von Werner-Williams-Krapp

Über das Augsburger Bildungswesen und über ein schriftliterarisches Leben in der Stadt vor dem 10. Jahrhundert ist nichts bekannt. Es ist anzunehmen, daß es mündlich tradierte Dichtung, wie in analphabetischen Gesellschaften üblich, gegeben hat, Schriftliches aus dieser Zeit ist jedoch nicht erhalten oder nicht zwingend nach Augsburg lokalisierbar. Eindeutig belegbare schriftliterarische Betätigung läßt sich erst gegen Ende des 10. Jahrhunderts greifen, in einer Zeit, in der auch erstmals von einer Domschule die Rede ist. Froumund von Tegernsee rühmt um 1000 den 'unerschöpflichen Reichtum' der bischöflichen Bibliothek und das glänzende Gedeihen der Bildungsinstitutionen in der Stadt.

Anfänge schriftliterarischen Lebens

Die frühmittelalterliche Literatur Augsburgs ist ausschließlich religiöser Natur und in lateinischer Sprache verfaßt. Das althochdeutsche 'Augsburger Gebet' ist zwar in einer aus dem 9. Jahrhundert stammenden Handschrift des Domstifts überliefert, aber sowohl Text wie Codex dürften im Rheinfränkischen, wahrscheinlich in Lothringen, entstanden sein. Das erste bedeutende Werk Augsburger Provenienz ist die 'Vita Sancti Oudalrici Episcopi Augustani' des Gerhard von Augsburg. Die 982/83 verfaßte Legende stellt kein literarisches Meisterwerk dar, ist aber von hohem kulturgeschichtlichem Interesse. Der Augenzeuge Gerhard berichtet in 28 Kapiteln und einer Vielzahl von Mirakeln vom Leben und Wirken des späteren Stadtheiligen, freilich mit einer für hagiographische Werke typischen, verklärenden Intention. In Gerhards 'Vita' erfährt Ulrich Visionen und göttliche Weisungen, er wirkt zudem zahlreiche Wunder. Die hagiographische Überformung tut dem historischen Wert von Gerhards Schilderungen indes keinen Abbruch. Denn Gerhard berichtet auch über viele Aspekte, die sich in Legenden gewöhnlich nicht finden. So erzählt er vom administrativ-seelsorgerischen Wirken Ulrichs, etwa von seiner Bautätigkeit und seiner Rolle als Ratgeber des Königs. Die 30 Wunderberichte lassen auf eine früh einsetzende und weit über Augsburg hinausgreifende Ulrichsverehrung schließen.
Kurz nach der Entstehung von Gerhards 'Vita' unternahm Bischof Gebehard eine durchgreifende Redaktion des von ihm als mangelhaft betrachteten Werkes. Sein verletztes Stilgefühl sowie die Merkmale von Ulrichs Heiligkeit, die nach Gebehard von Gerhard nicht deutlich genug herausgearbeitet worden waren, veranlaßten ihn zu diesem Schritt. Er beseitigte alle weltlichen Elemente und letztendlich alles, was zum Leben eines Heiligen nicht paßte. Gerhards 'Vita' und Gebehards Redaktion, die unvollständig blieb, wurden um 1020/30 im Auftrag von Abt Fridebold von St. Ulrich und Afra durch Bern von Reichenau erneut bearbeitet und noch weiter als bei Gebehard zur überhöhenden Heiligenlegende stilisiert. Dieser Text blieb dann über viele Jahrhunderte das maßgebliche 'Ulrichs-Leben'.

Der vermutlich als Lehrer an der Domschule tätige Heinrich von Augsburg verfaßte in seinen Augsburger Jahren 1077-1083 einen 'Planctus Evae' (2283 leoninische Hexameter), der vorwiegend auf Hrabans Genesiskommentar fußt, aber auch Vergil, Horaz, Ovid und Juvenal rezipiert. Das Werk ist dreigeteilt: Zunächst werden die biblischen Ereignisse knapp nacherzählt und anschließend ausgelegt, sodann wird der typologische Bezug zwischen Adam und Christus erörtert. Daß Heinrich sein Werk primär zur Verwendung in der Lehre verfaßte, liegt zwar nahe, ist aber nicht eindeutig zu klären.

Das 12. Jahrhundert

Bereits im 12. Jahrhundert dürfte es zur Aufführung geistlicher Feiern und Spiele gekommen sein. Der zeitkritische Rigorist, Gerhoh von Reichersberg, 1116-1120 und 1122-1124 Domscholaster in Augsburg, tadelt in einer Schrift seine Mitkanoniker, die nur zu Spielen und Theateraufführungen zusammenkämen. Es dürfte sich dabei wohl um die in dieser Zeit populär werdenden lateinischen mimischen Darbietungen zu Ostern und zu Weihnachten oder zu wichtigen Heiligenfesten handeln. Texte aus dieser Zeit sind jedenfalls bekannt. Im 12. Jahrhundert hatte der Brauch, innerhalb des Gottesdienstes zur Vertiefung der Andacht biblische Ereignisse in kurzen Darbietungen aufzuführen, große Popularität erlangt. Gerhoh geißelt diese Erscheinung und beklagt, daß sie immer weiter um sich greife und Bethäuser in Theater verwandle.

Mit der Umwandlung des Kanonikerstifts St. Afra in ein Benediktinerkloster im 11. Jahrhundert - der neue Name St. Ulrich und Afra ist erst gegen Ende des Jahrhunderts belegt - regt sich erstmals auch Interesse an Geschichtsschreibung, die über das Verfassen von Hagiographie hinausgeht. Der Mönch Isengrim, der 1145 Abt von Ottobeuren wurde, regte 1143 die große Weltchronik Ottos von Freising an. Udalschalk, 1127-1151 Abt von St. Ulrich und Afra, berichtet in seiner Schrift von den Auseinandersetzungen zwischen seinem von ihm verehrten Vorgänger, Egino, und dem Augsburger Bischof Hermann. Auch ein Leben des hl. Konrad von Konstanz sowie einige lateinische Gedichte und Lieder stammen aus Udalschalks Feder.

Das erste in Augsburg verfaßte deutschsprachige Werk ist das 1172 vollendete Marienleben des Priesters Wernher ('Driu liet von der maget' - Drei Bücher von der Jungfrau), eines der künstlerisch bedeutendsten geistlichen Versepen des deutschen Mittelalters. Wernhers Gönner und Auftraggeber war höchstwahrscheinlich sein Propst, Manegold von Siebnach (bei Augsburg). Ob Wernher Priester war oder nur 'einfacher Mönch', läßt sich nicht sicher rekonstruieren. Auch der Anlaß für das Werk ist letztlich nicht geklärt. Die drei Bücher mit mehr als 5000 Versen konzentrieren sich auf die großen Marienfeste: Mariä Empfängnis, Mariä Verkündigung und die Geburt Jesu. Das erste 'liet' erzählt von Anna und Joachim, Mariä Geburt und ihrer Darbringung im Tempel; das zweite handelt von der Verlobung Josephs und Marias, der Verkündigung und der Begegnung mit Elisabeth; das dritte 'liet' konzentriert sich auf die Weihnachtsgeschichte und die Flucht nach Ägypten sowie Episoden aus der Kindheit Jesu. Ein Abriß von Jesu Leben, Sterben und Himmelfahrt mit einem Hinweis auf das Jüngste Gericht beschließt das Werk. Der talentierte Erzähler verfaßte sein Werk gleichzeitig mit dem Aufkommen des höfischen Romans, ohne jedoch von diesem beeinflußt zu sein. Wo Wernher sein poetisches Handwerk gelernt hat, ist ungewiß. Es liegt aber nahe, ein zumindest rezeptives Interesse an deutschsprachiger geistlicher Literatur in Augsburg vor seinem Werk zu postulieren. Die 'Driu liet' wurden offenbar auch in Laienkreisen rezipiert, denn das Buch sollte auch Frauen schmerzfreies Gebären ermöglichen.

Albert von Augsburg: Leben des hl

Das 13. Jahrhundert

Bereits ansatzweise von höfischer Epik beeinflußt ist das 1605 Verse umfassende 'Leben des hl. Ulrich', das Albert von Augsburg um 1200 verfaßte. Bei Albert könnte es sich um den nach 1240 gestorbenen Prior von St. Ulrich und Afra, Adilbert, handeln, der auch als Redaktor lateinischer Hagiographie hervorgetreten ist (Viten Afras und Simperts). Das Werk ist im wesentlichen eine Versübersetzung der Ulrichs-Vita Berns von Reichenau sowie einer lateinischen Sammlung posthumer Wunder. Albert schrieb es für die 'geistlich kint', also wohl für eine Frauenkommunität, Schülerinnen oder auch Beichtkinder. Dem Werk war kein Erfolg beschieden, nur eine Handschrift aus St. Ulrich und Afra ist erhalten. In ihr trug um die Wende vom 12. zum 13. Jahrhundert die Klausnerin bei St. Ulrich und Afra, Engelbirn, einige Texte ein, darunter auch den mystischen Traktat 'Von der Seele Würdigkeit'. Engelbirn galt früher irrigerweise als Verfasserin dieser Texte.

Höfische Literatur
Im Laufe des 13. Jahrhunderts könnte höfische Literatur in der Oberschicht Augsburgs und des Umlandes durchaus Verbreitung gefunden haben. Die Herkunft einiger Autoren legt eine Rezeption von Minnesang und höfischem Roman in und um Augsburg nahe. In den 1230/40er Jahren verfaßte Ulrich von Türheim, Angehöriger einer Ministerialenfamilie im Dienste der Augsburger Bischöfe, auf der Grundlage des 'Cligès' von Chrétien de Troyes den höfischen Roman 'Cliges' und vollendete die nicht zum Abschluß gekommenen Romane 'Tristan und Isolde' Gottfrieds von Straßburg ('Tristan') und 'Willehalm' Wolframs von Eschenbach ('Rennewart'), was eine intensive Rezeption höfischer Literatur bei seinen Auftraggebern voraussetzt. Diese waren aber nicht in Augsburg zu Hause, sondern stammen aus dem schwäbischen Hofkreis um Heinrich VI. und Konrad IV.

Auch der Minnesang wurde möglicherweise in den höheren Kreisen gepflegt. Ein beachtliches Oeuvre an Liedern und Leichs, das aber sicherlich nicht primär für ein Augsburger Publikum verfaßt wurde, ist von Ulrich von Winterstetten erhalten, der mit Schenck Ulrich von Schmalneck-Winterstetten identifiziert wird. Er war Angehöriger eines oberschwäbischen Ministerialengeschlechts, welches das Reichsschenkenamt innehatte und in enger Beziehung zum staufischen Herrscherhaus stand. Ulrich ist zwischen 1241 und 1280 als Augsburger Domherr nachweisbar. Die berühmte Manessische Liederhandschrift überliefert fünf Leichs und 40 seiner Lieder, die in der Tradition des hochhöfischen Minnesangs stehen.

Ulrich von Türheim: Willehalm, 13. Jahrhundert.
Ulrich von Türheim: Willehalm, 13. Jahrhundert.
 

Franziskanisches Schrifttum
In der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts entwickelte sich das 1221 gegründete Augsburger Minoritenkloster zu einem Zentrum der volkssprachlichen Literatur im süddeutschen Raum. Die 31 Gründungsbrüder waren von Franziskus selbst dorthin entsandt worden, um die franziskanische Mission in die deutschen Lande zu tragen. Augsburg wurde zum Ausgangspunkt der franziskanischen Bewegung in Deutschland und das Kloster zu einem Ort, wo - höchstwahrscheinlich in enger Verbindung mit dem Regensburger Konvent - erstmals anspruchsvolles geistliches Schrifttum in deutscher Prosa entstand. Die frühe Überlieferung der Werke, die aus dem ostschwäbischen bzw. Augsburger Raum stammt, legt dies jedenfalls nahe. Da es auch frühe bairische Handschriften gibt, läßt sich aber auch eine von Regensburg ausgehende Verbreitung annehmen.

Diese von Franziskanern verfaßten Werke gehören zu den ersten aus einer heute immer noch nicht überschaubaren Masse von geistlicher Literatur in der Volkssprache, welche die literarische Produktion und Rezeption im 14. und 15. Jahrhundert weitgehend dominierte. Geistiger Mittelpunkt des Augsburger Konvents war David von Augsburg, Freund und Gefährte des berühmten Volkspredigers Berthold von Regensburg und
erster großer Verfasser geistlicher Literatur seines Ordens in Deutschland. Es kann als gesichert gelten, daß David aus Augsburg stammte, da die Franziskaner generell ihre Namen mit ihrem Herkunftsort verknüpften. Auch ein Aufenthalt Davids im Augsburger Konvent ist nachweisbar. Allerdings wird er um 1240 noch als Novizenmeister im Regensburger Kloster geführt. Wann er sich in Augsburg aufhielt und wann und wo seine Werke entstanden, ist nicht mehr sicher zu rekonstruieren.

Davids Hauptwerk, ein lateinisches Lehrbuch des geistlichen Lebens, war ein mittelalterlicher 'Bestseller'; 400 Handschriften haben sich erhalten. David erläutert den Weg zur inneren Vollkommenheit am berühmten dreistufigen Modell ('triplex via'), wobei er am Ende eine Lehre der mystischen Theologie entwirft. Was seine deutschen Werke betrifft, so läßt sich nicht mit letzter Sicherheit sagen, was von David selbst und was von seinem Umkreis verfaßt wurde. Relativ sicher David zuzuweisen sind 'Die sieben Vorregeln der Tugend', 'Der Spiegel der Tugend', 'Von der Offenbarung und Erlösung des Menschengeschlechts', 'Die sieben Staffeln [d.h. Stufen] des Gebets' sowie Auslegungen des 'Pater noster' und des 'Ave Maria'.

Es geht David stets um eine Anleitung zur Gestaltung des spirituellen Lebens, dargelegt in hervorragender deutscher Prosa, für die es kaum Vorbilder gibt. In dem Traktat 'Von der Offenbarung und Erlösung des Menschengeschlechts' bietet er z.B. eine Trinitätslehre auf hohem argumentativem Niveau. Hier findet sich erstmals spekulatives Denken in deutscher Sprache. Ganz wohl war es David bei diesem Projekt nicht, denn seiner Meinung nach stellte die Volkssprache keine ausreichende Terminologie zur Verfügung. Dennoch meisterte er die schwierige Aufgabe, die Selbstentfaltung der Gottheit im innertrinitarischen Prozeß als Hervorgang ('emanatio') aus dem Einen zu erläutern, mit bestechender Klarheit. Davids Adressaten waren wohl Nichtlateinkundige, aber dennoch halbwegs Gebildete, etwa Nonnen, Laienbrüder und Drittordensangehörige.

David begleitete seinen Mitbruder, den berühmten Volksprediger Berthold von Regensburg, der auch in Augsburg vor begeistertem Publikum sprach, auf seinen vielen Reisen. Für die Regensburger und wohl auch für die Augsburger Minoriten war es ein wichtiges Anliegen, Bertholds Gedankengut so nahe wie möglich an seinem tatsächlichen Predigtstil und seiner Sprachgebung zu orientieren und zu dokumentieren, und zwar unter Hinzuziehung seiner lateinischen Predigten. Die sechs 'Klosterpredigten' Bertholds sind in einer frühen Augsburger Handschrift überliefert und dürften höchstwahrscheinlich im Augsburger Konvent entstanden sein.

Augsburger Minoriten übersetzten außerdem eine Klarissen- und eine Drittordensregel. Ebenfalls im Rahmen der Frauenklöster-Seelsorge verfertigten sie zwischen 1270 und 1290 das erste asketisch-mystische Erbauungsbuch, den 'Baumgarten geistlicher Herzen'.
Es handelt sich um ein lockeres Kompilationscorpus von über 200 Texten und Textteilen verschiedensten Umfangs mit einer gereimten allegorischen Vorrede: Traktate, Predigten, Gebete und Exzerpte, z.B. aus den lateinischen (in Übersetzung) und deutschen Werken Davids von Augsburg, den Predigten Bertholds von Regensburg und aus den Schriften bedeutender Kirchenlehrer (vor allem Bernhards von Clairvaux). Im Sinne franziskanischer Spiritualität werden sowohl allgemeine Fragen der christlichen Lebens- und Sittenlehre behandelt als auch Aspekte des Ordenslebens. Auch hier wird man ähnliche Adressatenkreise annehmen wie bei Davids deutschen Werken, eine illiterate Leserschaft, die aber durchaus hohe intellektuelle Ansprüche an ihre Lektüre stellte. Das dürfte der Grund dafür gewesen sein, daß das deutsche geistliche Schrifttum der Augsburg-Regensburger Minoriten - von Bertholds Predigten abgesehen - keine größere Verbreitung fand. Bemerkenswert ist eine wohl aus Augsburg stammende Handschrift (München, BSB Cgm 400) von 1491, in der der 'Baumgarten' konsequent für einen laikalen Leserkreis umgearbeitet wurde.

Die Augsburger Minoriten befaßten sich bei ihren Bemühungen um die volkssprachliche Literatur keineswegs nur mit geistlichen Werken. Ihre intensiven Bemühungen um die Herstellung von deutschsprachigem Rechtsschrifttum führten zum - neben dem 'Sachsenspiegel' Eikes von Repgow - wirkungsmächtigsten Rechtsbuch des Mittelalters, dem 'Schwabenspiegel' (eigentlich 'Kaiserliches Landrecht' und 'Lehnrecht'). In ihren Rechtsbüchern zeigt sich, wie Franziskaner bestrebt waren, die Gesellschaft nicht nur über die Seelsorge und Predigt, sondern umfassend zu beeinflussen. Hinter diesen Bemühungen steckt das Bedürfnis, der Gesellschaft sehr konkrete Möglichkeiten anzubieten, um zwischenmenschliche Konflikte zu vermeiden oder beizulegen. Denn das Rechtsbuch hatte bei den Franziskanern auch die Funktion eines Tugendbuchs, das erwünschtes menschliches Verhalten begründete.

In den frühen 1270er Jahren dürfte der 'Sachsenspiegel' über eine oberdeutsche Übersetzung aus Magdeburg, der wichtigsten Ausbildungsstätte der deutschen Minoriten, zu den Augsburger Mitbrüdern gelangt sein. Von dieser Übersetzung leiten sich drei Rechtsbücher ab, die aber in sehr unterschiedlicher Weise den 'Sachsenspiegel' rezipieren. In einem ersten Anlauf entstand der 'Augsburger Sachsenspiegel', der Fragment blieb und eine überarbeitete Redaktion der oberdeutschen Übersetzung darstellt. In der Überlieferung ist er mit Teilen des Augsburger Stadtrechts verbunden. Eng verwandt mit diesem Werk ist der ca. 1274/75 entstandene 'Spiegel aller deutschen Leute' (auch 'Deutschenspiegel'), in dem die oberdeutsche 'Sachsenspiegel'-Übersetzung durch Korrekturen, Streichungen und Erweiterungen stark überarbeitet und durch weitere Quellen ergänzt wird. Auch dieses Werk stellt kein ausgeformtes Rechtsbuch dar - es ist auch nur in einer Handschrift vollständig überliefert -, sondern lediglich die zweite Etappe hin zum 'Schwabenspiegel'. Die Verfasser oder Bearbeiter des um 1275/76 entstandenen 'Schwabenspiegels' betonen in ihrem Vorwort, in dem deutliche Anklänge an die Schriften Davids von Augsburg und die Predigten Bertholds von Regensburg zu finden sind, die zentrale Bedeutung des Friedens und leiten davon die Notwendigkeit von Gesetz und Gericht ab. Zwei Universalgewalten, Papst und Kaiser, gestalten das Recht. Im 'Schwabenspiegel' werden die im 'Deutschenspiegel' sichtbar gewordenen Bearbeitungstendenzen weitergeführt. Es wird zwar das Grundkonzept des sächsischen Rechtsbuches beibehalten, aber der spezifische Bezug auf das sächsische Rechtsgebiet beseitigt. Erweitert wird das Ganze durch Ergänzungen aus dem römischen und kanonischen Recht und durch oberdeutsche Rechtstexte des Frühmittelalters. Inhaltliche Bezüge zum Augsburger Stadtrecht sind ebenfalls greifbar. Das Werk war als Anleitung für alle mit der Rechtspflege Befaßten gedacht und setzte sich bei diesen auch sehr bald durch: 311 Handschriften des Landrechts und 268 des Lehnrechts bezeugen die außerordentliche Bedeutung des 'Schwabenspiegels' für die spätmittelalterliche Rechtspflege, auch im sächsischen Rechtsbereich. Er wurde ins Lateinische, Französische und - mit besonderer Rezeption - ins Tschechische übersetzt.

Große Heidelberger Liederhandschrift
Große Heidelberger Liederhandschrift (Codex Manesse): Ulrich von Winterstetten
Baumgarten geistlicher Herzen, um 1270/90
Baumgarten geistlicher Herzen, um 1270/90 in Augsburger Franziskanerkreisen kompiliert, Handschrift Ende 13. Jahrhundert
 

Das 14. Jahrhundert

Das literarische Leben in Augsburg während des 14. Jahrhunderts läßt sich nur schwer genauer konturieren. Es gibt ausreichende Hinweise, daß unter den ca. 2,5 Prozent der (steuerpflichtigen) Bevölkerung, auf die sich der Reichtum der Stadt im wesentlichen konzentrierte, durchaus Interesse an Literatur vorhanden war. So ist eine Reihe von Augsburger Handschriften aus dem 14. Jahrhundert erhalten, in denen sowohl geistliches wie weltliches Erzählgut überliefert ist. Beliebt scheinen nach Auskunft der Überlieferung offenbar schwankhafte Verserzählungen (Mären), Minnereden und ähnliches mehr gewesen zu sein. Da Texte dieser Gattungen zumeist anonym tradiert wurden oder die Autoren sich bisweilen mit Phantasienamen versahen (Niemand, Hans Ehrenbloß, Der Freudenleere), läßt sich nur in seltenen günstigen Fällen die genaue Herkunft eines Dichters oder Werkes festmachen. Vielfach wird man davon ausgehen, daß die ostschwäbische Sprache eines Textes auf Augsburger Entstehung hinweist, denn es gab in diesem Sprachraum nur wenige andere 'Resonanzböden' für derartige Literatur, stringent beweisen läßt sich dies jedoch nur in wenigen Fällen.

Ein gutes Beispiel für diese Problematik stellt Hermann Fressant dar, der um die Mitte des 14. Jahrhunderts die Schwankerzählung 'Der Hellerwertwitz' verfaßte. Sie erzählt von einem untreuen Ehemann, der sich gleich zwei Mätressen hält und diese und seine Frau auf eine Probe stellt, bei der sich die bescheidene und tugendsame Ehefrau vor den beiden selbstsüchtigen Nebenbuhlerinnen bewährt. Die amüsante Geschichte mit einer klaren Lehre stammt von einem Dichter, der behauptet, 'ze Auspurg man in wol erkant'. Üblicherweise geht man davon aus, daß Hermann Fressant zwar aus einer bekannten Augsburger Familie stammt, aber mit dem 1348, 1352 und 1353 bezeugten Stadtschreiber von Ulm gleichen Namens identisch ist. Unklar bleibt indes, wo (Augsburg oder Ulm?) und für welchen Adressatenkreis er seine Erzählung verfaßte.

Vor ähnliche Probleme stellt uns ein produktiver Dichter des späten 14. und frühen 15. Jahrhunderts. Von dem wahrscheinlich in Landsberg beheimateten Dichter Heinrich Kaufringer (aus Kaufering bei Landsberg) sind 27 Gedichte kürzeren Umfangs erhalten, die sowohl weltliche wie geistliche Stoffe und Themen behandeln. Zweimal ist Augsburg Schauplatz der Handlung. Schrieb Kaufringer auch oder sogar für das städtische Publikum in Augsburg, das er als 'Resonanzboden' für seine Werke, die vielfach dezidiert stadtbürgerliche Werte thematisieren, im Auge hatte? So beklagt er etwa in 'Die uneinigen Kaufleute' die aus mangelnder Geschlossenheit der Bürger sich ergebende Schwäche gegenüber dem Hof.

Recht sicher nach Augsburg zu lokalisieren ist das im 14. Jahrhundert entstandene schwankhafte Märe 'Die böse Adelheid', in der ein geistig überlegener Mann das Handeln seiner immer das Gegenteil von seinen Wünschen wollenden 'übelen' Ehefrau durch listiges Taktieren bis zu ihrem selbstverschuldeten Ertrinken im Lech zu steuern vermag. Ort des Geschehens ist Augsburg, die Eheleute kommen aus einem Dorf in der Nähe.
Ebenfalls im 14. Jahrhundert entstanden ist eine deutsche Versadaptation des 'Liber de ludo scaccorum' des Jacobus de Cessolis, einer allegorischen Deutung des Schachspiels, durch Heinrich von Beringen. Von den verschiedenen bezeugten Trägern des Namens kommt am ehesten ein ritterbürtiger Heinrich von Beringen in Betracht, der zwischen 1323 und 1354 (bis 1350 als Kanonikus) zu Augsburg bezeugt ist. Daß er für einen Augsburger Auftraggeber gedichtet hat, ist eher unwahrscheinlich, da er sich dezidiert an ein höfisches Publikum wendet. Wohl ebenfalls ihm zuzuschreiben sind eine Reimpaarrede und drei Lieder, die in einer um 1348 entstandenen Augsburger Handschrift erhalten und mit 'des von Beringen geticht' (bzw. 'lieder') überschrieben sind. Im Reimpaargedicht weist eine Frau den Verleumder ihres Geliebten ab. Die dreistrophigen Lieder gehören zu den wenigen Zeugnissen für die Tradition des Liebesliedes im 14. Jahrhundert.

Das 15. Jahrhundert

Für Verbreitung und Produktion deutschsprachiger Schriften stellt das 15. Jahrhundert bekanntlich einen Dammbruch dar. Die wichtigste Ursache für diese 'Literaturexplosion' ist die in fast allen Städten zu beobachtende entschiedene Förderung von Bildung und Bildungseinrichtungen, da die Oberschicht die Notwendigkeit breiter schulischer Ausbildung für wirtschaftliches Gedeihen erkannt hatte. Sogar arme Handwerker brachten große Opfer, um ihre Kinder zumindest an Elementarbildung teilhaben zu lassen. War die Alphabetisierung der Laien ursprünglich durch merkantile Erwägung motiviert, bildete sich im Laufe des 15. Jahrhunderts in größeren Städten wie Augsburg, Nürnberg und Straßburg ein starkes Bewußtsein urbanen Bildungsdenkens heraus; Gelehrsamkeit gehörte nun neben Geburt und Eigentum zu den wichtigsten Merkmalen der sozialen Stellung, freilich ohne daß dadurch die als gottgegeben angesehenen sozialen Schranken zu überwinden gewesen wären. Die städtischen 'Bildungsoffensiven' trugen in erheblichem Maße zum Einreißen des klerikalen Bildungsmonopols bei. Laikale Schulabsolventen waren bisweilen besser gebildet als der lokale Klerus.

Die Verbilligung der Buchproduktion durch die leichte Verfügbarkeit des im Verhältnis zum Pergament sehr billigen Papiers und die Entwicklung des Buchdrucks, der letztlich als technologische und marktwirtschaftliche Antwort auf den massiv gestiegenen Bedarf an Literatur zu werten ist, ermöglichte den lesefähigen Laien dann auch in zunehmendem Maße privaten Buchbesitz, der in früheren Jahrhunderten zum absoluten Luxus gehört hatte. Den Bedürfnissen der Menschen entsprechend, handelt es sich bei den im 15. Jahrhundert hergestellten und verbreiteten Werken zu über 80 Prozent um religiöse Literatur.

Was die Herstellung von Literatur betrifft, so stand Augsburg im 15. Jahrhundert deutlich im Schatten der konkurrenzlosen 'Literaturhauptstadt' des Reiches, Nürnberg. Dies trifft aber nicht unbedingt auf die Rezeption zu, auch wenn in Augsburg die Handwerker nicht in dem Maße am Literaturbetrieb beteiligt waren wie in Nürnberg. Augsburg war z.B. ab den 1470er Jahren führend in der Herstellung von Druckausgaben deutschsprachiger Werke, und die reiche Augsburger Handschriftenüberlieferung, die auch in zahlreichen Fällen aus laikalem Besitz stammt, dokumentiert nicht nur Bücherbesitz bei Mitgliedern der Oberschicht, sondern auch vereinzelt bei wohlhabenden Handwerkern. Das Interesse an geistlicher Literatur war besonders stark ausgeprägt. So beklagten sich die Mönche von St. Ulrich und Afra, daß die Benutzung ihrer Bibliothek durch die Bürger der Stadt den Klosterbetrieb empfindlich störte. Die Überlieferung zeigt zudem, daß die meisten überregional verbreiteten weltlichen und geistlichen Werke Augsburg erreichten.

Ein krasses Mißverhältnis von Produktion und Rezeption herrscht ausgerechnet bei der so beliebten geistlichen Literatur vor. Während die Augsburger Klöster und Laien eifrig das reiche Angebot abschreiben ließen, sind nur wenige Werke in der Stadt selbst entstanden. Geradezu anachronistisch mutet im Zeitalter der Prosa eine in Augsburg entstandene Reimlegende der hl. Afra (1244 Verse) an. Auch umfangreiche Prosalegenden von Ulrich und Simpert sind vielleicht in St. Ulrich und Afra entstanden. Dennoch ist in diesem reformierten Kloster zwar Lateinisches, aber nur sehr wenig Volkssprachliches entstanden, und in den anderen Männer- und Frauenklöstern überhaupt nichts.


Lied- und Spruchdichtung
Eine gewisse Blütezeit erlebte die Lied- und Spruchdichtung im 15. Jahrhundert, obwohl in Augsburg bisher weder eine 'Singschule' der Meistersinger im Sinne einer öffentlichen Veranstaltung noch eine organisierte Meistersingergesellschaft nachgewiesen ist. Erst 1534 sollte die Gründung einer Meistersingergesellschaft gelingen. Trotzdem scheint meisterliches Singen floriert zu haben. Man kann davon ausgehen, daß es wahrscheinlich Wettbewerbe in Form von Konzertveranstaltungen gegeben hat, bei denen Meistersang dargeboten wurde. Die erhaltenen, in Augsburg abgeschriebenen Meisterliederhandschriften überliefern indes überwiegend anonymes Liedgut, das sich nur punktuell lokalisieren läßt.

Der einzige sicher nachgewiesene Vertreter der spruchdichterisch-meistersingerischen Liedtradition in Augsburg ist Jörg Schiller (1453-1462 urkundlich belegt), der vor allem weltliche Lieder verfaßte. In diesen werden u.a. männliche Impotenz besungen oder alte Männer beschimpft, welche nicht von den Frauen lassen können und sich nicht um ihre Ehefrauen sorgen, die deswegen sogar auf den Strich gehen müssen. Auch die im 15. Jahrhundert beliebte Klage über den Stolz der neureichen Bauern liegt einem Lied zugrunde. Schillers literarisches Weltbild ist von Untergangsstimmung geprägt, die Gesellschaft ist für ihn aus den Fugen geraten. Dennoch greift er nie aktuelle Ereignisse auf.

Vermutlich ebenfalls Meistersinger war der (nicht urkundlich bezeugte) Michael Schrade, der zwei Legendenlieder verfaßte. In 25 Strophen besingt er das Martyrium der hl. Dorothea, eng an seiner Vorlage, dem Legendar 'Der Heiligen Leben', klebend. Auch ein Ulrichs-Lied ist von ihm erhalten.

Gepflegt wurde auch das Zeitlied und zwar vor allem von Autoren, die sich ebenfalls der politischen Spruchdichtung widmeten. Ulrich Wiest dichtete 1449 ein Lied gegen die geistlichen Fürsten, die Bischöfe von Mainz, Bamberg und Eichstätt, die im sog. 'Zweiten Städtekrieg' gegen Augsburg und andere süddeutsche Städte kämpften. Am Allerseelentag 1449 trug Wiest dieses Lied mit Billigung des Rates öffentlich vor. Es handelt sich hierbei um den einmaligen Beleg dafür, wie Gesang zur Herstellung von städtischer Öffentlichkeit eingesetzt wurde. Erhalten sind auch Zeitlieder über die dramatischen Ereignisse von 1477, als der Bürgermeister Ulrich Schwarz die Brüder Vittel hinrichten ließ. Die Lieder rechtfertigen allesamt die Hinrichtung von Schwarz im folgenden Jahr.

Nur schwach vertreten sind in Augsburg religiöse Lieder. Dafür dürfte das äußerst populäre Lied 'Maria zart' von hier stammen. Es entstand vermutlich in Zusammenhang mit dem Jubeljahr 1500, und sein Absingen war wohl mit einem Ablaß verbunden, was die große Verbreitung z.T. zu erklären vermag. Das Lied umfaßte ursprünglich elf Strophen, die alle mit 'Maria' beginnen. Diese wird in der Ich-Form um Fürbitte im Tod und beim Jüngsten Gericht angerufen. Vermutlicher Verfasser von Text und dem sehr beliebten Ton dürfte ein gewisser 'Pfabenschwanz de auchspürg' gewesen sein. Das Lied verbreitete sich rasch und wurde in seinen Melodien mehrfach variiert, bearbeitet, kontrafaziert und als Tonmodell für andere Lieder verwendet.

Ein Lieder- und Spruchdichter gehörte zu den schillerndsten Persönlichkeiten Augsburgs im 15. Jahrhundert: der Weber Jörg Preining. Offenbar mit guter schulischer Bildung ausgestattet, betätigte er sich als Laienprediger und predigte 1484 mehrere Wochen außerhalb der Stadt bei der Kapelle St. Radegundis, und zwar offenbar von einem Baum herab. Diese Tätigkeit muß recht lukrativ gewesen sein, wie die Steuerbücher ausweisen. Preining war auch literarisch ambitioniert, er verfaßte eine Vielzahl von Reimpaarsprüchen unmittelbar für den Druck. Auch hierbei scheint er gut verdient zu haben. Von ihm stammen zudem fünf Lieder im Ton 'Maria zart'. In seinen Texten sucht Preining auch die Konfrontation mit dem Klerus, bisweilen tritt er entschieden für das Recht der Laien ein, selbständig das Wort Gottes zu interpretieren. Das klerikale Monopol im Bereich der Lehre ist ihm ein Dorn im Auge. Aus ungeklärten Gründen verließ Preining 1504 Augsburg unter Aufgabe seines Bürgerrechts und übersiedelte nach Schwabmünchen. In der Reformationszeit setzte er seine dichterische Tätigkeit fort, jetzt allerdings als Angehöriger der Täufer.

Ein weiterer produktiver Spruchdichter, der Herold (Wappen- und Zeitspruchdichter) Hans Schneider, war nur in den Anfängen seines Schaffens in Augsburg. Er diente 1488-1493 Herzog Christoph von Bayern, 1492 zugleich Kaiser Friedrich und 1498 König Maximilian. Er war politischer Publizist, der wie Preining unmittelbar für die Druckerpresse schrieb. Von ihm stammt auch ein Spruch über Ulrich Schwarz, in dem er dessen Missetaten aufzählt, sowie Sprüche, in denen über Schlachten und Kriege berichtet wird. 1501 ließ er sich in Nürnberg nieder.

Thomas Breyschuh, Angehöriger eines Augsburger Patriziergeschlechts, verfaßte zwei ausladende panegyrische Reden auf das Konzil von Konstanz, die aber letztlich als Lob auf König Sigismund verstanden werden wollen. In dem heute verschollenen Werk, 'Unser Frauen Guldin Predigt', dichtete er wohl ein Marienlob. An Breyschuhs (höchst mittelmäßigen) Dichtungen läßt sich ablesen, wie literarisches Schaffen inzwischen auch für Patrizier zu den prestigeträchtigen Betätigungen gehörte.

Handschrift mit Unterschrift Clara Hätzler, 1463
Handschrift mit Unterschrift Clara Hätzler, 1463

Kurzepik
Auch im Bereich der Kurzepik gab es in Augsburg Dichter, deren Werke über die Stadtgrenzen hinaus rezipiert wurden. Peter Schmieher war wohl, wie das Steuerregister 1424-1430 belegt, Schulmeister. Sein Œuvre umfaßt erzählende und didaktische Kleindichtung. Zwei in mehreren Handschriften überlieferte schwankhafte Mären sind von ihm erhalten, 'Die Nonne im Bad' und 'Der Student von Prag'. In dem einen geht es um eine naive Nonne, die sich von einem Mönch 'reiben' läßt, in dem anderen um die List einer betrügerischen Ehefrau, die ihren Liebhaber durch Vertauschung mit einem Esel vor dem verärgerten Ehemann retten kann. Schmiehers Reden sind dagegen ernst, sie warnen vor dem Würfelspiel und vor dem Neid.

Wahrscheinlich Handwerker (Scherer) war der in der Jahrhundertmitte belegte Verfasser von Reimpaarsprüchen, Hans Raminger. Neben einer offenbar sehr derben versifizierten Gesprächsszene ('Die Unersättliche') zwischen jungen Frauen über Liebesfreuden und Lustverlangen (in der einzigen Handschrift größtenteils herausgeschnitten!) hat auch Raminger Reimpaarsprüche verfaßt, worin er die Armut beklagt, vor Trunkenheit warnt und das Frühjahrstreiben leichtfertiger Mädchen als Beispiel für mangelnde Bußbereitschaft darstellt. Es zeigt sich bei fast allen Spruch- und Kleinepikdichtern Augsburgs, daß sie in ihrem dichterischen Schaffen durchaus vielseitig waren und wohl auch sein mußten, um erfolgreich zu sein.

Claus Spaun, Verfasser eines einzigen Märes, war begüterter Kaufmann, bis er 1505 plötzlich verarmte. Spaun ist als Literatursammler bekannt; neben Nürnberger Fastnachtsspielen schrieb er auch fachliterarische Texte, politisch-didaktische und historische Literatur sowie Lieder für den privaten Gebrauch ab. Von diesem Literaturfreund und -kenner stammt das Schwankmäre 'Fünfzig Gulden Minnelohn', in dem sich ein Ehemann an seiner untreuen Frau, die für fünfzig Gulden mit einem Studenten schläft, souverän zu rächen versteht.

Spauns Sammelleidenschaft ist keineswegs singulär. Beredtes Zeugnis für bürgerliches Interesse an weltlicher Dichtung bietet die Vielzahl Augsburger Handschriften, in denen Lieder, Minnereden und andere kleinepische Gattungen zusammengestellt wurden, wie etwa das 'Liederbuch', das die Augsburger Berufsschreiberin Clara Hätzler für den Bürger Jörg Roggenburg anfertigte. Die Vorlage für den Hauptteil der Handschrift stammt aus Franken, dennoch finden sich auch einige Lieder Augsburger Provenienz. Das Thema des 'Liederbuchs', das allerdings nur z.T. aus Liedern besteht, ist die Minne, ja man kann geradezu von einem 'Minnebuch' sprechen.
Ohne thematische Programmatik sind die hausbuchartigen Sammlungen Valentin Holls und Simprecht Krölls, die alles zusammentragen, was ihren Besitzern von Interesse war (u.a. auch Liebeslieder). Ein ähnlich buntes Sammelinteresse offenbart das sog. 'Augsburger Liederbuch' (1454), eine ebenfalls für einen Angehörigen der Oberschicht zusammengestellte hausbuchartige Handschrift, in der sich neben Liedern Kleindichtung aller Art findet: Mären, Minnereden, didaktische und obszöne Reden, Kurzgnomik wie lateinisch-deutsche satirische Gedichte, was für den gehobenen Bildungsstand des Sammlers spricht. Auch Chronikalisches ist, mit Aktualisierungen bis 1487, hier aufgenommen.

Sigmun Meisterlin überreicht dem Auftraggeber Sigmund Gossenbrot seine Augsburger Chronik. Initiale aus einer Handschrift des Klosters St. Ulrich und Afra, 1457
Sigmun Meisterlin überreicht dem Auftraggeber Sigmund Gossenbrot seine Augsburger Chronik. Initiale aus einer Handschrift des Klosters St. Ulrich und Afra, 1457

Chronistik
Im Bereich der Chronistik, und vor allem der Stadtchronistik, zeichnete sich im 15. Jahrhundert das literarische Schaffen Augsburgs besonders aus. Hier wird die ruhmreiche Vergangenheit der Stadt beschworen, das Herkommen der Oberschicht verklärend dokumentiert, Geschichte aus einer dezidiert bürgerlichen Sicht vermittelt. Es handelt sich also keineswegs um Versuche einer 'objektiven' Geschichtsschreibung, die historischen Ereignisse werden - von der Chronik des Ulrich Schwarz abgesehen - stets aus der Perspektive des Rates gedeutet. Man teilt die Augsburger Stadtchroniken im allgemeinen in zwei 'Generationen' auf: Die Werke der ersten sind annalistisch, sie bestehen aus einer reinen Aufzählung historischer Ereignisse, und stehen in einer auf den Rat bezogenen 'Öffentlichkeit'; die insgesamt 'literarischere' zweite gewinnt z.T. stark private Züge.

Zur ersten Generation gehören drei Werke. Das älteste ist die anonyme Chronik von 1368-1406, die mit der Auseinandersetzung um die Zunftverfassung beginnt und über die Jahre Nachrichten sukzessive bis Anfang des 15. Jahrhunderts zusammenstellt. Sie berichtet über politische Ereignisse, Kriege, Verbrechen und Rechtspflege, aber auch über ungewöhnliches Wettergeschehen u.ä. Der begüterte Kaufherr Erhard Wahraus erweiterte in den 1440er Jahren den berücksichtigten Zeitraum seiner Chronik auf 1126-1445 unter Berufung auf fränkisch-bayerische Klosterannalen und die Weltchronik Martins von Troppau. Er ist zwar bestrebt, Stadtgeschichte in die Universalgeschichte einzubinden, dennoch besteht die Hälfte seines Werks aus Berichten über Augsburger Ereignisse der Jahre 1400-1445. Eine dritte Chronik der ersten 'Generation' kann aus späteren Werken erschlossen werden.

Die zweite Chronik-Generation baut seit der Mitte des 15. Jahrhunderts auf die älteren Werke auf. Der Kaufmann Burkhard Zink verwertet in seiner Chronik das Werk des Anonymus und beginnt wohl deshalb mit den Ereignissen von 1368. Zinks bis 1468 reichende Stadtgeschichte zeichnet sich durch eine persönliche Darstellungsperspektive aus - er baut sogar eine Autobiographie ein - und präsentiert damit einen neuen Typ der Chronistik. Da Zink die größeren politischen Zusammenhänge nicht durchschaut, war er von einer großen Angst geplagt, die Stadt könne bald Opfer der Fürsten werden. Im autobiographischen Teil erzählt er von seiner Jugend, von seinem Werdegang, von Tätigkeiten und Geschäften, von seinen persönlichen Verhältnissen und dem Schicksal seiner Familienangehörigen. Im letzten Teil seiner Chronik berichtet er 'ain tail der geschicht, die geschehen sind hie in diser stat Augsburg, seider ich her komen pin' (er kam 1415 nach Augsburg). Zinks sehr persönliches Werk interessiert sich kaum für 'Herkommen' und Frühgeschichte, ebensowenig für eine Verknüpfung mit der Universal- und Reichsgeschichte, sondern offenbart eine geradezu naive Identifikation des eigenen Lebens mit der Geschichte der Stadt.

Wesentlich objektiver wirkt die nüchterne Chronik des reichen Kaufmanns Hector Mülich, die die Zeit von 1348-1487 umfaßt. Über die Geschichte bis 1440 berichtet Mülich nur knapp, für die Zeit danach greift er offenbar auf selbstgesammeltes Material zurück. Die verschiedensten Ereignisse finden bei ihm Erwähnung; neben internen Angelegenheiten der Stadt gibt es auch Nachrichten über Entwicklungen im Reich und in anderen europäischen Staaten. Mülich bleibt stets sachlich und distanziert; er vertritt dennoch ausschließlich die Perspektive der Oberschicht.

Der aus kleinen Verhältnissen stammende Zunftbürgermeister Ulrich Schwarz, der für seinen Versuch, den niederen Zünften eine stärkere Stimme im Stadtregiment zu verleihen und zugleich die Macht der Patrizier und der höheren Zünfte zu stutzen, am Galgen endete und deshalb selbst zur literarischen Figur wurde, war auch schriftstellerisch tätig. Eine deutsche Chronik, die er in seinem letzten Lebensjahr begann und die wohl hauptsächlich als Rechtfertigung seines Tuns gedacht war, berichtet von den Jahren 1462 bis 1477. Schwarz führt hier seine Ämter auf, geht auf die Finanzen der Stadt ein, berichtet von Kriegen und anderem mehr. Aber anders als die sonstigen Augsburger Chronisten prangert er die Entscheidungen des Rates an, welche die Stadt unnötigerweise in finanzielle Schwierigkeiten stürzten. Die Kosten für diese Politik trug aber der einfache Bürger, der keinen Einfluß auf politische Entscheidungen hatte. Eine 1478 und 1483 bei Johann Bämler anonym erschienene 'Chronik der Reliquien von St. Ulrich und Afra', die vorwiegend vom Leben und Wirken der beiden Heiligen berichtet, wird ebenfalls Schwarz zugeschrieben.

Zeigte sich bei Wahraus und Mülich ein gewisses Interesse an der Stadtgründung, so berichtet die anonyme Chronik 'Von der Gründung der Stadt Augsburg bis zum Jahre 1469' (Anonymus II), die aus dem Umkreis der alten Geschlechter Augsburgs stammt, daß der Stiefsohn des Augustus, Drusus, Augsburg erst eigentlich zur Stadt machte. Diese Vorstellung wird in der Reimchronik 'Herkommen der Stadt Augsburg' (369 Verse, zwischen 1437 und 1442 entstanden) des Geistlichen Küchlin breiter ausgeführt. Auftraggeber war der überaus mächtige Peter Egen, der einen Maler Jörg (Amman?) beauftragte, in oder an seinem Haus die Augsburger Frühgeschichte darzustellen. Zugleich gewann er Küchlin für eine Reimchronik, die diese Malereien erläutern sollte. Nach Küchlin wurden die Trojaner zu den Stammvätern der Germanen und Schwaben. Sie gründeten Trier und Köln und bauten eine Stadt zwischen Lech und Wertach, die sie nach einer Göttin 'Zisaris' benannten. Die auf ältere Tradition gestützte Rückbindung an die Trojaner impliziert, daß die Deutschen den Römern an Adel ebenbürtig sind - auch Rom wurde nach der literarischen Tradition von Trojanern gegründet - und Augsburg älter ist als Rom. Erst Drusus konnte die Stadt unterwerfen und sie dem römischen Reich eingliedern. Küchlins Werk endet mit der Christenverfolgung Diokletians, der dann Afra zum Opfer fällt.

Der Mönch Sigmund Meisterlin dediziert Bürgermeister und Rat von Augsburg in seiner Chronik, 1457
Der Mönch Sigmund Meisterlin dediziert Bürgermeister und Rat von Augsburg in seiner Chronik, 1457

Der Benediktiner aus St. Ulrich und Afra, Sigmund Meisterlin, wurde von dem Patrizier Sigmund Gossembrot beauftragt, eine wissenschaftlich solidere Geschichte der Stadt zu erarbeiten. Vor allem die reichlich fabulöse Frühgeschichte, wie sie Küchlin vertrat, sollte revidiert werden. Meisterlins Werk ist insofern bemerkenswert, als es zumindest ansatzweise auf Quellenkritik beruht. Er behauptet, daß Augsburg längst vor den Trojanern von einheimischen Vindelikern gegründet worden sei. Meisterlin schöpfte aus einer Vielzahl von Quellen, blieb aber dennoch vielfach im Fabulösen stecken. Gossembrot ließ die 1456 fertiggestellte lateinische Fassung sofort ins Deutsche übersetzen und widmete sie 1457 dem Rat. Das Werk war grundlegend für die weitere klösterliche und städtische Geschichtsschreibung.
Meisterlin verfaßte über die Chronik hinaus auch eine Reihe lateinischer hagiographischer und chronikalischer Schriften (Simpert-Mirakel, Geschichte von St. Ulrich und Afra), so auch später während seines Aufenthalts in Nürnberg (Sebald-Legende, Nürnberger Chronik), sowie Gedichte. Daß Meisterlins Werke nicht unbedingt als humanistische Geschichtsschreibung gelten müssen, wurde jüngst überzeugend dargelegt. Der sogenannte Augsburger 'Klosterhumanismus' entpuppt sich demzufolge als spezifisches Moment der klösterlichen Reformbewegung, die auf 'Erneuerung durch Geschichte' setzte und sich deshalb nicht als Beispiel für den sich mit der Antike befassenden Humanismus eignet.
Die Geschichte der humanistischen Bewegung in Augsburg ist noch nicht ausreichend untersucht worden. Um 1450 entstand unter den wohlhabenden Augsburger Bürgern eine humanistische 'congregatio', deren Mittelpunkt der Patrizier Gossembrot war und zu deren Mitgliedern u.a. der Stadtarzt Hermann Schedel und der Stadtschreiber Valentin Eber gehörten. In der Hauptsache befaßten sich die Mitglieder mit Studien und dem Sammeln antiker und humanistischer Literatur (so auch später Konrad Peutinger), literarisch produktiv wurden sie - abgesehen von humanistisch geprägten Briefen - nur in sehr geringem Maße. Eine Reihe von Personen, die man früher ohne Bedenken den überzeugten Humanisten zuordnete, etwa Leonhard Gessel und Heinrich Lur, wird inzwischen differenzierter gesehen. Zwar gehörten Gessel und Lur zur 'congregatio', aber die in ihren Schriften hervortretende Gesinnung läßt sie kaum als überzeugte Humanisten verstehen.

Reiseliteratur
Wenn laikale Bildung und Literaturfähigkeit einen derart hohen Stellenwert im gesellschaftlichen Gefüge erlangten, wie das in Augsburg der Fall war, überrascht es nicht, daß sich immer wieder neue, schichtendifferenzierende Indikatoren herausbilden, welche die tatsächliche Stellung der am literarischen Leben Teilhabenden deutlich markieren. So pflegte die sich an der adeligen Lebensform orientierende Oberschicht Gattungen wie die oben besprochenen Stadt- und Familienchroniken oder Reiseberichte über Pilgerfahrten u.ä., die der patrizischen Selbstvergewisserung zuträglich waren. Während sich in der Stadtchronistik ein Geschichtsbild im Sinne der Oberschicht verfestigen ließ, wurde in den teilweise auch gedruckten Reiseberichten eine spezifische Form von Oberschichtenfrömmigkeit literarisch vorgeführt, die den Lesern aus der Mittelschicht die Grenzen und Möglichkeiten ihres Standes verdeutlichte. Denn Reisen zu den berühmten fernen heiligen Stätten waren nur den sehr Wohlhabenden möglich. Dies gilt vor allem für Pilgerfahrten nach Jerusalem, für die ein Pilger sogar päpstliche Erlaubnis benötigte.

Ein gutes Beispiel für diese literarische Gattung der Oberschicht stammt von dem reichen und einflußreichen Lorenz Egen, dem Vater des oben erwähnten Peter Egen, der 1385 in Gesellschaft sieben weiterer deutscher Reisender eine Pilgerfahrt ins Heilige Land über Venedig und Alexandrien unternahm und darüber einen Bericht verfaßte. Sein knappes Werk konzentriert sich auf den Palästina-Aufenthalt. Offenbar in ein privates 'Hausbuch' eingetragen ist der Reisebericht Jörg Mülichs, der einer der 50 vermögendsten Steuerzahler Augsburgs war. Er berichtet von der Reise ins Heilige Land, die er 1449 in Begleitung seines Herrn, Johannes Truchseß von Waldburg, unternahm. Über eine Reise im Jahre 1466 zum Wallfahrtsort Santiago de Compostela, der als Pilgerziel populärer war als Jerusalem, berichtet in durchaus lebhafter Form der Augsburger Patrizier Sebastian Ilsung. Es scheint, daß Ilsung nicht unbedingt als Pilger, sondern in diplomatischer Mission für den um seine Anerkennung kämpfenden schismatischen Papst Felix V. unterwegs war. Dieser empfängt Ilsung auf der Hin- und Rückreise in Genf; in Spanien sucht Ilsung die Königinnen von Aragon und Navarra auf.

Es zeigt sich, daß zumeist der ständische Aspekt der Reisegemeinschaft betont wird. Gerade Mitglieder der Augsburger Oberschicht betonen gern, daß sie in Begleitung von Adeligen unterwegs waren. Trotz der großen finanziellen Möglichkeiten der Reisenden setzten Pilgerfahrten - zumal ins Heilige Land - eine hohe Risikobereitschaft voraus. Dieser Aspekt wird in den Berichten auch zumeist betont, wodurch die außerordentliche fromme Leistung des Autors und seiner Begleiter umso deutlicher herausgestellt wird. In vielen Exemplaren der Gattung Reisebericht werden indes auch häufig vollständigkeitshalber ältere Berichte abgeschrieben; Mülich unterscheidet immerhin zwischen selbst Gesehenem und Nichtgesehenem.

Fortunatus
Die den Reiseberichten zugrundeliegende Öffnung des wohlhabenden Bürgertums auf die Welt hin - ein Charakteristikum der Epoche - findet sich als wichtiger Handlungsaspekt im ersten selbständigen deutschen Prosaroman, dem 'Fortunatus' eines Anonymus, wieder. Bislang hat man zwei Städte, Augsburg und Nürnberg, als Entstehungsort ins Auge gefaßt. Für Augsburg spricht vor allem, daß die Erstausgabe des unmittelbar für den Druck geschaffenen Werks 1509 bei Johann Otmar erschien. Sollte Augsburg tatsächlich Heimat des Verfassers gewesen sein, so läge mit dem 'Fortunatus' eine für das literarische Leben der Stadt im 15. Jahrhundert eigentlich untypische dichterische Spitzenleistung vor. In Nürnberg hingegen wäre die hohe literarische Qualität des Werks nicht unbedingt überraschend.

Der 'Fortunatus' thematisiert am Beispiel von Vater und Söhnen gelungene und mißlungene Lebensgestaltung in einer völlig auf Geld ausgerichteten Gesellschaft. Während es dem Vater gelingt, mit Hilfe märchenhafter Hilfsmittel Reichtum zu erlangen und dies mit Weisheit glückhaft zu verbinden, scheitern die Söhne kläglich, da sie nur über das reiche Erbe, aber nicht über Weisheit verfügen. Der Verfasser breitet hier die Welt des Handels und der Fernreisen - der Reisebericht des Nürnbergers Hans Tucher wird von ihm verwertet - mit ihren Möglichkeiten und Gefahren vor dem Leser aus. Noch zu Görres' Zeiten wurde das Werk gelesen, ca. 40 Auflagen sind nachgewiesen.

Geistliches Spiel
Trotz der möglichen Entstehung des 'Fortunatus' in Augsburg bleibt die überaus wohlhabende Reichsstadt im 15. und frühen 16. Jahrhundert vor allem ein Ort, der das breite literarische Angebot der Zeit rezipiert und weiterverbreitet, aber nur wenig an eigener Produktion vorzuweisen vermag. Zum Beispiel wurden die für die Nürnberger Handwerkerdichtung so typischen Fastnachtspiele in Augsburger Sammelhandschriften vielfach abgeschrieben, während Augsburger Fastnachtspiele nicht nachzuweisen sind. Das gilt auch für das geistliche Spiel, das sich im späten Mittelalter zum größten Massenmedium neben der Kanzelpredigt entwickelte. 3000 Belege für Aufführungen im deutschsprachigen Raum wurden bisher zusammengetragen, aber kein einziger für Augsburg. Dennoch gibt es Augsburger Abschriften von je einem Passions-, Heiligkreuz- und Georgsspiel, die indes allesamt in ihrer überlieferten Form nicht als Grundlagen für Aufführungen gedacht sind, sondern als Lesetexte für die private Lektüre. Eine Entstehung in Augsburg ist auch nicht nachzuweisen. Lediglich ein Osterspiel, das in einer Handschrift aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts erhalten ist, könnte als Grundlage für Aufführungen in einer Augsburger Kirche gedient haben.

Überblickt man das über fünf Jahrhunderte belegbare literarische Leben Augsburgs im Mittelalter, so lassen sich nur einige wenige herausragende Werke hierher lokalisieren. Dennoch wurde das kulturelle Leben Augsburgs stark geprägt von einer vitalen literarischen Kultur, auch wenn sich diese im wesentlichen auf Rezeption und Verbreitung beschränkte. Es ist vor allem der aus diesem Material schöpfende Augsburger Buchdruck mit seiner weitgehenden Spezialisierung auf deutschsprachige Texte, der die Herausbildung und endgültige Etablierung einer eigenständigen volkssprachlichen Literatur im deutschsprachigen Raum entscheidend förderte. Deshalb wird man darin auch Augsburgs wichtigsten Beitrag zur deutschen Literaturgeschichte des Mittelalters sehen.