich auf kommunaler Ebene eine politische Wende zugunsten des Liberalismus ab. Denn mit dem Durchbruch der Industrialisierung setzte sich im Bürgertum die Überzeugung durch, daß einer liberalen Wirtschaftspolitik die Zukunft gehöre. Durch ihr Eintreten für die Gewerbefreiheit aber gewannen die Liberalen die Wahlmännerstimmen der einflußreichen Augsburger Unternehmer. Bei den Gemeindewahlen von 1854 erlangten sie erstmals die Mehrheit, 1857 stellten sie alle neu zu wählenden Gemeindebevollmächtigten, 1864 gaben sie sich durch Gründung eines 'Bürgervereins' eine lokale Organisation, mit deren Hilfe sie zwei Jahre später 100 von 108 Wahlmännern stellten.

Noch im selben Jahr löste Ludwig Fischer den langjährigen, nun aber politisch isolierten Ersten Bürgermeister Georg Forndran ab. Fischer erwies sich bald als 'typischer Repräsentant des neuen Augsburger Industriebürgertums'. Er verstand es aber geschickt, sich gegenüber dem 'Rathausliberalismus' eine gewisse Unabhängigkeit zu bewahren und auch bei den Arbeitern Sympathien zu wecken. So trug er durch sein Amt und durch seine Person wie kaum ein anderer dazu bei, dem bürgerlichen Liberalismus in Augsburg seine Integrationsfähigkeit zu erhalten.

Dies war umso bedeutsamer, als im Jahrzehnt der Reichsgründung, weit über lokale Interessen hinaus, die Gründung moderner überregionaler Parteien und die Alternativen zur Lösung der 'deutschen Frage' auf die politische Streitkultur einwirkten. Ohne Zweifel profitierten die Augsburger Liberalen von der Gründung der 'Fortschrittspartei' in Bayern (1863), die bei den Landtagswahlen von 1863 und 1869 im Stadtgebiet überwältigende Erfolge verbuchen konnte. In den Parteiausschuß entsandte Augsburg mit dem Anwalt Dr. Joseph Völk, dem Bankier Hans von Stetten und Bürgermeister Fischer nicht weniger als drei prominente Persönlichkeiten. Diese traten, wenngleich mit deutlichen Vorbehalten, für die kleindeutsch-preußische Nationalstaatsgründung ein. 'Wir liebäugeln nicht mit Bismarck', schrieb 1866 Fischer, 'wenn uns aber keine Wahl mehr bleibt, [...] dann lieber mit dem Teufel als mit Habsburg im Bunde'. Als die Niederlage der Österreicher bei Königgrätz tatsächlich keine Wahl mehr zu lassen schien, vertraute Völk auf die Kraft der liberalen Idee, über 'Junkertum und Absolutismus' in Preußen zu siegen.

Ludwig Fischer
Ludwig Fischer
Fahne der Zahlstelle Augsburg des Zentral-Verbandes der Zimmerer Deutschlands
Fahne der Zahlstelle Augsburg des Zentral-Verbandes der Zimmerer Deutschlands


Die Zollvereinswahlen im Februar 1868 veranlaßten auch das katholisch-konservative Lager, sich eine Parteiorganisation zu geben. Mit der Parole 'Handelspolitische Vereinigung mit dem Norden, aber kein Eintritt in das preußische Reich des Nordbundes!' schickte das Augsburger Wahlkomitee den Anwalt Karl Barth gegen die 'Verpreußungspartei' in den Wahlkampf. Obgleich auf deren Kandidaten, Bürgermeister Fischer, im Stadtgebiet 68 Prozent der abgegebenen Stimmen entfielen, zog Barth mit Hilfe der ländlichen, katholisch-konservativen Wahlkreismehrheit ins Zollparlament ein. Wenig später gründeten die bayerischen Konservativen die 'Patriotenpartei'. Zur selben Zeit konstituierte sich in Augsburg ein katholisch-konservativer Ortsverein, das 'Casino'. An seiner Spitze stand Dr. Max Huttler, die führende Persönlichkeit der Patriotenpartei in Schwaben. Huttler, der 1855 das Benediktinerstift St. Stephan mit päpstlicher Dispens verlassen, mit kirchlicher Hilfe die 'Augsburger Postzeitung' übernommen, dann die 'Neue Augsburger Zeitung' gegründet und schließlich den 'Bayerischen Kurier' erworben hatte, verfügte über eine Pressemacht, die ihm und dem politischen Katholizismus weit über die Stadtgrenzen hinaus zu größtem Einfluß verhalf.

War die Patriotenpartei eng mit der Landbevölkerung, dem Großgrundbesitz und der Kirche verbunden, fand die Fortschrittspartei stärksten Rückhalt im städtischen Bürgertum und in Arbeiterkreisen. Dies änderte sich auch nicht, als der Mechaniker Friedrich Dürr im Auftrag Ferdinand Lassalles in Augsburg am 20. März 1864 eine erste Mitgliedschaft des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins (ADAV) ins Leben rief. Das Ereignis, das damals kaum wahrgenommen wurde, gilt als Gründungsdatum der bayerischen Sozialdemokratie. Erst als der aus Regensburg stammende Schriftsetzer Leonhard Tauscher, die bedeutendste Figur in der Frühgeschichte der örtlichen Arbeiterbewegung, 1867 die Führung des Augsburger ADAV übernahm, geriet der Verein in ein radikales, klassenkämpferisches Fahrwasser. Ein größeres Publikum gewann er dadurch nicht. Am kühnsten war zweifellos Tauschers Versuch, zusammen mit Münchener und Würzburger Freunden eine eigene Arbeiterpartei mit Sitz in Augsburg zu gründen, den Allgemeinen Deutschen Sozialdemokratischen Arbeiterverein. Dieser schloß sich im Mai 1870 der Eisenacher Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP) an.

Der liberale Bürgerverein und das katholisch-konservative Casino waren lockere politische Gesinnungsgemeinschaften. Sie stellten nicht in dem Sinne Organisationseinheiten der Fortschritts- bzw. Patriotenpartei dar wie der sozialdemokratische Ortsverein in seinem Verhältnis zur wesentlich straffer organisierten Sozialdemokratischen Arbeiterpartei. Sieht man von diesem Unterschied ab, dann hatten sich in Augsburg am Vorabend der Reichsgründung die wichtigsten politischen Kräfte formiert, die in der Stadt bis zum Ersten Weltkrieg die Szene beherrschen sollten.

Politische und gesellschaftliche Kräfte  seit 1871

Gebäudeplan von Ludwig Leybold, 1873
Gebäudeplan von Ludwig Leybold, 1873

Schon seit 1866 war der wirtschaftspolitische Ausbau des kleindeutsch-preußischen Zollvereins in Augsburg nicht mehr umstritten. Der Jubel über den Waffenerfolg im Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 brachte die Opposition gegenüber dem protestantischen Norden und dem preußischen Machtstaat so gut wie ganz zum Verstummen. Lediglich unter den Augsburger Sozialdemokraten, die nach dem Sturz Kaiser Napoleons III. mit der französischen Republik sympathisierten, überwog die Abneigung gegen die Annexion von Elsaß-Lothringen. Die Partei sank bei den Reichstagswahlen von 1871 und 1874 zur Bedeutungslosigkeit herab. Vier Jahre später trieb das Sozialistengesetz die sozialdemokratischen Organisationen in die Illegalität und Halblegalität von Gasthaushinterzimmern und Tarnvereinen.


Die konservative Patriotenpartei hingegen folgte, wenn auch nur zögernd, König Ludwig II. und fand sich vorerst damit ab, daß Bayern im Zuge der Nationalstaatsgründung wichtige Souveränitätsrechte verlor. Der mühsam erreichte Konsens wurde jedoch bereits im Frühjahr 1871 empfindlich gestört, als die Entscheidung des I. Vatikanischen Konzils zugunsten der päpstlichen Unfehlbarkeit, die sich aus der Ablehnung dieses Dogmas entwickelnde altkatholische Bewegung und die liberale Schulpolitik des bayerischen Kultusministers Johann von Lutz den Kulturkampf einleiteten. Die Einsetzung eines weltlichen Stadtschulrats, die Planung einer ersten Simultanschule und die Festlegung von Schulsprengeln über die Pfarreigrenzen hinweg reichten in Augsburg aus, um den Konflikt zwischen Staat und Kirche offen ausbrechen zu lassen. Kirchlich-konservative Lehrer, katholische Presse und katholische Vereine mobilisierten die Eltern. Zugleich führte die katholische Sozialbewegung, die sich der Sorgen des kleingewerblichen Mittelstandes, der Gesellen und Arbeiter (Gründung von Arbeiter- und Gesellenvereinen) annahm, durch volksnahe Geistliche wie 'Papa' Anton Hauser oder Kaplan Franz Xaver Gutbrod breite Bevölkerungsschichten dem 'Ultramontanismus' zu. Eine Folge dieser Solidarisierung waren erdrutschartige Verluste der Liberalen bei den Reichstagswahlen von 1874, als fünf von sechs schwäbischen Mandaten an die Patriotenpartei verlorengingen. Selbst den Augsburger Wahlkreis mußte Bürgermeister Fischer einem der hartnäckigsten Verfechter kirchlicher und bayerischer Interessen, Joseph Edmund Jörg, überlassen. Bis 1918 wurde die Stadt im Reichstag nunmehr ausschließlich von Anhängern des politischen Katholizismus vertreten.

 
Abbruch der Wallanlagen beim Gögginger Tor, 1860
Abbruch der Wallanlagen beim Gögginger Tor, 1860

Hingegen gelang es den Liberalen in der Regel bis 1905, die beiden Augsburger Landtagswahlkreise zu behaupten. Am längsten aber, nämlich bis zum Ende des Ersten Weltkrieges, hielt sich die liberale Vorherrschaft im Rathaus. Daran änderte auch das Verhältniswahlrecht nichts, das bei den Kommunalwahlen seit 1908 angewandt wurde. Allerdings übten Zentrum (so nannte sich die Patriotenpartei seit 1887) und Sozialdemokraten seit der Jahrhundertwende im kommunalen Bereich mehr denn je politischen Einfluß aus. Bis dahin gingen die politischen Initiativen in den einzelnen Stadtvierteln im wesentlichen von Bürgervereinen aus. Sie hatten unter anderem Verbesserungen bei der Verkehrserschließung, den hygienischen Verhältnissen und im Schulwesen zum Gegenstand. Dabei befanden sich die Interessen der Stadtrandgebiete nicht selten im Widerspruch zu den Prioritäten des Magistrats, während dem Bürgerverein der inneren Stadt, dem ursprünglichen Kern der liberalen Partei, noch lange der Charakter eines 'verwaltungstreuen' Honoratiorenkomitees anhaftete.

Stärkeres Gewicht hatte die Opposition, die der liberalen Rathausmehrheit aus der politisch und weltanschaulich heterogenen Protestbewegung des kleingewerblichen Mittelstandes erwuchs. Diese organisierte sich seit 1878 im 'Neuen Bürgerverein' und nötigte die Liberalen seit den achtziger Jahren zu Listenverbindungen mit Repräsentanten des Gewerbevereins und selbst 'Ultramontanen'. Gemeinsamkeit bestand vor allem in der Abwehr von Bestrebungen der Augsburger Großunternehmen, über die Kandidatenlisten Einfluß auf die städtischen Steuerausschüsse zu gewinnen. An einer zusätzlichen Belastung der Kleinbesitzer bei gleichzeitiger Schonung der durch staatliche Steuernachlässe begünstigten Großbetriebe war die Mehrheit der Augsburger Liberalen nicht interessiert. Die 1890 ausgegebene Parole 'Keine vorwiegende Vertretung des Großkapitals und der Großindustrie!' sicherte Bürgermeister Fischer erneut die breite Unterstützung durch das Gemeindekollegium. Im übrigen war Fischer bereits im Frühjahr 1882, als Augsburger Textilarbeiter streikten, als scharfer Kritiker sozialer Mißstände aufgetreten.

Erste Streiks hatte es in Augsburg bereits 1868 und 1869 gegeben, als Textilarbeiter und Eisengießer höhere Löhne, Abschaffung von willkürlichen Strafabzügen, Verkürzung der Kündigungsfrist und Entfernung von mißliebigen Meistern forderten. Sie fanden organisatorischen Rückhalt bei den Gewerkschaften, die zur selben Zeit in rascher Folge entstanden. Im allgemeinen jedoch dominierten unter den Augsburger Arbeitern wirtschaftsfriedliche Tendenzen. Vor allem im 'Verband ordnungsliebender Arbeiter' (1893) und in den 'gelben' Werkvereinen (1905), die mit den freien Gewerkschaften konkurrierten, flossen alte hausväterlich-ständestaatliche Vorstellungen, liberale Selbsthilfeideale aus der Frühzeit der Industrialisierung und der Wille vornehmlich qualifizierter und verhältnismäßig gutbezahlter Arbeiter, in die bürgerliche Gesellschaft 'aufzusteigen', zusammen. Vor diesem Hintergrund schien jeder Sozialkonflikt im Widerspruch zum bürgerlichen Leistungsprinzip, dem eigenen Fortkommen und der Kraftentfaltung des 'eigenen' Unternehmens zu stehen.

In Augsburg war die streikgegnerische Bewegung stärker als andernorts. Die Gründe sind in der alten Tradition der betrieblichen Sozialpolitik und in der ausgleichenden Wirkung des katholischen Hintergrunds des überwiegenden Teils der Arbeiter zu suchen; aber auch in dem Gleichgewicht, das sich seit den neunziger Jahren zwischen 'alter' und 'neuer' Arbeiterschaft einstellte, das heißt im Nebeneinander von mehrheitlich weiblichen Textilarbeitern, die in überkommenen Betriebsstrukturen unter Rationalisierungsdruck standen, und sich mit ihrem Betrieb identifizierenden Facharbeitern der spezialisierten Metallbranche. Die seit 1897 aus den Verbänden der Textil- bzw. Eisenbahnarbeiter hervorgegangenen Christlichen Gewerkschaften liefen schließlich der Werkvereinsbewegung in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg den Rang ab.

Sebastianskolonie, Arbeitersiedlung der M.A.N., um 1900
Sebastianskolonie, Arbeitersiedlung der M.A.N., um 1900

Die Großstadt auf dem Weg ins  20. Jahrhundert

Unter dem 34jährigen Regiment Ludwig Fischers (1866-1900) - er wird zu Recht als markantester Politiker der Stadt im 19. Jahrhundert und als einer der bedeutendsten Köpfe des süddeutschen Liberalismus bezeichnet - entwickelte sich Augsburg zu einer modernen Großstadt. 1871 zählte Augsburg rund 51.000 Einwohner. Bis 1910 hatte sich die Bevölkerung verdoppelt, nach der Eingliederung der Stadtrandgemeinden Meringerau/Siebenbrunn (1910), Pfersee und Oberhausen (1911) sowie Lechhausen und Friedbergerau/Hochzoll (1913) gar verdreifacht. Vor allem aber veränderte sich das Stadtbild, da die neuen Verkehrs- und Wirtschaftsbedingungen infolge der Industrialisierung den Ausbau einer zeitgemäßen Infrastruktur erforderlich machten.

Seit 1860, als der Festungscharakter der Stadt aufgegeben, die westliche Stadtmauer niedergelegt und an Stelle des eingeebneten Stadtgrabens ein großzügiger Boulevard angelegt wurde, erhielt Augsburg großstädtische Züge. Im Westen zwischen Altstadt und Bahnhof, wo seit der Barockzeit die Gärten der Patrizier lagen, entstanden gehobene bürgerliche Wohnviertel; in der Stadtmitte gaben Straßendurchbrüche (Hallstraße, Bürgermeister-Fischer-Straße), Straßenaufweitungen (Grottenau) und massive Eingriffe in das Gefüge der Altstadt, denen noch 1913 das Zunfthaus der Weber zum Opfer fiel, der Entwicklung einer modernen Geschäftszone entscheidende Impulse; der heutige Königsplatz, nach Abriß des Gögginger Tores angelegt, wurde zur Verkehrsdrehscheibe. Zur modernen Visitenkarte Augsburgs gehörten sodann repräsentative Großbauten wie das Justizgebäude (1872-1875), der Theaterneubau (1876/77) nach Wiener Architektenentwürfen, das 1907/08 neugestaltete Maximilianmuseum, die Anlage eines Stadtgartens aus Anlaß der Industrieausstellung von 1886, schließlich, südwestlich der Bahn, das 'Thelottviertel' (1907), eine individualistisch geprägte Gartenstadt, nicht minder aber die verkehrstechnische Erschließung der Stadt und ihres Umlandes durch Straßenbahnlinien und Eisenbahnstationen.

Im Kontrast zu den großbürgerlichen Wohnverhältnissen des Westends zeigten die Viertel jenseits von Senkelbach, Wertach und Lech die Kehrseite des rapiden industriellen Wachstums. Östlich und nördlich der Altstadt waren Fabrikanlagen entstanden, in deren Nachbarschaft zwei große Arbeitervorstädte links und rechts der Wertach heranwuchsen. Gleichwohl breitete sich Wohnungsnot aus. Bauprogramme großer Unternehmen zugunsten ihrer Belegschaften sowie Baugenossenschaften konnten die allgemeine Notlage nur lindern. In dieser Zeit entwickelten sich viele der für Augsburg und seine sich an die Stadt rasch heranschiebenden Vororte typischen 'Arbeiterquartiere'.

Industrialisierung, rapide Vermehrung der Arbeiterschicht, Bevölkerungsverdichtung und - trotz Baugenossenschafts- und Konsumvereinswesen - völlig unzureichende sozialpolitische Konzepte bildeten den Hintergrund für den Aufstieg der Sozialdemokratie zu einer Partei mit Massenbasis. Bereits 1890, nach Aufhebung des Sozialistengesetzes, erreichte die SPD bei den Reichstagswahlen in den Arbeitervierteln östlich der Wertach und in Pfersee 60 Prozent der Wählerstimmen, in strukturverwandten Altstadtbezirken über 40 Prozent. 1905 ging der Landtagswahlkreis Augsburg II (Altstadtgebiete und Arbeitervorstädte) erstmals an einen Sozialdemokraten. Nach den Kommunalwahlen vom November 1911 saßen sechs, nach der Eingliederung Lechhausens neun Sozialdemokraten im Gemeindekollegium. Bei den Reichstagswahlen von 1912 erreichte die SPD in Augsburg 29,8 Prozent, deutlich mehr als im Landesdurchschnitt (17,3 Prozent). Eine aktive Sozialpolitik, die Staat, Kommune und Gesellschaft in die Pflicht nahm, war ebenso das Gebot der Stunde wie die politische Integration der Arbeiterbewegung. Die nationale Burgfriedenspolitik bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges konnte die politischen Versäumnisse des Kaiserreichs noch einmal kurzfristig überdecken, Ersatz für grundlegende politische Reformen war sie nicht.

Die Zeit des Ersten Weltkriegs


Die patriotischen Emotionen, die Augsburg bei Kriegsausbruch erlebte, glichen denen in anderen deutschen Städten. Als die Mobilmachungsorder bekannt wurde, zogen junge Leute in Scharen begeistert zu den Kasernen, zum Hauptbahnhof und zum Denkmal für die Gefallenen des Krieges von 1870/71 auf dem Fronhof. Die Ausbrüche einer siegesgewissen, auch aggressiven Hurra-Stimmung überlagerten den Ansturm kleiner und kleinster Sparer auf die Sparkassen und die Hamsterkäufe besorgter Hausfrauen. Im Herbst 1914, als die erhofften raschen Erfolge in Frankreich ausblieben und statt dessen die Kunde von schwersten Kämpfen an der West- und Ostfront nach Augsburg drangen, entstand jene zunehmend verbissene und schließlich resignierte Durchhaltestimmung, in der die Bevölkerung, allen Entbehrungen zum Trotz, während der Kriegsjahre loyal ausharrte.

Gleichwohl breiteten sich Enttäuschung und Unmut aus - zunächst im ländlichen Umland, wo der Tod von Hoferben, Arbeitskräftemangel und Eingriffe der Bürokratie in das Preisgefüge und die Verteilung der landwirtschaftlichen Erzeugnisse den althergebrachten Lebensrhythmus empfindlich störten. Aber auch in der Stadt machte sich bald bemerkbar, wie wenig das Reich in wirtschaftlicher Hinsicht auf einen längeren Krieg vorbereitet war. Seit April 1915 mehrten sich die Anzeichen für eine Rohstoffkrise der Textilindustrie, im März 1916 zählte man 7800 völlig erwerbslose Textilarbeiter, im Spätherbst desselben Jahres begann ihre Überleitung in die Munitionsproduktion. Auf der anderen Seite schnellte die Zahl der in der Rüstungsindustrie Beschäftigten bis Oktober 1917 auf 13.500 empor. Dies entsprach gegenüber dem Vorjahr einer Steigerung um 73 Prozent. Selbst Kriegsgefangene kamen zum Einsatz. Denn als Standort renommierter Maschinenfabriken mit Produktion für Heeresartillerie, Marine und Luftwaffe (M.A.N., Rumpler-Werke, Ballonfabrik Riedinger) war Augsburg eines der wichtigsten Rüstungszentren in Süddeutschland.

Je länger sich der Krieg hinzog, desto schwieriger wurde die Versorgung der Bevölkerung mit Grundnahrungsmitteln. Im Januar 1915 mußten Brotgetreide und Mehl beschlagnahmt werden, Preistreibereien führten zu Höchstpreisfestsetzung und Markenbewirtschaftung für Kartoffeln und Brot, im Frühjahr 1916 wurden Butter- und Fleischmarken ausgegeben, im Mai 1917 die täglichen Brotrationen von 200 auf 170 Gramm herabgesetzt. Trotz administrativer Steuerung ließ sich die Auszehrung breiter Bevölkerungsschichten durch Unterernährung und Arbeitsbelastung nicht verhindern. Doch im Unterschied zu anderen schwäbischen Orten wie zum Beispiel Füssen oder Sonthofen, wo der Kartoffelmangel 1916 Hungerunruhen auslöste, gab es unter den Augsburger Fabrikarbeitern kaum Anzeichen offenen Widerstands oder nennenswerte Kräfte, die auf eine politische Umwälzung hinarbeiteten.

Im Zeichen des Burgfriedens hatten Liberale, Zentrum und Sozialdemokraten zu den Kommunalwahlen im Dezember 1914 eine gemeinsame Liste aufgestellt, die dem bisherigen Kräfteverhältnis der Parteien im Stadtrat entsprach. Von daher gab es kaum politischen Zündstoff. Gewerkschaftsinitiativen zu Lohnerhöhungen und zur Stärkung der Arbeiterausschüsse in den Betrieben beeinträchtigten kaum den Arbeitsprozeß. Die wenigen während des Krieges nachweisbaren Ausstände - Streiks in der Zahnräderfabrik Renk und im Zieh- und Stanzwerk Deuter - waren eine Reaktion auf die Einführung der Sonntagsarbeit und hatten die Herabsetzung der Wochenarbeitszeit auf 54 Stunden zum Ziel. Sie konnten rasch und friedlich beendet werden.

Erst im Sommer und Herbst 1918, als sich die militärische Lage im Westen drastisch verschlechterte, dann im Oktober der desolate Zustand der Front durch das Waffenstillstandsersuchen der Obersten Heeresleitung und die Friedensnote der Reichsregierung an den amerikanischen Präsidenten Wilson endgültig enthüllt wurde und sich schließlich in Schwaben das Gerücht verbreitete, der sinnlose Kampf solle in Form einer Volkserhebung weitergeführt werden, schlug die allgemeine Kriegsmüdigkeit in Kriegsverdrossenheit und Widerstand um. Als unter dem Eindruck der revolutionären Vorgänge in Berlin und München am 8. November 1918 im Ersatztruppenteil des 3. Infanterie-Regiments ein Soldatenrat gewählt wurde und zur selben Zeit Arbeiter in der M.A.N. aufbegehrten, deutete sich auch in Augsburg der Umsturz der alten Ordnung an.