Siegel der Augsburger Judengemeinde (an einer Urkunde von 1298)
Siegel der Augsburger Judengemeinde (an einer Urkunde von 1298)

von Hans K. Hirsch

Mittelalter


Die Anwesenheit von Juden in Augsburg läßt sich zwar vor dem 13. Jahrhundert nicht gesichert nachweisen, doch ist anzunehmen, daß es bereits vorher zu einer Ansiedlung gekommen ist. Die erste namentliche Nennung eines Augsburger Juden erfolgte 1212, als in einer in Würzburg ausgestellten Verkaufsurkunde unter den jüdischen Zeugen ein 'Joseph de Augusta' erscheint.

Das jüdische Wohngebiet lag vor der frühmittelalterlichen Bischofsstadt und trug seit 1361 den Namen Judengasse. Eine zweite, jüngere Siedlung, erstmals 1366 erwähnt, befand sich unterhalb des Judenbergs, zwischen dem Elias-Holl-Platz im Norden und der Weißen Gasse im Süden. Das Siegel der Gemeinde zeigt neben dem kaiserlichen Adler und einem Judenhut die Umschrift 'S(igillum) IVDEORUM AUGUSTA(E)'. In Urkunden werden die Zentren der Judensiedlung erwähnt: Domus Judeorum (1259), Synagoge (1276), Judenbad (1290), Tanzhaus (1290), Friedhof (1298). Die wichtigsten öffentlichen Gebäude und Einrichtungen, die 'juden schul' (Synagoge) mit Schulhof (Versammlungsplatz) und das Tanzhaus (Gemeindehaus für Hochzeiten und andere Festlichkeiten), lagen eng beisammen, jedoch in Nachbarschaft der Häuser der Schuster und Kramer. Eine abgeschlossene Judensiedlung, ein Ghetto, wie es etwa für Landshut, Nürnberg und Würzburg nachweisbar ist, existierte zu dieser Zeit in Augsburg nicht.

Rechtlich unterstanden die Juden sowohl dem Bischof (als Siedler) als auch dem König (als Mitglieder einer nichtchristlichen Glaubensgemeinschaft), sie gehörten zur königlichen Kammer. Aus diesem von Friedrich Barbarossa formulierten Anspruch entwickelte sich die sogenannte Kammerknechtschaft, die das unmittelbare Abhängigkeits- und Schutzverhältnis der Juden zur königlichen Gewalt bezeichnet. Der König verpflichtete sich, den Schutz der Juden zu übernehmen, wofür diese als Schutzgebühr an ihn Steuern zahlten.

Für die Augsburger Juden wurde die rechtliche Situation nach 1250 noch komplizierter, als die Stadt versuchte, sich bischöfliche wie königliche Rechte anzueignen. 1276 regelte die Stadt mit Genehmigung Rudolfs von Habsburg die Rechtsstellung der Augsburger Juden. Das Judenrecht des Stadtbuchs enthielt vier Gruppen von Rechtsgebieten: Prozeß-, Zivil-, Straf- und Verwaltungsrecht. Klagen von Christen gegen Juden wurden in der Synagoge verhandelt, während Juden Klagen gegen Christen auch vor das bischöfliche Burggrafengericht bringen konnten. Eidleistung eines Christen verlangte einen christlichen und einen jüdischen Eideshelfer, während im umgekehrten Fall ein Jude die doppelte Anzahl benötigte.

Größerer Raum war dem Pfandrecht und der Geldleihe gewidmet. Als Höchstzinssatz wurden 86 2/3 % festgesetzt. Das einem Juden ohne Bürgen gegebene Pfand war kein Verfallpfand, denn der jüdische Pfandgläubiger hatte beim Burggrafen zu beantragen, daß er es verkaufen dürfe oder daß man ihm ein weiteres Pfand gebe, wenn es für den geschuldeten Betrag keine genügende Sicherheit mehr bot. Der christliche Schuldner hatte Anspruch auf Ersatz des Pfandes, wenn der Jude es verlor. Verboten war die Annahme von gottesdienstlichen Geräten als Pfand seitens jüdischer Gläubiger. Die strafrechtlichen Bestimmungen enthielten das Verbot des außerehelichen Verkehrs zwischen Juden und Christen, das weniger auf Ortsansässige als auf durchreisende Juden abzielte. Körperliche Vergehen von Juden gegen Christen oder umgekehrt bzw. von Juden untereinander fielen in den Zuständigkeitsbereich des Vogtes, der nach dem jeweiligen Rechtskreis des Schuldigen richten sollte. In der Öffentlichkeit mußte der Judenhut getragen werden.

Die Verpflichtung der Juden 1298 zum Bau eines Teils der Stadtmauer (am jüdischen Friedhof zwischen Heilig Kreuz und dem Stadtgraben), später Judenwall genannt, ist im Zusammenhang mit der Judenverfolgung in München 1285 und vor allem mit dem Pogrom des fränkischen Ritters Rindfleisch zu sehen. Die Juden mögen sich 'aus Dankbarkeit' für städtischen Schutz zum Bau der Mauer erboten haben, wahrscheinlicher ist aber ein gewisser Eigennutz, denn zum einen wurde der eigene Friedhof geschützt, zum anderen die Bereitschaft signalisiert, für Schutz zu bezahlen. 1308 mußten sie sich dann auch verpflichten, für die erhaltenen Schutzleistungen 500 Pfund Augsburger Pfennige an die Stadt zu entrichten.

Wie anderswo waren die Augsburger Juden weniger als Kaufleute denn als Geldverleiher tätig. Gründe hierfür waren die durch das kanonische Zinsverbot bedingte weitgehende Konkurrenzlosigkeit und die Weigerung der Zünfte, den Juden Zugang zu ihren Erwerbsmöglichkeiten zu gewähren. Wenn auch im allgemeinen keineswegs von einem Kapitalmonopol der Juden gesprochen werden kann, zählten neben Herzog Ludwig dem Strengen von Oberbayern, Otto III. und Stephan I. von Niederbayern sicherlich auch früh Augsburger Bürger zu den Schuldnern, obwohl dies erst durch die 1320-1331 erhaltenen Baumeisterbücher nachgewiesen werden kann. Eine Verschlechterung der Lage trat mit Kaiser Ludwig dem Bayern ein, der die Juden finanziell stark in Anspruch nahm. Er führte 1342 den sogenannten Goldenen Pfennig ein, eine Kopfsteuer in Höhe eines Guldens, die jeder erwachsene Jude an ihn zahlen mußte. 1337 ließ der Kaiser Augsburger Juden festhalten, um ihnen ihre Schuldurkunden abzupressen. Unter ihnen war auch die Jüdin 'Sprintzin', vermutlich die Frau des Rabbiners, da sie als 'schulmaisterin' bezeichnet wurde.

Die Verfolgungen in Deggendorf und Straubing 1336-1338 signalisierten eine Wende im christlich-jüdischen Verhältnis. Als im Pestjahr 1348 die Juden allgemein als Verursacher der Pest beschuldigt wurden, kam es am Sabbat (22.11.1348) auch in Augsburg zum Pogrom. Dieser Tag ist das früheste exakte Datum für Judenverfolgungen dieser Zeit in ganz Deutschland. Die Zahl der Opfer wird auf etwa 130 Personen geschätzt. Motive und Urheber des Pogroms lassen sich nicht mehr genau festmachen. Eindeutig hingegen sind die nachfolgenden Handlungen von Bischof und Rat: Der Bischof ließ sich durch den König von allen Judenschulden lossprechen. Auch die Stadt erhob Anspruch auf jüdischen Besitz, und letzten Endes erkannte Karl IV. 1349 auch deren Ansprüche mit geringfügigen Bedingungen an. Den wenigen Überlebenden des Pogroms wurde bereits im Dezember 1348 die Wiederaufnahme unter bischöfliche Gewalt gewährt. 1350 erhielt der Bischof die Erlaubnis, neue Juden aufzunehmen, 1355 wurde auch der Stadt die Aufnahme von Juden gestattet, der auch die dem Bischof zugesprochenen Juden Steuern zahlen mußten, d.h. der Rat war fortan alleiniger Schutzherr der Augsburger Juden. Bis 1385 stieg deren Anzahl auf etwa 300 Personen (65 Steuerzahler), um bis 1390 auf 17 Steuerzahler abzusinken. Zunehmend unterlagen die jüdischen Gemeinden sozialer und rechtlicher Degradierung. Zwangsabgaben wurden in Augsburg 1374, 1381 und 1384 durch Gefangennahme von Juden erpreßt. Die bald darauf folgenden Schuldentilgungen König Wenzels von 1385 und 1390 schöpften das angesammelte jüdische Kapital bedingungslos ab, sichtbar am Rückgang der Steuerzahler und der Steuerleistungen.

Gegen Ende des 14. Jahrhunderts verschlechterte sich der Status der Augsburger Juden weiter. Garantierte bisher die Stadt Schutz und Wohnrecht entweder durch Aufnahme als Bürger bzw. Verleihung des Bürgerrechts oder durch verbrieften Aufnahmevertrag, so trafen Ratsverordnungen von 1397 und 1419 mit der Verpflichtung, das Bürgerrecht zu erwerben, empfindlich die jüdische Mobilität. Weitere Erlasse betrafen 1425 Einkaufsbeschränkungen am Freitag, 1433 den Zoll für Beerdigungen auswärtiger Juden und 1435 den Kauf von Rindern, der auf den Eigengebrauch beschränkt wurde. Zu dieser Zeit lebte einer der bedeutendsten Talmudgelehrten, Jakob Weil, in Augsburg.

Eine deutlich sichtbare Marginalisierung erzielte eine 1434 vom Rat beim Kaiser erwirkte Verordnung. Juden mußten von nun an in der Öffentlichkeit ein Kennzeichen in Form eines gelben Ringes für alle sichtbar an ihrer Kleidung tragen. Im Zusammenhang damit zu sehen ist die Begrenzung der Judengasse mit Seilen; eine sichtbare Abgrenzung der bisher freiwillig beieinander lebenden Juden und Christen war damit erreicht. Seit 1436 durften zivilrechtliche Klagen von Christen gegen Juden nicht mehr in der Synagoge verhandelt werden. Triebfeder dieser Entwicklung sind wohl Interventionen des Klerus gewesen, der das 'Zusammensitzen' und das 'gemeinsame Rechtsprechen' mit Juden für Christen 'ein swär sunde' nannte. Nach einer neuen Gerichtsordnung sollten Juden auch bei Prozessen mit jüdischer Beteiligung von der Rechtsfindung ausgeschlossen bleiben. Der religiöse Antijudaismus des Klerus fand in der Bevölkerung, verstärkt durch wirtschaftliche Krisen und Seuchen, wachsende Anhängerschaft. Daher war der Vertreibungsbeschluß des Rates vom 7.7.1438 nur konsequenter Abschluß der Entwicklung seit dem Pogrom von 1348. Bevor die Frist von zwei Jahren abgelaufen war, zogen die meisten Juden ab, Ende 1440 wohnte kein Jude mehr in Augsburg. Die Gemeindegebäude und der Friedhof wurden von der Stadt konfisziert, die Grabsteine wurden zum Rathausbau verwendet, die Synagoge in ein Wohnhaus, das Tanzhaus in eine Mühle umgewandelt. Die Ausgewiesenen wanderten in andere Städte in Schwaben, Franken und am Mittelrhein ab und zogen nach Polen und Oberitalien, den Zielgebieten jüdischer Emigration im Laufe des späten 15. und des beginnenden 16. Jahrhunderts. Gegen eine Niederlassung in den nahe Augsburg gelegenen Orten Pfersee, Kriegshaber, Steppach und Fischach sprechen die eindeutigen Formulierungen des Vertreibungsbeschlusses.
Frühe Neuzeit
Zu dem vor allem vom Klerus geforderten vollkommenen Ausschluß kam es in der Folgezeit allerdings nicht. Vereinzelt hielten sich Händler und Hausierer in der Stadt auf, doch eine jüdische Gemeinde durfte und konnte sich bis zum 19. Jahrhundert nicht entwickeln. 1514-1543 wurde erstaunlicherweise eine Reihe hebräischer Bücher in Augsburg gedruckt, was die Anwesenheit jüdischer Buchdrucker voraussetzt. Von Chaim ben David Schwarz erschienen unter anderem ein Kommentar zum Pentateuch, eine illustrierte Haggada und verschiedene Machsorim. Der wichtigste Augsburger Druck ist aber wohl der große Ritualkodex des Jakob ben Ascher, genannt die 'Vier Turim' (1540). Daneben erschienen antijüdische Publikationen der getauften Juden Pfefferkorn und Samuel Margolis (Antonius Margaritha). Dieser wollte die Juden als ein Volk überführen, das Jesus lästere, Christen verfluche und Kaiser und Untertanen verunglimpfe - Behauptungen, mit denen er das christlich-jüdische Verhältnis nachhaltig beeinflußte.

Karl V. setzte auf dem Augsburger Reichstag 1530 eine religiöse Disputation an, die auf der Grundlage dieser Thesen geführt werden sollte. Josel von Rosheim, ein Jahr zuvor in Günzburg von einer aus Rabbinern und Gemeindevorstehern des Reiches bestehenden Versammlung zum 'Vorgänger und Befehlshaber der Juden des Reiches' gewählt, trat als Gegenpart Margarithas auf und erwirkte dessen Ausweisung aus Augsburg. 1544 gelang es Josel, von Karl V. das 'Speyerer Privileg' zu erwirken, durch das die Juden im Reich umfassende Rechte erhielten. Der Kaiser gewährte unter anderem Sicherheit des Geleits und des Handels. Er verbot die Schließung von Synagogen und die Vertreibung von Juden aus den Landesherrschaften. Die mehrfachen Bestätigungen dieses Privilegs, z.B. durch Karl V. auf dem Augsburger Reichstag von 1548 und durch Maximilian II. im Augsburger Privileg von 1566, deuten auf dessen partielle Mißachtung hin. Freilich konnten die kaiserlichen Privilegien auch künftig nicht verhindern, daß die Reichsstadt Juden überhaupt keinen oder nur eingeschränkten Aufenthalt zubilligte.

Um sich in Augsburg bewegen zu dürfen, mußten die Juden Einlaß-, Geleit-, Neujahrs- und Kirchweihgelder entrichten, d.h. an Neujahr und an den drei Kirchweihtagen Georgi, Ulrich und Michaeli mußte für den Zutritt in die Stadt und die Jahrmärkte eine eigene Gebühr bezahlt werden. Geleitgelder stellten neben der finanziellen Belastung eine Fortsetzung der sozialen Diskriminierung dar, in Augsburg dadurch verstärkt, daß Juden nur das Gögginger Tor benutzen durften. Während des 30jährigen Krieges wechselte eine liberalere Handhabung des Aufenthaltsrechts mit Versuchen ab, die Juden völlig aus der Stadt zu weisen. Diese Politik dürfte ausschließlich durch fiskalische Interessen motiviert gewesen sein, denn die Ausweisung konnte durch Zahlungen aufgeschoben werden. Kurz nach Kriegsende folgte ein Ausweisungsbeschluß, der infolge der mangelnden Durchsetzungskraft 1680 wiederholt wurde. Ein Versuch, im Jahr 1700 das Betreten der Stadt für Juden vollständig zu verbieten, scheiterte an der Intervention der oberösterreichischen Landesregierung, die sich der Interessen der Burgauer Judengemeinden annahm. In der vorderösterreichischen Markgrafschaft Burgau hatten sich jüdische Gemeinden gebildet, die allerdings erst ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts nachweisbar sind. Ab 1569 sind Juden in Pfersee, ab 1570 in Kriegshaber und ab 1571 in Steppach belegt. Darüber hinaus lebten Juden in Oberhausen, die Bischof Johann Eglof von Knöringen 1574 vertreiben ließ. Sie mußten auch den gesamten sonstigen Herrschaftsbereich von Hochstift und Domkapitel verlassen. Seit Anfang des 18. Jahrhunderts lebten einige jüdische Familien in Schlipsheim.

Bis ins 19. Jahrhundert bildeten die jüdischen Familien in den drei Landgemeinden eine Art Parallelgemeinde. Der jüdische Kultus unterlag keiner Aufsicht durch herrschaftliche Organe, die Gemeinden unterhielten die Kultus- und Schuleinrichtungen und die Armenfürsorge. Teils unter der Leitung von Oberrabbinern, teils ganz unabhängig übten die von den einzelnen Gemeinden gewählten Rabbiner ihr Amt aus. Daneben traten als weitere religiöse Funktionsträger Lehrer, Vorsinger und Schulklopfer (Synagogendiener) auf. Der Rabbiner arbeitete meist auch als Lehrer in den jüdischen Schulen.

Maßgeblich für die wirtschaftlichen und alltäglichen Verhältnisse der Kriegshaberer, Pferseer und Steppacher Juden blieb für den gesamten Zeitraum der Frühen Neuzeit ihre räumliche Nähe zu Augsburg. Die Vertreibungen aus den Städten hatten zur Ausbildung einer neuen Wirtschaftsweise geführt. Die Landjuden waren nun vorwiegend in der Funktion des Zwischenhändlers tätig, indem sie die landwirtschaftliche Produktion dem städtischen Verbrauch zuführten. Im Gegenzug versorgten sie die Dörfer mit Verbrauchs- und Luxusgütern aus städtischer Herstellung. Nach den Berechnungen des Augsburger Rates tätigten 1571 die stadtnahen Judengemeinden im Handel mit den Bürgern einen Umsatz in der Größenordnung von 60.000-80.000 fl pro Jahr. Das Verbot, innerhalb der Stadt Niederlassungen zu errichten, verstärkte die Ausbildung des Hausierhandels. Aus der Masse jüdischer Händler ragt im 17. und 18. Jahrhundert eine kleine Gruppe heraus. Hofjuden, in ihrer höchsten titularischen Auszeichnung Hoffaktoren, genossen Privilegien wie die Befreiung von Abgaben und Steuern. Sie waren oft den christlichen Kaufleuten gleichgestellt und unterstanden dem Hofgericht, das ihnen eine günstigere Rechtslage bot. Neben der Versorgung des Hofes mit Luxusgütern, dem Edelmetallhandel und diplomatischen Diensten war die Belieferung von Armeen ein wichtiger Tätigkeitsbereich jüdischer Unternehmer. Der Kriegshaberer Abraham Mändle dominierte z.B. auf dem Gebiet des Pferdehandels. Die 'Mändelsche Compagnie', die aus acht miteinander verwandten Familien bestand, lieferte außerdem Verbrauchsgüter und Ausrüstungsgegenstände an die Armee und betätigte sich im Salzhandel. Zwar erreichte Abraham Mändle es trotz der Unterstützung durch Karl VII. nicht, in Augsburg das Wohnrecht zu erhalten, doch sein sozialer Rang wurde sichtbar, als nach seinem Tod 1767 in München zur Überführung auf den Kriegshaberer Friedhof ein Geleit von zwei Soldaten des kurfürstlich-bayerischen Leibregiments gestellt wurde. Im Jahr 1700 war es auch ein Hofjude gewesen, der kaiserliche Lieferant Samuel Moses Ullmann aus Pfersee, der zum erstenmal den Einlaß in die Stadt erzwang. Dieser Erfolg führte zu einer Fülle von Folgegesuchen und weichte die Politik der Stadt gegenüber den einlaßsuchenden Juden auf.

Mußten zunächst die Geleit- und Einlaßgelder vom Einzelnen bezahlt werden, bestimmte die Stadt gegen Ende des 17. Jahrhunderts für die jüdischen Gemeinden Pfersee, Kriegshaber und Steppach einen jährlich zu entrichtenden Gesamtbetrag. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts kam es zu einer neuen Variante der Passierregelung. Juden versuchten erst einzeln, dann gemeindeweise, mit der Stadt einen Vertrag (Akkord) zu schließen, um sich den Zutritt für längere Zeit zu erkaufen. In den Kriegsjahren 1796 und 1800 wurde schutzsuchenden Juden der Aufenthalt in der Stadt wieder gestattet und darüber hinaus die Erlaubnis zum Betrieb einer eigenen Garküche erteilt. 1797, im Jahr des letzten Akkords, waren die Verhältnisse bereits soweit gediehen, daß dieses Passiersystem nur mehr von der Genehmigung des ständigen Wohnsitzes abgelöst werden konnte.

Matrikel der jüdischen Glaubensgemeinschaft in de Stadt Augsburg (1814/15)
Matrikel der jüdischen Glaubensgemeinschaft in de Stadt Augsburg (1814/15)

Emanzipationszeit

Ausschlaggebend für eine Veränderung der herkömmlichen Verhältnisse sollte eine Zwangslage der Stadt werden. Augsburg hatte hohe Schulden, und Gläubiger waren vielfach Juden der nahegelegenen Landgemeinden. Diese bewarben sich um den dauernden Wohnsitz in Augsburg, indem sie anboten, die Schulden der Stadt zu übernehmen. Am 10.11.1803 kam es zur Vereinbarung der Stadt mit den jüdischen Häusern Westheimer & Straßburger, Henle Ephraim Ullmann und Jakob Obermayer. Die Bankiers erhielten trotz gewisser Einschränkungen das ständige Aufenthaltsrecht in Augsburg. Damit hatte allerdings nur ein ganz geringer Teil der gesamten Judenschaft eine Verbesserung der Situation erlangt. Das 'Edikt, die Verhältnisse der jüdischen Glaubensgenossen im Königreich Bayern betreffend' brachte endlich 1813 eine gewisse Rechtssicherheit. Jedoch wurde in dem berüchtigten Matrikelparagraphen die Zahl der Juden in den Gemeinden nicht nur festgeschrieben, sondern deren Reduzierung sogar als politisches Ziel angegeben. Wie vorgesehen, wurde auch in Augsburg ein Verzeichnis erstellt; im November 1814 wurden zunächst 13 Matrikelnummern vergeben. Nach einer 1818 erfolgten Erweiterung auf 14 Stellen blieb die Zahl bis zur Aufhebung des Matrikelparagraphen 1861 konstant. Daher bestand die einzige Möglichkeit für Juden zur Ansässigmachung in Augsburg in der 'Aufnahme über die Matrikelzahl hinaus'. Diese im Edikt nur als Ausnahme vorgesehene Aufnahmemöglichkeit gewann hier jedoch im Gegensatz zu München erst ab 1850 an Bedeutung und erfolgte erstmals 1830.
Das Edikt sicherte den Juden volle Glaubens- und Gewissensfreiheit zu. Es wurde dem Judentum zwar nicht die Stellung einer öffentlichen, aber immerhin einer anerkannten privaten Glaubensgesellschaft und damit die freie Ausübung des Kultus gewährt. Für die Bildung einer kirchlichen Gemeinde war die Zahl von mindestens 50 Familien Voraussetzung. Da diese Bedingung in Augsburg nicht erfüllt wurde, zelebrierten die Augsburger Juden ihren Gottesdienst als Hausandacht im Anwesen Jakob Obermayers am Obstmarkt Lit. 100a. 1819 wurde der gemäßigte Reformer Aaron Guggenheimer als Nachfolger von Pinkas Skutsch zum Distriktsrabbiner in Kriegshaber gewählt. Er erteilte den Religionsunterricht an den höheren Schulen Augsburgs, am Gymnasium bei St. Stephan, am Gymnasium bei St. Anna und an der Kreisgewerbeschule.
Zunächst war die wirtschaftliche Stellung der Augsburger Juden am stärksten im Bankwesen. So ist es nicht verwunderlich, daß sich an der Gründung der ersten bayerischen Bank in Form einer Aktiengesellschaft auch Augsburger jüdische Häuser engagierten. Anfang 1835 zeichnete neben Arnold von Eichthal auch Isidor Obermayer an der zu gründenden Bayerischen Nationalbank. Beide gehörten dem Ausschuß für die Statutenabfassung an, der München zum Hauptsitz der Bank erhob. Nach einem Intermezzo bei der Finanzierung des Eisenbahnbaus wandten sich die Augsburger Bankhäuser der Unterstützung der frühen Industrie zu. Als 1853 die 'Gesellschaft Baumwollspinnerei am Hanreibach' gegründet wurde, waren unter den Hauptaktionären Johann Jakob und Isidor Obermayer. Unter den zehn Hauptaktionären der Aktiengesellschaft zum Ausbau einer Papiermühle am Brunnenlech in Haunstetten zu einer mechanischen Weberei 1856 befand sich Max Obermayer. An der Einführung der Gasbeleuchtung 1848 in Augsburg war August von Eichthal, der Sohn Arnolds, maßgeblich beteiligt. Er errichtete eine Gasbeleuchtungs-Aktiengesellschaft und übernahm deren kaufmännische Leitung. Auch bei der Gesellschaft, die ab 1850 die Gasbeleuchtung in München einrichtete, gehörte von Eichthal zu den Aktionären. Als 1857/58 die Reichenbach'sche Maschinenfabrik in eine Aktiengesellschaft umgewandelt wurde, zeichnete Johann Jakob Obermayer mit 45.000 fl. Die im wirtschaftlichen Erfolg sichtbare Akzeptanz einer kleinen jüdischen Elite darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Hintertür zur gesellschaftlichen Gleichstellung über wirtschaftliche Betätigung der Mehrheit der Juden verschlossen war. Der Weg, den eine jüdische Minderheit zum Teil beschritt - Konversion, Nobilitierung, Einheirat in den Adel - konnte oder wollte von den übrigen nicht begangen werden. Einige Familien 'assimilierten' sich bis an die Spitze der städtischen Schichtungspyramide: Louise von Eichthal, die Tochter des konvertierten jüdischen Bankiers Arnold von Eichthal, heiratete den führenden Augsburger Industriellen der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Karl Forster. Ihre Schwester Karolina heiratete in die alteingesessene Familie Hösslin. Erheblichen Einfluß im Augsburger Wirtschaftsleben hatte Friedrich Ferdinand Vinzenz von Kersdorf, der Sohn des 1817 konvertierten und nobilitierten Bankiers Hirsch Salomon Pappenheimer.

Wirtschaftlicher Schwerpunkt für die jüdische Mittelschicht blieb der Handel, für die landjüdische Unterschicht der Hausierhandel. Nur langsam wurde die Industrie, bevorzugt die Textilindustrie, zum Anziehungspunkt der sich entwickelnden jüdischen unternehmerischen Tätigkeit. Ein Haupthindernis blieb zunächst der Widerstand christlicher Konkurrenten. 1834 begann Samuel Kohn, ein Tuchmachermeister aus Steppach, in Augsburg am Schwalbeneck Lit. C 37 einen Betrieb aufzubauen. Über den Zeitraum von drei Jahren erstreckte sich der Kampf des aus Ichenhausen zugewanderten Sigmund Kohn um seine Zulassung als Tuchfabrikant, die er 1840 erhielt. Zu Beginn der 1850er Jahre begann sich in den führenden Wirtschaftskreisen die Haltung gegenüber den jüdischen Gewerbetreibenden zu ändern.

Fast 50jährige Emanzipationsbemühungen zeigten ihren Erfolg, als im November 1861 der Matrikelparagraph aufgehoben wurde. Was den Juden noch vorenthalten blieb, die Möglichkeit der Anstellung im Staatsdienst, wurde ihnen durch ein Reichsgesetz 1871 zugesprochen.

Jüdischer Friedhof, Haunstetter Straße
Jüdischer Friedhof, Haunstetter Straße

Kaiserreich und Weimarer Republik

Durch die liberale Handhabung des Matrikelparagraphen um die Mitte des Jahrhunderts war es in Augsburg zu einem stetigen Zuzug jüdischer Familien gekommen. Die Zahl der jüdischen Einwohner nahm von 79 (1840) bis auf 1199 (1910) kontinuierlich zu, um dann bis 1933 zu stagnieren. Ende der 1850er Jahre sah sich eine Generalversammlung der Augsburger Juden gezwungen, dem Bevölkerungsanstieg Rechnung zu tragen. Zunächst wurde der Bankier Isidor Obermayer ermächtigt, das Haus Wintergasse Lit. A 13 zu kaufen und zur Synagoge umzubauen. 1861 wurde die Bildung einer Kultusgemeinde von der Regierung genehmigt. Auskunft über das sich ausbildende Gemeindeleben geben die gedruckten Gemeindestatuten. Zum ersten Vorstand wurde Carl Obermayer (1853-1867) gewählt, ihm folgten Salomon Rosenbusch (1867-1878), Moritz Bauer (1878-1880) sowie dessen Bruder Ludwig Bauer (1880-1920) und Dr. Emil Epstein (1920-1923). Dr. Eugen Strauß führte die Gemeinde von 1923-1939. Benno Arnold stand den Augsburger Juden in allerschwerster Zeit vor, bis zu seiner Deportation nach Theresienstadt.
Probleme zwischen der Gemeinde und ihrem 1863-1870 amtierenden Rabbiner Dr. Jakob Hirschfeld führten dazu, daß als Nachfolger bewußt eine integrative Persönlichkeit gesucht und mit Dr. Heinrich Groß auch gefunden wurde. Ihm folgten Dr. Richard Grünfeld (1910-1929) und Dr. Ernst Jacob (1929-1939).

Zu einer Spaltung der Gemeinde, wie in anderen bayerischen Städten, kam es in Augsburg nicht. Die Einführung von Orgel (1865, erstmals in Bayern), Chorgesang und deutscher Predigt führte im Gegensatz zu Fürth, München und Nürnberg nicht zu sichtbarem Widerstand der Orthodoxie. Das rege jüdische Vereinsleben begann 1861 mit der Gründung des israelitischen Frauenvereins, es folgten 1873 der israelitische Männerverein und 1881 der Speiseverein. Zudem waren in Augsburg Ortsgruppen der meisten überregionalen jüdischen Organisationen vertreten. Juden engagierten sich zahlreich in den weltanschaulich neutralen Wohltätigkeitsvereinen. Als bekannte Beispiele jüdischer Stiftertätigkeit sind die 'Stiftung zur Förderung des Schulvereins und der allgemeinen Wohlfahrt' durch den nach Wien abgewanderten Benno Lippschütz sowie der Goldschmiedebrunnen durch Sabine Bühler zu nennen.

1871 errichtete die Augsburger Gemeinde an der Haunstetter Straße einen Friedhof. Im selben Jahr wurde der neuentstandenen Bedeutung der Kultusgemeinde Rechnung getragen, indem die sogenannte Zweite Israelitische Synode nach Augsburg verlegt und im Rathaus feierlich eröffnet wurde.

Mit Beginn der 1870er Jahre erhielt die Augsburger jüdische Gemeinde ihre endgültige Ausprägung. Trotz ihres Zuwachses blieb der jüdische Anteil an der Gesamtbevölkerung weitgehend gleich. Stammten bisher die Zuwanderer zumeist aus den nahegelegenen jüdischen Landgemeinden, so änderte sich dies im Zeitraum 1867-1900. Stärker in den Vordergrund traten nun die Herkunftsgebiete Schwaben (ohne die Augsburger Umlandgemeinden - 58 %), Bayern (ohne Schwaben - 15 %), Deutsches Reich (ohne Bayern - 19 %) und Ausland (8 %). Als einzige der alten Gemeinden konnte sich Kriegshaber zunächst gegen die übermächtige Attraktivität der Stadt behaupten, ohne jedoch einen spürbaren Wegzug der Gemeindemitglieder verhindern zu können. Immerhin blieb Kriegshaber zunächst das Schicksal von Pfersee und Steppach erspart, die sich, nachdem nur noch wenige Familien wohnhaft geblieben waren, 1873 mit der Kultusgemeinde Augsburg vereinigen mußten.

1878 wurden die Rabbinate Altenstadt und Fellheim nach Augsburg einverleibt. Um die Jahrhundertwende, angesichts des stetigen Wachsens der jüdischen Gemeinde, regte der Magistrat an, 'eine der Größe und dem Wohlstande der hiesigen Gemeinde entsprechende neue Synagoge zu erbauen'. Der kurz nach der Grundsteinlegung im April 1914 ausgebrochene Erste Weltkrieg verzögerte die Fertigstellung des in der Halderstraße begonnenen Neubaus, mit dem der in Augsburg geborene Fritz Landauer betraut war. 1916 erfolgte der Verkauf der Synagoge in der Wintergasse an einen Strohhutfabrikanten, im selben Jahr schlossen sich die Kriegshaberer Juden der Augsburger Gemeinde an. Im April 1917 wurde die neue Synagoge feierlich eingeweiht. In den folgenden Jahren wurden weitere jüdische Vereine gegründet: Jüdischer Jugendverein (1918), Verein Achwa (1920), zionistischer Blau-Weiß-Bund (1922). Weitere Gruppierungen der jüdischen Jugend waren der Wanderbund Kameraden und der Bund junger Juden. 1923 gründete sich die Schwäbische Loge im Orden B'nai B'rith. 1933 war Augsburg Sitz eines Bezirksrabbinats, dem die Gemeinden Altenstadt, Binswangen, Kempten und Memmingen angeschlossen waren.

Jüdisches Leben in der Öffentlichkeit zwischen Reichsgründung und nationalsozialistischer Machtübernahme war durch den Konflikt von Assimilation und Identitätsverlust gekennzeichnet. Die Mehrheit der Juden versuchte, im nichtreligiösen Alltag die Lebensformen der nichtjüdischen Gesellschaft nachzuahmen. Gleichzeitig sahen sie ihren Glauben als Konfession neben den beiden christlichen Glaubensrichtungen. Dennoch waren die assimilierten Juden weit davon entfernt, in der deutschen Gesellschaft und Kultur völlig aufzugehen.

Die Art und Weise der gesellschaftlichen Integration der Augsburger Juden unterschied sich kaum von der in anderen Städten. Obwohl die jüdischen Kinder ausschließlich christliche Schulen besuchten, jüdische Gewerbetreibende in großer Zahl christliche Kunden hatten, blieben gesellschaftliche Kontakte eher die Ausnahme. Ehen zwischen Juden und Christen sowie Konversionen waren in Augsburg äußerst selten. Im Verhältnis zu anderen Städten zeigten sich die Augsburger Juden politisch wenig aktiv. Zwischen 1869 und 1919 gehörten dem Kollegium der Gemeindebevollmächtigten Salomon und Alphons Rosenbusch, Heinrich Landauer und Julius Binswanger an. Hugo Steinfeld und Benno Arnold waren Mitglieder des Stadtrats in den 20er Jahren.

Durch wirtschaftliche Leistungen erwarben sich jüdische Unternehmer eine angesehene Stellung in der Gesellschaft. Für ihr öffentliches Engagement wurden sie mit Ehrungen wie dem Titel eines Kommerzienrats oder mit der Bürgermedaille ausgezeichnet.

Ihr Nationalbewußtsein ließ die deutschen Juden 1914 mit Selbstverständlichkeit zu den Waffen greifen. Sie wurden entsprechend ihres Bevölkerungsanteils eingezogen. Aus Augsburg meldeten sich 29 von insgesamt 254 Kriegsteilnehmern der Kultusgemeinde freiwillig. 174 standen an der Front, 135 wurden befördert, 163 erhielten Auszeichnungen. 23 Augsburger Juden fielen.

Der Abschluß der jüdischen Emanzipation fiel in Bayern mit dem Zeitpunkt zusammen, als mit der Industrialisierung ein tiefgreifender Strukturwandel einsetzte. Waren 1821 noch 96 % aller jüdischen Erwerbstätigen im Handel konzentriert gewesen, ergab die Gewerbezählung 1895 in Bayern folgende Verteilung: Industrie und Handwerk (13,43 %), Handel und Verkehr (53,37 %), Landwirtschaft (3,67 %), öffentliche Dienste und freie Berufe (5,73 %). Da de facto der Zugang zu den Beamten- und Militärlaufbahnen nach wie vor erschwert war, erfolgte verstärkt eine Hinwendung zu den freien Berufen, vor allem als Ärzte und Rechtsanwälte.

Die Erwerbsziffer des ausgehenden 19. Jahrhunderts änderte sich bis zum Beginn der 30er Jahre nur unwesentlich. Lediglich die Anzahl der jüdischen Privatbanken war auf zwei Häuser gesunken.

Aufruf zum Boykott jüdischer Geschäfte vom April 1933
Aufruf zum Boykott jüdischer Geschäfte vom April 1933

NS-Zeit

1933 waren in Augsburg von insgesamt 439 jüdischen Erwerbspersonen 40 % selbständige Kaufleute, 23 % Agenten bzw. Vertreter, 17 % Angestellte, 3 % Ärzte, 3 % Rechsanwälte bzw. Notare. Die Mehrzahl der jüdischen Erwerbstätigen besaß Geschäfte kleinen oder mittleren Umfangs. Durch die nationalsozialistische Propaganda, die 'Warenhaus' mit 'jüdisch' untrennbar verband, prägten sich gerade diese Firmen ins Gedächtnis der Bevölkerung ein. Die Kaufhäuser Landauer, Schocken und Kadep waren indes Filialen großer und mittlerer Ketten, keine hiesigen Gründungen. Die, was Umsatz und Zahl der Beschäftigten anbelangt, bedeutendsten jüdischen Betriebe betätigten sich im Textilsektor: die Spinnerei und Weberei am Sparrenlech Kahn & Arnold (940 Mitarbeiter), die Weberei M. S. Landauer (430 Mitarbeiter) sowie weitere Firmen ähnlicher Größenordnung, die Kunstseiden- und Baumwollweberei Raff & Söhne, die Wäschefabriken Augsburg und die Herrenkleiderfabrik Pflaunlacher & Schwab. Gut ausgebauten Spezialgeschäften - vor allem im Textilhandel - verdankten viele Familien des jüdischen Bürgertums ihren Wohlstand. In diesem Sektor betätigten sich die ältesten Geschäfte in Augsburg. Neben den 36 Einzelhandels- und 13 Großhandelsfirmen gab es eine Gruppe von Gewerbetreibenden, die als Agenten oder vom Trödelhandel lebten.

Der hauptsächlich von wirtschaftlichem Neid getragene Antijudaismus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts steigerte sich in den Jahrzehnten nach der Reichsgründung zum Antisemitismus. Die 1893 in Augsburg gegründete antisemitische Volkspartei nahm ansatzweise das Vokabular der späteren NS-Propaganda vorweg. Obwohl die Partei, was die Anzahl der Mitglieder sowie Wahlerfolge anging, erfolglos blieb, fanden ihre Veranstaltungen durchaus Widerhall in der Bevölkerung. Während der Weimarer Republik kam es von nationalsozialistischer Seite zu einzelnen Aktionen gegen Augsburger Juden. Friedhofsschändungen 1924 und 1930 sowie Pöbeleien gegen einzelne Juden blieben noch Einzelaktionen. Ab 1931 erschien in Augsburg eine eigene Parteizeitung der NSDAP, die 'Neue National-Zeitung', die vordringlich zum Boykott jüdischer Firmen aufforderte. Nach der Machtergreifung verschlechterten sich, beginnend mit dem Boykott am 1.4.1933, die Verhältnisse kontinuierlich. Die Rechte und Lebensbedingungen der Juden wurden von Jahr zu Jahr eingeengt. Der Boykottag vom 1.4.1933 bedeutete auch für die Augsburger Juden Bedrohung und vereinzelt Beschädigung ihre Geschäfte.

Von den Gesetzen im April 1933 waren jüdische Beamte, Rechtsanwälte und Ärzte betroffen, zudem wurden Juden aus allen Ehrenämtern entfernt. In Augsburg wurden zwei jüdische Angehörige des öffentlichen Dienstes in den sofortigen Ruhestand versetzt, fünf Rechtsanwälten wurde Berufsverbot erteilt. 1934 wurde Friedrich Port, Direktor der Inneren Abteilung des Hauptkrankenhauses, seiner Stellung enthoben, obwohl seine jüdische Mutter bereits in jungen Jahren konvertiert war. Glück hatte der Komponist und Organist Arthur Piechler, ebenfalls 'Halbjude', dessen Entlassung führende Augsburger Nationalsozialisten bis 1944 hinauszögerten. Für die von der nationalsozialistischen Verdrängungspolitik betroffenen jüdischen Unternehmen lautete das Schicksal entweder Liquidation oder Arisierung. Ein liquidierter Betrieb hörte zu existieren auf, während der arisierte Betrieb von einer deutschen Firma aufgekauft wurde. In der Zeit von März 1933 bis November 1938 wurden in Augsburg 52 Firmen liquidiert und 49 arisiert. Nach 1935 ('Nürnberger Gesetze') war das Jahr 1938 der zweite schlimme Höhepunkt der Verfolgungsmaßnahmen des Dritten Reiches. Die jüdischen Gemeinden verloren den Status einer 'Körperschaft des öffentlichen Rechts', Juden mußten ihrem Vornamen den Zwangsnamen 'Sara' bzw. 'Israel' hinzufügen, Führerscheine und Zulassungspapiere wurden ihnen entzogen, es wurde ihnen unter anderem verboten, Theater, Kinos, Museen und Schwimmbäder zu besuchen.
Nach der Reichspogromnacht erfolgte am 12. November die Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben. Binnen weniger Monate verschwanden die letzten noch bestehenden jüdischen Geschäfte. Im Januar 1939 bestand nur noch ein jüdischer Betrieb, die jüdische Gaststätte in der Bürgermeister-Fischer-Straße 11.

Trotz der erschwerten Lage nach 1933 versuchte die Gemeinde, ein eigenständiges gesellschaftliches Leben zu entwickeln. Im Mai entstand bereits eine Zweigstelle des Jüdischen Kulturbundes. Im Juni 1935 fand in Augsburg ein Sportfest statt, an dem sich 600 Mitglieder jüdischer Jugendorganisationen beteiligten. Im August 1935 wurde ein Haus der Pioniere (Beth Chaluz) eingerichtet, in dem sich Jugendliche auf die Auswanderung nach Palästina vorbereiten konnten. Nachdem bereits im Herbst 1936 der gesamte Religionsunterricht in die Schulräume der Synagoge verlegt worden war, eröffnete die Gemeinde im Februar 1937 eine eigene Volksschulklasse. Daraus ging 1938 eine staatliche Sonderklasse mit 28 Kindern hervor. Als im November 1938 alle jüdischen Schüler von den städtischen höheren Schulen verwiesen worden waren, konnte die Volksschule in der Synagoge bestehen bleiben. Noch 1941, im Jahr der Einführung des 'Judensterns', wurden dort 29 Kinder unterrichtet.

Nach dem erzwungenen Verkauf ihrer Geschäfte folgte die Vertreibung der Juden aus den Wohnungen. Bereits 1939 kam es in Schwaben zu Zwangsverschleppungen, jüdische Familien wurden nach Augsburg gebracht und in sogenannte Judenhäuser eingewiesen. Zu solchen Häusern gehörte unter anderem die Rabbinerwohnung in der Synagoge, das Haus Hallstraße 14 und eine Wohnung in der Maximilianstraße 14.

In der Folgezeit wurden alle verbliebenen Juden (zwischen 1933 und 1942 wanderten ca. 560 Juden aus) unter unmenschlichen Bedingungen in derartige Häuser verbracht. Zwischen November 1941 und Februar 1945 wurden sie nach Riga, Piaski, Auschwitz und Theresienstadt deportiert und dort ermordet. Augsburg war Sammelstelle für alle Deportierten aus Schwaben, insgesamt gab es sieben Transporte. Im September 1944 wohnten noch 57 in 'Mischehe lebende Juden' (ein Partner mußte nach den Nürnberger Rassegesetzen als Jude bezeichnet werden) in der Stadt, von denen 13 im Februar 1945 nach Theresienstadt deportiert wurden.

Synagoge, Halderstraße
Synagoge, Halderstraße

Neuanfang

Nur etwa 25 ehemalige Gemeindemitglieder konnten nach dem Ende des Krieges nach Augsburg zurückkehren. 1946 gründeten sie zusammen mit Juden aus Osteuropa, die als 'Displaced persons' nach Augsburg gekommen waren, die Jüdische Kultusgemeinde Augsburg-Schwaben. Der jüdische Rechtsanwalt Ludwig Dreifuß übte von September 1945 bis Juni 1948 das Amt des kommissarischen Bürgermeisters bzw. des Zweiten Bürgermeisters der Stadt aus.

1963 wurde im ehemaligen Gemeindehaus Halderstraße eine kleine Synagoge eröffnet. Im September 1985 fand die Wiedereinweihung der restaurierten Großen Synagoge und die Eröffnung des Jüdischen Kulturmuseums statt. 1953-1996 bestimmte die Geschicke der Gemeinde Senator Julius Spokojny, der auch die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit mitbegründete.