Josef Mančal: Aspekte der Augsburger Musikgeschichte
von Josef Mančal
Katholische Kirchenmusikpflege
Zwei musikhistorisch bedeutsame kirchliche Zentren sind schon für das späte 10. und frühe 11. Jahrhundert belegt: der Dom und das Stift St. Ulrich und Afra. Eine besondere Rolle spielen die Verehrung der hl. Afra (Afra-Antiphone und Afra-Sequenzen, vermutlich von Ekkehard von St. Gallen für Bischof Luitold) sowie die des hl. Bischofs Ulrich (Ulrichs-Offizium des Reichenauer Abtes Berno). Mit seiner Person verbindet sich eine durch Dompropst Gerhard bezeugte Pflege auch nicht-liturgischer Musik sowie eine bald nach 993 einsetzende, rasch über die Diözesangrenzen hinausreichende und bis in die Gegenwart andauernde musikalische Würdigung (Arthur Piechler, Otto Jochum, Peter Kiesewetter).
Während unter den Nachfolgern Ulrichs die musikhistorisch verwertbaren Spuren weniger deutlich sind, gewinnt die bischöfliche Musikpflege im 15. Jahrhundert - nach 1450 auch auf die Dillinger Residenz ausgedehnt - mit Kardinal Peter von Schaumberg merklich an Konturen. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts sorgte Bischof Friedrich von Zollern, die Richtigkeit der Zuschreibung einer um 1510 gedruckten Liedsammlung an ihn vorausgesetzt, nicht nur für eine hochstehende, an führenden zeitgenössischen Komponisten orientierte Musikpflege, er trug auch ein eigenes Lied dazu bei. Unter Kardinal Otto Truchseß von Waldburg wuchs der bischöfliche Hof - kurzzeitig sogar mit einer zehnköpfigen, vorwiegend aus italienischen Sängern und Instrumentalisten bestehenden Privatkapelle unter der Leitung von Jacobus de Kerle - zu einem der führenden Musikzentren Süddeutschlands heran. Erkennbar wird dies am Repertoire (Palestrina, Orlando di Lasso, Jakob de Wert, Claudin de Sermisy, Josquin Desprez) oder an Dedikationen (Heinrich Glarean, Homer Herpol, Gastone Lambertini, Tomás Luis de Victoria). Maßgeblichen Einfluß übte der Kardinal auf die kirchenmusikalischen Reformen des Konzils von Trient aus. Auch die Rezeption Lassos in Rom und diejenige Palestrinas am Münchener Hof durch die dortige, mit fuggerischer Hilfe reorganisierte Hofkapelle förderte er. 1562 bewilligte er den Füssener Lautenmachern den in Europa einmaligen Zusammenschluß zu einer eigenen Zunft.
Auch Johann Eglof von Knöringen setzte sich für die Musikpflege ein. Davon zeugen ihm gewidmete Kompositionen ebenso wie seine Freundschaft mit Glarean und der Ankauf von dessen Bibliothek. Ein merklicher, teilweise finanziell bedingter Rückgang bischöflicher Musikpflege ist ab 1575 festzustellen. Heinrich von Knöringen förderte u.a. Gregor Aichinger und Bernhard Klingenstein. Dompropst Johann Rudolf von Rechberg ließ Philipp Jakob Baudrexel 1644-1651 in Rom ausbilden (u.a. bei Giacomo Carissimi) und übertrug ihm die Leitung der Dommusik. Fürstbischof Johann Christoph von Freyberg hielt sich unter der Leitung Johann Baptist Gerers eine eigene elfköpfige Kapelle (1686), zu der noch Trompeter und Pauker kamen. Den verwandtschaftlichen Beziehungen Fürstbischof Alexander Sigmunds von Pfalz-Neuburg war 1690 die Krönung des späteren Kaisers Joseph I. zum römischen König mit prunkvoller musikalischer Ausgestaltung zu verdanken. Beteiligt waren u.a. Antonio Draghi, Andreas Anton Schmelzer und Georg Muffat. Fürstbischof Johann Franz Schenk von Stauffenberg berief mit Franz Anton Maichelbeck den ersten Hofkapellmeister. Joseph Ignaz Philipp von Hessen-Darmstadt war bei seinem in Italien in kaiserlichen Diensten stehenden Vater Philipp und in dessen Kapelle (Kapellmeister waren u.a. Nicola Porpora und Antonio Vivaldi) musikalisch ausgebildet worden. Er sorgte für den Ausbau der Hofkapelle auf zuletzt 22 Musiker (1766) und bestellte um 1757 einen Hofmusikintendanten. Bemerkenswert war die Qualität einzelner Musiker (Johann Baptist Baumgartner, Johann Evangelist Walleshauser) sowie der steigende Anteil zunächst böhmischer, dann italienischer Musiker (Johann Michael Schmid, Johann Georg Lang, Anton Scheibner; Giuseppe Almerigi, Pietro Pompeo Sales). In der Dillinger Residenz fand am 4./5. November 1766 ein Konzert der Kinder Leopold Mozarts, Nannerl und Wolfgang, statt.
Unter Fürstbischof Josephs Nachfolger, Kurfürst Klemens Wenzeslaus, wurde Augsburg Nebenresidenz; die besten Hofmusiker wurden nach Ehrenbreitstein am Rhein abgezogen. Erst 1795 und dann ab 1802 gewannen die Augsburger Residenz und die zahlenmäßig dezimierte Hofkapelle nochmals kurzzeitig an Bedeutung. Von 1803 bis Januar 1812 fanden in den Wintermonaten jeweils an den Samstagen Konzerte mit einem durch Geistliche, Stadtmusikanten und andere Musiker (u.a. Ernst Häußler als Cellist, Carl Bonaventura Witzka als Pianist) und Amateure (u.a. Schnurbein, Imhof, Stetten) verstärkten Ensemble statt; sie markieren die Umbruchzeit auf geradezu symbolische Weise: Die bestimmenden Grenzen zwischen Adel und Bürgertum, Berufsmusikern und Dilettanten, Katholiken und Protestanten waren aufgehoben.
Die liturgische Musikpflege am Dom ist schon früh mit eigener Schule (Heinrich von Augsburg) und Bibliothek (singulär überlieferte Dialogfassung von 'De musica' des Boethius, 11. Jahrhundert) greifbar. 1439 begegnen erstmals ein 'magister capellae' und die Institution der 'Marianer' (Vorläufer der Domsingknaben). Im Zusammenhang mit einer Schenkung und einer grundlegenden Neuorganisation im Zuge der Gegenreformation kam es 1561 zur Gründung der Domkantorei mit einem Kapellmeister und einem Organisten, nachdem bereits 1555 Sänger in Wien, Innsbruck, Hall, Schwaz und Konstanz angeworben worden waren.
Auf die Kapellmeister Leonhard Zinsmeister und Anton Span folgte 1575 Bernhard Klingenstein. Zusammen mit dem Domvikar Gregor Aichinger sowie dessen Freund Christian Erbach war Klingenstein einer der Wegbereiter der Monodie in Deutschland. Aichinger, Schüler Giovanni Gabrielis und Komponist einer der ersten gedruckten deutschen Generalbaßkompositionen, gehört zu den frühen Vertretern der Mehrchörigkeit in Deutschland und damit der venezianischen Chorpraxis: 1627 wurde 'in choro uf 4 örtern' des Doms gesungen.
Nach dieser Blütezeit der Dommusik kam erst 1651 für kurze Zeit mit Philipp Jakob Baudrexel wieder eine angesehene Persönlichkeit in das Amt des Domkapellmeisters; in ihm wird der deutsche Übersetzer der erfolgreichen Ausgabe der 'Ars cantandi' sowie des 'Wegweisers, [...] Orgel recht zu schlagen' seines Lehrers Giacomo Carissimi vermutet. Seine Nachfolger Johann Melchior Gletle (1654) und Johann Melchior Caesar (1685) traten auch als Komponisten von scherzhaft-volkstümlichen, im Quodlibet-Geist gehaltenen Werken hervor, Vorläufern des 'Augsburger Tafelkonfekts' von Valentin Rathgeber und Johann Caspar Seyfert. Unter den Nachfolgern waren Johann Andreas Joseph Giulini (1755) als Theoretiker, Pädagoge und Komponist, der Michael-Haydn-Schüler Johann Chrysostomus Drexel (1798) sowie Franz Xaver Bühler (1801) als rühriger, im gesamten süddeutschen und österreichischen Raum beliebter Modekomponist geschätzt. In Bühlers Amtszeit fällt die erstmalige Aufführung von fünfstimmigen Messen Orlando di Lassos in St. Stephan (1821).
Mit der Amtsübernahme durch Carl Bonaventura Witzka (1822) verschwanden Bühlers als 'unkirchlich' gebrandmarkte Werke aus dem Repertoire. Unter dem Bühler-Schüler Johann Michael Keller (1839) wurde zu Pfingsten 1852 im Dom, erstmals in einer Kirche in Deutschland, Beethovens 'Missa solemnis' aufgeführt. Kellers Schüler Karl Kempter (1865) folgte seinem Lehrer im Amt; seine 1851 im Dom uraufgeführte Pastoralmesse erfreut sich bis heute großer Beliebtheit. Unter Karl Kammerlander (1871) wurden die Forderungen des Cäcilienvereins, dessen 8. Jahrestagung mit der Ablehnung der Orchestermusik 1880 in Augsburg stattfand, in abgemilderter Form erfüllt. Mit Paul Steichele gelangte 1950 ein angesehener Orgelexperte in das Amt, das nach dessen Tod 1972 Rudolf Brauckmann übernahm. Ihm ist die Wiederbegründung des Instituts der Domsingknaben (1976) zu verdanken, die unter der Leitung von Reinhard Kammler, Domkapellmeister seit 1997, weit über Augsburg hinaus bekannt wurden.
Unter den Domorganisten ragen Servatius Rorif (1561), Jacobus de Kerle (1568), Erasmus Mair (1581) und Christian Erbach (1625) heraus. Der Giulini-Schüler und Komponist Johann Michael Demmler (1777) trat zusammen mit Wolfgang Amadeus Mozart und Johann Andreas Stein am 22.10.1777 bei einem Konzert in den 'Badstuben' des Fuggerhauses an der Maximilianstraße auf. Für das 19. und 20. Jahrhundert sind u.a. Karl Kempter (1839) und der auch wegen seiner Improvisationskunst hochgeschätzte Karl Kraft (1923) zu nennen, der länger als 50 Jahre als Organist an der Domkirche wirkte.
Zweites Zentrum katholischer Kirchenmusikpflege war St. Ulrich und Afra. Schon unter dem ersten benediktinischen Abt Reginbald lassen sich z.T. im eigenen Skriptorium gefertigte musiktheoretische und orgelbautechnische Schriften nachweisen. Im 12. Jahrhundert verdient Abt Udalschalk mit seinem Ulrichs-Offizium sowie dem 'Hymnus Udalrici gloriosi' Beachtung. Sein praxisbezogenes Interesse galt einer Gesangsreform und neuen Aufzeichnungsmöglichkeiten: In einem einheitlich konzipierten sanulrikanischen Sammelband (kurz nach 1151) sind Abhandlungen (Udalschalks Registrum tonorum, Traktate des Guido von Arezzo und Aribo Scholasticus) und Gesangsteile sowie der erste bekannte Zyklus des Mittelalters mit Abbildungen von Meistern der Musik enthalten. Auch unter den Nachfolgern Udalschalks wurde die Beschäftigung mit Musiktheorie und -praxis gefördert.
Die seit 1458 im Kloster wirksame Melker Reform führte zu einem neuerlichen Aufschwung und einem gesteigerten historischen Interesse. Othmar Luscinius erteilte 1523 hier Musikunterricht. Zu den bedeutenden Vertretern der Musikpflege gehört auch Veit Bild, der 1508 seine musiktheoretische Schrift 'Stella musica' im Druck herausbrachte und auch ein Hieronymus-Offizium schuf. Hatte im Kloster schon kurz nach 1400 wieder eine rege Schreibtätigkeit eingesetzt, so erreichte das vornehmlich für den Eigenbedarf arbeitende Skriptorium mit Leonhard Wagner um 1500 seinen Höhepunkt. Wagners Werk umfaßt rund 100, z.T. in Zusammenarbeit mit städtischen Illuminatoren entstandene Handschriften. Wagner hatte während eines Aufenthalts in St. Gallen musikhistorisch wertvolles Material (Lieder des Notker I, Aldhelmus, Beda, Walahfried Strabo, Ekkehard IV; früh- und hochmittelalterliche Sequenzen, Tropen, Antiphone) kopiert.
Eine späte Blüte mit Vorbildfunktion für andere schwäbische Klöster erreichte Ende des 16. und zu Anfang des 17. Jahrhunderts die Musikpflege unter den Äbten Jakob Köplin, Johann Merk und unter Prior Gregor Gastel. Eine besondere Stellung nimmt Johannes Dreher, Lehrer Gumpelzhaimers, Freund Orlando di Lassos und einer von dessen Wegbereitern in Augsburg, durch die mindestens 18 von ihm angefertigten Sammelbände (1568/1614) mit Werken von nahezu allen bedeutenden Komponisten der damaligen Zeit ein - teilweise singuläre Quellen. Mit ihm als 'Regens chori' erlebte die Musikpflege in St. Ulrich und Afra eine ähnliche Blüte wie am Dom und bei St. Anna. Nicht nur lokale und an umliegenden Höfen tätige Komponisten waren einbezogen, sondern vor allem auch niederländische (Clemens non Papa, Heinrich Isaac, Orlando di Lasso, Philipp de Monte, Jacobus Vaet) und - zunehmend ab 1578 - italienische (Giammatteo Asola, Giovanni Croce, Paolo Isnardi, Pietro Lappi, Palestrina, Costanzo Porta, Lodovico Viadana).
Nach 1648 konnte die stiftische Musikpflege bis zur Säkularisation trotz achtbarer Erfolge nicht mehr an die frühere Glanzzeit anknüpfen. Nach der Säkularisation wurde die Klosterbibliothek, die größte geistliche Bibliothek Augsburgs, zersplittert: 38 Musikhandschriften gelangten in die Staats- und Stadtbiblibliothek Augsburg; 180 der wertvollsten Handschriften erhielt 1806 die Königliche Bibliothek München; 40 Handschriften, unter ihnen die ältesten, wurden der Bibliothek des Bischöflichen Ordinariats Augsburg einverleibt.
Eine zeitweilig intensive Musikpflege läßt sich in den Stiften St. Moritz, Heilig Kreuz sowie am Jesuitenkolleg St. Salvator und im 1834 errichteten Benediktinerkloster St. Stephan feststellen. Zu den auch als Komponisten hervorgetretenen Lehrern und Organisten von St. Moritz zählen Othmar Luscinius, Narcissus Zängel, Hans Leo Haßler und Christian Erbach. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts waren sieben Sänger, zwei Organisten und mindestens 14 Instrumentalisten unter der Leitung eines 'Musikdirektors' (1716) am Stift beschäftigt. Noch vor Mitte des 18. Jahrhunderts wuchs die Musikpflege derart an, daß selbst Musiker der fürstbischöflichen Hofkapelle eingesetzt wurden. Von 1802 bis 1822 war St. Moritz unter Carl Bonaventura Witzka erneut ein Zentrum der katholischen Kirchenmusikpflege in Augsburg.
Zu den klostereigenen Komponisten des Chorherrenstifts Heilig Kreuz im 17. und 18. Jahrhundert zählen u.a. Matthäus Fischer und Ludwig Zöschinger. Ähnlich wie in St. Moritz wurden bei größeren musikalischen Darbietungen die hauseigenen Kräfte durch Stadtpfeifer und Mitglieder der fürstbischöflichen Kapelle ergänzt. Besondere Bedeutung erlangte Heilig Kreuz durch jahrelange Kontakte zu Leopold Mozart sowie durch die Aufenthalte von Vater und Sohn Mozart im Stift, dem er auch einen Teil seines Notennachlasses vermachte.
Eine wichtige Rolle spielte daneben die Musikpflege der Jesuiten von St. Salvator, insbesondere mit dem 1661 gegründeten, vor allem der Musikausbildung dienenden Seminar St. Joseph. Bedeutende Schüler waren u.a. Matthias (II) Kelz, Johann Paul Agricola, Johann Ernst Eberlin und Leopold Mozart. Ab 1583 sind zum Teil über die eigene Ordensprovinz hinaus verbreitete Theaterstücke des Gymnasiums und später auch solche der Marianischen Kongregationen nachweisbar. Das bekannteste (und ordensintern breit rezipierte) Jesuitendrama des deutschsprachigen Raumes ist der hier 1602 uraufgeführte und im gleichen Jahr von Gregor Aichinger in seinen 'Divinae laudes' vertonte 'Cenodoxus' von Jakob Bidermann. Unter den Komponisten der Schul- oder Kongregationsbühnenstücke sind Johann Paul Agricola, Johann Melchior Gletle, Anton Praelisauer, Franz Anton Maichelbeck, Johann Andreas Joseph Giulini, Johann Michael Demmler und Matthäus Fischer.
Protestantische Kirchenmusikpflege
Die außergewöhnliche Bedeutung des neuen Mediums Buchdruck bei der Verbreitung der Lehren Martin Luthers läßt sich am Beispiel Philipp (I) Ulharts (und später Melchior Kriegsteins, Narziß Rammingers und Hans Zimmermanns) aufzeigen, der mit Jakob Dachsers 'Form und Ordnung des geistlichen Gesangs und der Psalmen' Augsburgs erstes protestantisches Gesangbuch druckte; zehn Jahre später erschien bei Melchior Ramminger bereits die vierte Auflage. 1537 brachte Ulhart Sigmund Salmingers 'Der gantz Psalter' und 1538 Dachsers 'Der ganze Psalter Davids' heraus; ab 1539 stellte er für die Schuldramen des Rektors bei St. Anna, Sixt Birck, die Textbücher her.
1552 wurde in der evangelischen Hauptkirche der Stadt, St. Anna, der ab 1558 durch den ersten namentlich bekannten Kantor bei St. Anna, Leonhard Baier, unterrichtete Kurrendegesang eingeführt. Arme Schüler verdienten sich ihren Lebensunterhalt durch Singen geistlicher Lieder vor den Häusern begüterter Bürger. Mit kurzen Unterbrechungen (1582-1593, 1630-1632) konnte sich der besonders im 18. Jahrhundert als Demonstration 'freyer Religions-Übung' begriffene Kurrendegesang bis 1806 behaupten; in diesem Jahr sang die sogenannte 'Kleine Kantorei' vor 444 und die 'Große Kantorei' vor 250 Häusern.
Auf Baier folgte im Doppelamt Kantor/Lehrer für ein knappes halbes Jahrhundert Adam Gumpelzhaimer. Seinem Einsatz ist die Neuorganisation der Großen (1593) und der Kleinen Kantorei (1596) mit mehr als 60 Sängern zu verdanken. Falls die eigene Besetzung nicht ausreichte, wurden Stadtpfeifer und Dommusiker hinzugezogen. Im Repertoire finden sich u.a. Werke von Giovanni Gabrieli, Philippe de Monte, Claudio Monteverdi, Palestrina, Orlando di Lasso sowie von Leonhard Lechner, Heinrich Schütz und Michael Praetorius. Gumpelzhaimers Musikalieninventar weist über 350 Werke bedeutender europäischer Komponisten auf. Darüber hinaus bieten besonders zwei seiner erhaltenen Handschriften mit über 230 Werken zeitgenössischer Komponisten einen wertvollen Einblick sowohl in Besetzungs- und Aufführungspraxis als auch in die außergewöhnliche Breite des Repertoires und die herausragende Qualität der mehrchörigen Musikpflege. Auch im musikpädagogischen Bereich leistete Gumpelzhaimer mit seinem Lehrbuch 'Compendium musicae' (1591) Bedeutendes; dieses wichtigste und erfolgreichste Unterrichtswerk des 17. Jahrhunderts erschien 1681 in 13. Auflage.
1648, mit der Schaffung neuer reichsstädtischer Strukturen, wurde David Ernst Thomann von Hagelstein erster protestantischer 'Director musices'. 1649 übernahm Tobias Kriegsdorfer das Kantorenamt. Auf ihn folgte 1677 Georg Schmezer, dessen Lehrbuch (1688) dasjenige Gumpelzhaimers ersetzte. Einige seiner Werke wurden von der Kantorei bis zum Ende des 18. Jahrhunderts aufgeführt.
Eine grundlegende Wende in der Kirchenmusikpflege trat mit Philipp David Kräuter ein. Er konnte dank eines Stipendiums 1712/13 bei Johann Sebastian Bach in Weimar studieren. Unmittelbar nach der Rückkehr wurde Kräuter als letzter in das Doppelamt Lehrer/
Kantor bestellt. Ihm ist nicht nur die Gründung des Collegium musicum (1713), sondern auch eine im süddeutsch-katholischen Raum seltene frühe Rezeption der Werke Bachs und Telemanns zu danken. In seiner Ära wurde 1734 ein einheitliches Gesangbuch eingeführt. 1741 folgte ihm sein Schüler Johann Caspar Seyfert im Amt, der es 1766 an seinen Sohn und Schüler Johann Gottfried weitergab. Mit der Bestellung Friedrich Hartmann Grafs zum Musikdirektor konnte St. Anna 1773 einen weit über Deutschland hinaus angesehenen Flötenvirtuosen, Komponisten und Konzertveranstalter gewinnen, der allerdings nur wenig zum Ausbau und Erhalt der Kantorei beitrug. Sein Nachfolger, der 1800 berufene Ernst Häußler, nahm sich überaus erfolgreich der Kantorei von St. Anna wie auch der örtlichen Musikpflege als Ganzes an. Während sich der auf Häußler folgende Karl Ludwig Drobisch vor allem der Komposition katholischer Kirchenmusik widmete und Augsburg zu einem Zentrum der Oratorienpflege im süddeutschen Raum machte, erwarb sich der 1858 zum Musikdirektor bestellte Hans Michael Schletterer Verdienste durch vielfältige, das Augsburger Musikleben belebende Aktivitäten und Initiativen (hierzu weiter unten), so auch durch musikwissenschaftliche bzw. musikbibliothekarische Arbeiten.
Städtische, patrizische und bürgerliche Musikpflege in der Reichsstadt
Der wirtschaftliche und politische Aufstieg der Reichsstadt im 15. Jahrhundert war verbunden mit einem gesteigerten Repräsentationsbedürfnis der führenden Schichten auch im musikalischen Bereich. Indikatoren hierfür sind u.a. Personalstärke und Besetzung der möglicherweise schon seit Ende des 14. Jahrhunderts bestehenden Stadtpfeiferei sowie das 1434 von Kaiser Sigismund verliehene Trompeterprivileg, das jedoch für den Ausbau des Instrumentalensembles ohne erkennbare Bedeutung war. Bei den Stadtpfeifern gab es regelrechte Musiker-'Dynastien' (Hurlacher, Drechsel, Rauch, Ganß, Schubinger), aber auch herausragende Einzelpersönlichkeiten (Philipp Zindelin, Valentin und Wilhelm Lichtlein). Bedeutung und Qualität dieser Institution belegen u.a. die Mitarbeit bedeutender Musiker und Komponisten (Christian Erbach, Hans Leo Haßler, Paul Hofhaimer, Sigmund Salminger), Stellenwechsel u.a. an die kaiserliche Hofkapelle oder an die Hofkapellen in München, Stuttgart, Innsbruck, Salzburg, Ferrara, Mantua und Florenz wie auch die Ausbildung auswärtiger Musiker. Ein Teil der Musikinstrumente (Dulziane, Krummhörner und Zinken aus dem 16. Jahrhundert) ist heute noch erhalten. Der Zentralitätsverlust Augsburgs seit dem Dreißigjährigen Krieg, die Einrichtung des Hochzeitsamtes und bürgerlich-privater 'Orchester' (z.B. Collegium musicum 1713) ließen die Stadtpfeifer mit ihrer monopolartig geschützten Stellung im 18. Jahrhundert zur Bedeutungslosigkeit herabsinken. 1818, mit Einführung der Gewerbefreiheit, schien das Schicksal städtisch bestallter Musiker endgültig besiegelt. Erst mit der von Hans Michael Schletterer betriebenen Gründung eines städtischen Orchesters 1865 sollte sich dies ändern, wenn auch unter anderen gesellschaftlichen Vorzeichen und strukturellen Voraussetzungen.
Eine ähnliche Entwicklung ist auch bei der reichsstädtischen Führungsschicht feststellbar. Mit Einzeldaten lassen sich hier schon im 13. Jahrhundert musikalische Aktivitäten belegen. In einem Anhang zum Stadtrecht von 1276 sind bei Bürgern angestellte 'spilliute' aufgeführt. Weitere Daten, wie noch im 13. Jahrhundert die Vermittlung von Vorlagen an den Minnesänger Ulrich von Türheim durch den Patrizier Otto Bogner oder die Existenz eines Tanzhauses, sind aus der Frühzeit bekannt. Aber erst mit der allmählichen gesellschaftlichen Differenzierung der politischen und ökonomischen Führungsgruppen sowie der Ausformung einer neuen, durch akademische Bildung definierten Elite lassen sich auch Art und Umfang des Repräsentationsbedürfnisses erschließen.
Widmungen belegen eine wohl eher als gering einzuschätzende Beteiligung der protestantischen Welser am Musikleben. Ihre Bibliothek ist heute verstreut. Erhalten sind venezianische Musikdrucke und Handschriften, z.B. Stimmbücher mit Chansons, Motetten und geistlichen Liedern. Ähnliches läßt sich auch für die im 16. Jahrhundert nach München verkaufte Bibliothek des Patriziers Hans Heinrich Herwart feststellen. Aus ihr stammt u.a. das 'Herwartsche Liederbuch' (1505-1514) mit zumeist anonymen und textlosen Motetten sowie Chansons und Liedern.
Im Gegensatz zu solcher eher private Bedürfnisse befriedigender Musikpflege war diejenige der Fugger an höfischen Standards orientiert. Das im 16. Jahrhundert durch persönliche Musikpflege (Lautenbücher, Sammelhandschriften, Privatlehrer wie Aichinger und Gumpelzhaimer) intensivierte Engagement spiegelt sich in 47 Widmungsdrucken (Aichinger, de Monte, Lasso etc.). Einzelne Mitglieder der Familie bestallten international renommierte Musiker (u.a. Johannes Eccard, Christian Erbach, Hans Leo Haßler, Hans Kugelmann) und Musikinstrumentenbauer und förderten Musikdrucke. Raymund Fugger d.J. erwarb (Musik-) Bibliotheks- und Instrumentenbestände (140 Zupf-, 10 Tasten-, 217 Blas- und ca. 20 Streichinstrumente deutscher, italienischer, englischer und niederländischer Provenienz), die zu den größten in Europa zählten. Außerdem sei an die Stiftungen von Orgeln und Organistenstellen bei St. Anna, St. Moritz, St. Ulrich und Afra, St. Salvator und St. Magdalena durch Mitglieder der Familie erinnert.
Noch deutlicher lassen sich die Bedürfnisse bürgerlicher Musikpflege bestimmen. Die Augsburger Meistersinger waren hinsichtlich Produktivität, Dauer und Ansehen nach Nürnberg die bedeutendste Gesellschaft in Deutschland. Ob eine solche bereits vor 1500 existiert hat, ist fraglich; zumindest ist ab Mitte des 15. Jahrhunderts eine umfangreiche Liedrezeption erkennbar (Augsburger Liederbuch, 1454; Handschriften der Clara Hätzler, Claus Spauns und Sigmund Gossembrots). Für das hohe Niveau der Liedpflege um 1500 legt das bereits erwähnte 'Herwartsche Liederbuch' (mit Werken u.a. von Adam von Fulda, Josquin Desprez, Hofhaimer, Isaak, Obrecht und Senfl) ebenso Zeugnis ab wie das Liederbuch des Arnt von Aich. 1534 wurde nach Nürnberger Vorbild - wahrscheinlich unter Mitwirkung Clemens Jägers und Raphael Dullers - eine Meistersinger-Gesellschaft gegründet. Erster Auftrittsort (bis 1591) war die säkularisierte Barfüßerkirche. Von 1535 bis 1614 sind 262 überwiegend protestantische Meistersinger, davon ein Drittel Weber, namentlich bekannt; neben Handwerkern waren auch Schulmeister und Akademiker unter den Mitgliedern. Einer der bedeutendsten Meistersinger der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts und - nach Hans Sachs - der meistaufgeführte des 16. Jahrhunderts überhaupt, war Sebastian Wild. Sein 1566 gedrucktes 'Passionsspiel' diente neben dem sanulrikanischen als Grundlage für das Oberammergauer Passionsspiel und von dort aus auch für die Spiele im tirolischen Erl. Neben Wild sind vor allem Martin Dürr, Daniel Holzmann und Onoferus Schwartzenbach zu nennen. Um 1600 erreichte die Gesellschaft mit rund 100 Sängern ihre größte Mitgliederzahl. Einen in dieser Art einzigartigen Einblick in Regularien und Aufführungspraxis von Meistersingern bietet das 'Gemerkbuch der Meistersinger' (1610, Nachträge zu Aufführungen bis 1701; erweiterte Fassung 1611). Die 'Augsburger Meisterliederbücher' mit Liedern u.a. von Johann Genicher, Georg Holzbock und Johann Spreng stammen ebenfalls vom Anfang des 17. Jahrhunderts. Spreng gilt als Beispiel für die Verbindung von Meistersang und Humanismus; seine gereimten Ilias- und Aeneis-Übersetzungen wurden posthum 1610 gedruckt. Nach der ab Mitte des 16. Jahrhunderts feststellbaren Hinwendung der Meistersinger zum Theaterspiel und einem auffallenden Rückgang der Aktivitäten - 1648-1701 fand keine einzige 'Singschule' statt - endete die Augsburger Gesellschaft de facto mit der letzten 'Singschule' am Ratswahltag 1701 (1. August).
Seit der Privilegierung der Meistersinger-Gesellschaft 1650 als 'Privilegierte Schauspielergesellschaft' und dem aus öffentlichen Mitteln finanzierten Bau des 'Meistersingerstadels' (später: 'Komödienstadel') um 1665 in der Jakobervorstadt stand auch auswärtigen Theatertruppen eine Spielstätte zur Verfügung. Ende des 17. Jahrhunderts sind Aufführungen früher deutscher Opern belegt, u.a. von Johann Sigismund Kusser, Agostino Steffani und Sigmund Theophil Staden. Im 18. Jahrhundert wurden von den reisenden Operntruppen eines Philipp Jakob Seerieder, Anton Maria Peruzzi oder Domenico Zamperini neben diversen Gasthäusern das Jesuiten-Theater (ab 1743) und eben vor allem der 'Komödienstadel' genutzt, der 1776 unter Aufsicht des Almosenamts (die Stadt erwarb das Gebäude erst 1838) durch einen Neubau ersetzt wurde. Höhepunkte des im Pachtverhältnis betriebenen Theaters waren die Gastspiele unter der Direktion Emanuel Schikaneders und Joseph Voltolinis (u.a. Erstaufführung von Mozarts 'Zauberflöte' am 21.1.1793 noch vor München, Frankfurt/Main, Hamburg und Berlin).
Musikpflege seit dem 19. Jahrhundert
Das scheinbare Vakuum öffentlicher Musikpflege nach dem Ende der Reichsstadtzeit wurde - sieht man von den mit der Stationierung bayerischer Truppenteile sich etablierenden Militärkapellen ab - rasch durch verschiedene, zunehmend unter der Voraussetzung von Selbstorganisation und eines bürgerlich-aufklärerischen Bildungsanspruchs betriebene Aktivitäten ausgefüllt. Vor allem in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gastierten zahlreiche reisende Virtuosen in Augsburg, unter ihnen Heinrich Joseph Baermann, Theobald Böhm, Ole Bull, Angelica Catalani, Stephen Heller, Friedrich Kalkbrenner, Franz Liszt, Bernhard Molique, Ignaz Moscheles, Niccolò Paganini, Bernhard Romberg, Clara Schumann, Johann Strauß, Sigismund Thalberg und Henri Vieuxtemps. Daneben traten Persönlichkeiten wie der Jurist und Kreisschulreferent Joseph Carl von Ahorner, die Musikdirektoren bei St. Anna Ernst Häußler und Hans Michael Schletterer, der Domkapellmeister Carl Bonaventura Witzka, der Arzt Franz Reisinger und der Buchhalter und spätere Prokurist Johannes Rösle durch ihr persönliches Engagement für die Pflege weltlicher und geistlicher Musik hervor. Es organisierten sich Bürger ('Liederkranz' 1830, getragen von Ahorner und Witzka), Handwerker ('Gesellen aus dem Gewerbestand' 1833) und seit 1849 auch Arbeiter ('Amicitia Augsburg' 1849, 'Concordia' 1849, 'Arbeiter-Sängerbund Augsburg' 1875 etc.) in nunmehr überregional beeinflußten und bald zum Teil auch überregional wirksamen Männerchorvereinigungen.
Eine treibende Kraft war der Gründer der 'Augsburger Liedertafel' (1843), Johannes Rösle, der 1858 einen Damengesangverein und 1862 den 'Schwäbisch-Bayerischen Sängerbund' initiierte sowie im gleichen Jahr den 'Deutschen Sängerbund' mitbegründete. 1863 fand das erste Sängerfest des Schwäbisch-Bayerischen Sängerbundes mit ca. 15.000 Teilnehmern in Augsburg statt. In welchem Maße über die Stadtgrenzen hinaus prägend die 'Liedertafel' war, läßt sich daran ersehen, daß deren Chorleiter und Vorsitzende im 19. und 20. Jahrhundert zumeist gleichzeitig dem 'Schwäbisch-Bayerischen Sängerbund' vorstanden bzw. Bundeschorleiter waren. Die im Verlag Böhm & Sohn erschienene Anthologie 'Gesänge der Augsburger Liedertafel' (um 1850) mit zahlreichen Originalbeiträgen lokaler Musiker (Drobisch, Kammerlander, Kempter, Donat Müller etc.) trug wesentlich zur Standardisierung des Repertoires in der Region bei. 1866 rief Hans Michael Schletterer den 'Oratorienverein' ins Leben, der sich durch eine intensive Händel-Pflege auszeichnete. Schletterers Nachfolger Wilhelm Weber setzte sich vor allem auch für die Aufführung zeitgenössischer Musik ein (u.a. Brahms und Mahler); dies wurde unter Heinrich Kaspar Schmid und dessen Vetter Arthur Piechler beibehalten. 1970 fusionierten 'Oratorienverein' und 'Liedertafel' zum 'Philharmonischen Chor'.
Das Augsburger Theater entwickelte sich bis 1919 von einem vom jeweiligen Intendanten auf eigenes Risiko betriebenen Unternehmen (Pachtsystem) zum kommunalen Subventionsbetrieb, was sich in folgenden Eckdaten manifestiert: 1838 Übernahme des 1776 errichteten Theater-Gebäudes durch die Stadt, 1876/77 Neubau am Alten Einlaß, 1919 Übernahme des Theaterbetriebs durch die Stadt. Ungeachtet der mißglückten Uraufführung von Carl Maria von Webers 'Peter Schmoll' 1803 erfuhr die Gattung Oper im Augsburg des 19. Jahrhunderts eine weitaus intensivere Pflege als das Sprechtheater. Die von Friedrich Engelken (1853-1858) eingeleitete Wagner- und Verdi-Rezeption wurde von seinen Nachfolgern fortgesetzt. Wagners Ring-Tetralogie etwa erlebte 1890 seine Augsburger Erstaufführung. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts setzten vor allem die Intendanten Carl Häusler (1903-1928) und Karl Lustig-Prean (1928-1931) mit ihrer Spielplanpolitik, die den Klassikern (Mozart, Wagner, Verdi etc.) die jeweils neuen und neuesten Musiktheaterwerke (d'Albert, Puccini, Strauss bzw. Hindemith, Krenek, Pfitzner, Weill etc.) an die Seite stellte und dabei auch das populäre Element (Operette) nicht zu kurz kommen ließ, ebenso Maßstäbe wie etwa die von Richard Strauss höchstpersönlich geleiteten Aufführungen seiner Opern 'Arabella' (1933) und 'Elektra' (1936), letztere in der 1929 gegründeten Freilichtbühne am Roten Tor. In der Nachkriegszeit ersetzte der Ludwigsbau das zerbombte Stadttheater, das 1956 wiedereröffnet werden konnte.
Seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war die Schaffung musikalischer Bildungseinrichtungen ein erklärtes Ziel. Nach einem vergeblichen Vorstoß des Musikmeisters Nikolaus Stössel zur Gründung einer städtischen Musikanstalt (1826) durfte Donat Müller 1849 die Errichtung einer bereits 1835 von ihm geforderten 'Öffentlichen Singschule' erleben. Hans Michael Schletterer initiierte 1873 eine private Musikschule, die dann 1922 von der Stadt übernommen und 1925 zum Konservatorium erhoben wurde (1948 'Leopold-Mozart-Konservatorium', 1973 Fachakademie für Musik, 1998 Gründung der Doppelmusikhochschule Augsburg-Nürnberg). Zu Schletterers Nachfolgern in der Leitung von Musikschule bzw. Konservatorium zählten u.a. Otto Jochum und Arthur Piechler. 1905 gründete Albert Greiner im Auftrag der Stadt eine Singschule, die schon bald sehr erfolgreich war; zahlreiche deutsche Singschul-Neugründungen orientierten sich am Augsburger Modell. Seit 1944 trägt sie seinen Namen (seit 1978 'Albert-Greiner-Sing- und Musikschule'). Otto Jochum, der 1933 die Leitung übernahm, gründete 1935 das der Schule angeschlossene erste und einzige deutsche Singschullehrerseminar.
Musikinstrumentenbau
Das im Musikinstrumentenbau auf Reichsebene neben Nürnberg führende Augsburg nahm eine wichtige Position im Bau von Saiteninstrumenten ein und erlangte vor allem im 18. Jahrhundert europaweites Ansehen im Orgel- und Klavierbau. Anfang des 17. Jahrhunderts beanspruchte die Stadt auch die führende Position im Musikautomatenbau. Herstellung und Handel von Saiteninstrumenten sind bereits im 15. Jahrhundert belegt. In die Blütezeit des Lautenbaus in der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts fällt auch der Abschluß der Instrumentensammlung des Raymund Fugger (Inventar 1566). Um 1559 arbeitete mit Laux Boß (Bosch) einer der bedeutendsten Lautenmacher in der Stadt. Eine eigene Werkstatt unterhielt Hans Georg Linder, die durch seine Witwe und ab 1617 durch deren zweiten Mann, den Kistler Baltasar Schuster, weiterführt wurde. Zu den bedeutenden Meistern gehörte Sixtus Rauwolf. Bis 1603 weilte Magnus Grail in Augsburg, der später zu den renommiertesten italienischen Meistern zählte. Auch Rudolf Bossart und sein Sohn Jakob gelangten zu Ansehen. Bereits bei den Bossarts und besonders bei Gregor Ferdinand Wenger erfolgte dann eine Hinwendung zum Bau von Streichinstrumenten. Der Bau von Lauten fand nach dem Dreißigjährigen Krieg durch den Zuzug von Meistern aus dem im Lauten- und Geigenbau führenden Füssener Raum eine Fortsetzung. Zu den wichtigen Meistern, die gerade beim Bau von Tanzmeistergeigen im 17. Jahrhundert in Deutschland führend waren, zählen Matthias Hummel, Thomas Edlinger und sein Werkstattnachfolger Wenger. Die Geigenbauer in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts konnten an die Erfolge der Blütezeit nicht mehr anknüpfen.
Im Bereich des Orgel- und Klavierbaus lassen sich spätestens im 14. Jahrhundert erste Instrumente, nicht aber deren Erbauer nachweisen. Ende des 15. Jahrhunderts arbeitete vorübergehend Stephan Kaschendorff für St. Ulrich und Afra, zu Beginn des 16. Jahrhunderts der kaiserliche Hoforgelbauer Johann von Dobrau in St. Anna. Zu den ortsansässigen Orgelbauern gehörten in der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts Joseph Faber, sein Schüler Johann Bu(e)rer, Hans Hartmann und [?] Preyschuech. Führender Orgelbauer war der Protestant Eusebius Amerbach, der auch überregionale Aufträge erhielt. In seine Zeit fallen vorübergehende Aufenthalte bzw. Zuzug bedeutender Meister wie Servatius Rorif, Anton Meidting und Hans Mair, Isaac Kaltenbronner sowie der Protestanten Samuel (I) Bidermann und Marx Günzer. Dieser war im Orgelbau wie auch in der Herstellung von Musikautomaten tätig. Zu seinen Mitarbeitern und Schülern gehörten sein Bruder (?) Georg, Hans Jakob Denzler und der später in Padua tätige Adam Casparini. Der durch den Dreißigjährigen Krieg bewirkte Einschnitt machte sich gerade auch beim Orgelbau durch zumindest zeitweilige Hinzuziehung fremder Kräfte bemerkbar. 1661 baute der Münchener Christoph Egedacher eine Orgel für die Stiftskirche Heilig Kreuz. Christoph Leo und sein Sohn Johann Christoph bauten neben Musikautomaten auch Klavichorde, Cembali und Spinette. Jakob David Weidner arbeitete im Orgel- und Klavierbau; in seine Werkstatt heiratete Johann Bez ein, dem zeitweilig sein Neffe Johann Baptist Kronthaler (1742 am Dom) als Gehilfe beistand. Mit der einsetzenden wirtschaftlichen Prosperität um die Jahrhundertwende kamen vorübergehend der Felix-Ramis-Schüler Marx Ehinger (1696 große und 1698 Chororgel in St. Georg), Johann Guggemos, Franz Nikolaus Lamprecht und Anton Berger (Barfüßerkirche 1708) nach Augsburg.
1750 wanderte der Silbermann-Schüler Johann Andreas Stein nach Augsburg zu. 1755/57 leitete er den Neubau der Orgel der Barfüßerkirche (1944 zerstört), an der er ab 1759 auch als Organist wirkte, und die Wolfgang Amadeus Mozart (1777) und vielleicht auch Ludwig van Beethoven (1787) bespielten. Eine instrumentenbaugeschichtlich weitreichende Erfindung gelang ihm mit der u.a. von Wolfgang Amadeus Mozart hochgelobten 'Auslösung' für Hammerklaviere (Deutsche bzw. - nach 1794 - Wiener Mechanik). Steins Kinder Matthäus Andreas und Anna Maria ('Nannette', verh. Streicher) verlegten die überaus erfolgreiche Werkstatt 1794 nach Wien. Neben der Förderung Johann Gottfried Eckards kommt Stein auch wegen der großen Zahl seiner Schüler Bedeutung zu. Ab 1827 setzten Joseph Bohl und seit 1873 Johann Offner die Augsburger Orgelbautradition in bescheidenem Umfang fort. Gegenwärtig ist die Orgelbauwerkstatt Rudolf Kubaks von Bedeutung.
Bei der 'freien', d.h. nicht 'zünftischen', und unter Protest der Kistler betriebenen Herstellung von zumeist
in Kunstmobiliar und Prunkuhren eingebauten Musikautomaten war Augsburg ein führendes Zentrum. Der Aufstieg zur Hochburg der Musikautomaten-Produktion ist, befördert durch Erasmus Mairs aus Italien mitgebrachtes Wissen um die Kunst des 'Wellenbesteckens' (1576), vor allem mit der Werkstätte Samuel (I) Bidermanns und besonders seiner beiden Söhne Samuel (II) und Daniel (I) sowie mit den Arbeiten Joseph Fabers, Servatius Rorifs und Marx Günzers verbunden. Vermutlich bereits um 1570 hatte sich Christoph (I) Schißler mit der Konstruktion von Musikautomaten befaßt, und ab 1581 führte Hans Schlotheim Auftragsarbeiten für Kaiser Rudolf II. aus. 1582 wurde als Hochzeitsgeschenk des Münchener Hofes ein Trompetenautomat mit eingebautem Orgelwerk Caspar (II) Buschmanns an den Innsbrucker Hof übersandt. Georg Roll, der ebenfalls in kaiserlichem Auftrag arbeitete, kooperierte mit bis zu 25 Handwerkern aus unterschiedlichen Zweigen; seit 1585 baute er an seiner Großen Uhr, einer Verbindung von Himmels- und Orgelautomat, die erst der zweite Ehemann seiner Witwe, Matthäus Runggel, vollendete und 1622 nach Italien verkaufte. Nach genauem Studium dieses Kunstwerks baute Hans Leo Haßler mit Georg Hainle (Heinlein) und Konrad Eisenburger einen Musikautomaten für eigene Kompositionen, den er am 18. und 19. Mai 1600 in Augsburg gegen Eintrittsgeld der Öffentlichkeit präsentierte, bevor er ihn dann an den Kaiser nach Prag verkaufte und als seine Erfindung privilegieren ließ. Nachdem Eisenburger die Erfindung für sich beanspruchte, entbrannte zwischen ihm und Haßler ein letztlich ergebnisloser Rechtsstreit. Nach dem 'großen Augsburger Spieluhrprozeß' (F. Roth) kam es 1647-1651 zwischen den Brüdern Samuel und Daniel Bidermann und Achilles Langenbucher zu gerichtlichen Auseinandersetzungen. Glanzvolle Höhepunkte in der Produktion von Musikautomaten waren die von Philipp Hainhofer vermittelten Kunstschränke ('Pommerscher Kunstschrank' mit Musikautomat von Langenbucher und Günzer und einer Komposition von Christian Erbach; Kunstschrank Gustavs II. Adolf mit erhaltenem Automatenvirginal vermutlich von Samuel Bidermann). Wenn nach dem Dreißigjährigen Krieg die große Zeit des Musikautomatenbaus auch vorbei war, so konnte sich dieser Zweig doch bis zum Ende des 17. Jahrhunderts behaupten.
Musikverlage und Notendruck
Ende des 15. Jahrhunderts stieg Augsburg rasch zu einem der führenden Zentren des Druck- und Verlagswesens sowie des Buchhandels in Deutschland auf. Diese Position konnte die Stadt im 18. Jahrhundert mit zum Teil europäischer Bedeutung wiedererlangen. Bedeutende, auch mit Musikdrucken (vorwiegend Liturgica) handelnde Buchführer der Frühzeit waren Sixt Schregel, Hermann Kästlin, Jörg Diemer, Johann Oswalt und Leonhard Burtenbach. Wichtigster Großhändler und Verleger war Johann Rynmann. Große Bedeutung erlangten Georg Willer d.Ä. und dessen gleichnamiger Sohn, der 1622 einen Katalog mit 359 Musikdrucken aus lokalen, regionalen, überregionalen und 'internationalen' Pressen herausbrachte - Zeugnis der offenkundigen Spezialisierung des Musikalienvertriebssystems. Georg (II) Willer war damit der wichtigste Musikalienhändler neben Kaspar Flurschütz, der 1613-1628 die wohl umfassendsten musikalischen Lagerkataloge mit vorwiegend aus Italien bezogener Musikliteratur veröffentlichte. Ihr Schwerpunkt lag zwar im kirchenmusikalischen Bereich, sie enthielten aber auch Tabulaturen, Liturgica und theoretisches Schrifttum sowie weltliche Kompositionen. Unerforscht ist die offensichtlich bedeutende, an Willer und Flurschütz heranreichende Rolle von Johann (I) und (II) Weh (gedruckter Katalog von 1642).
Für die zweite Hälfte des 17. und für das 18. Jahrhundert sind die genauen Zusammenhänge und Verflechtungen in Buchhandel und Verlagswesen weitgehend unbekannt, auch wenn angesichts des Internationalitätsverlusts Strategien für einen zunehmend durch den musikalischen Laien bestimmten Markt erkennbar sind. Dies trifft u.a. zu auf Gottlieb Göbel, Andreas Erfurt, Johann Jakob Schönig und Andreas Maschenbauer. Unklar ist für das 18. Jahrhundert die Bedeutung des 'semiprofessionellen' Musikalienvertriebs durch Musiker (z.B. [?] Roth als Kommissionsagent J. S. Bachs 1727) wie auch die des professionellen Vertriebs, etwa durch Johann Cristian Leopold, Matthäus Rieger, Johann Caspar Bencard, Matthias Wolff, Gebrüder Veith und vor allem Johann Jakob Lotter. Das von Johann Jakob Lotter d.Ä. gegründete Verlagshaus war in Ingolstadt, München, Salzburg, Landshut und Frankfurt a.M. vertreten; Verlagsagent in Salzburg war u.a. Leopold Mozart. Lotter vertrieb nicht nur eigene Produkte, er hatte auch Werke aus allen wichtigen europäischen Druckorten im Angebot. Den umfangreichsten Musikalienkatalog mit über 500 Werken von etwa 220 Komponisten aus ganz Europa brachte er 1773 heraus.
Der Anteil des unterschiedliche Techniken nutzenden Musikdrucks (Holzschnitt, u.a. 1491 Erhard Ratdolts erster Notentypendruck im Doppeldruckverfahren, 1507 Erhard Öglins erster Notendruck Deutschlands mit beweglichen Lettern; Kupferstich; Lithographie)
an der Augsburger Gesamtproduktion der Jahre 1468-1555 (ca. 6000 Drucke) beträgt rund 0,2 %, wozu noch 135 Einblattdrucke zu zählen sind. Neben Liturgica (Erhard Ratdolt) sind vor 1500 Lieddrucke von Johann Blaubirer und Johannes Froschauer bekannt; aus der Offizin des Letzteren stammt mit Michael Keinspecks 'Lilium musicae planae' (1498) das früheste gedruckte Musiklehrbuch des deutschen Humanismus. Anfang des 16. Jahrhunderts gesellten sich Erhard Öglin - er brachte 1511 Sebastian Virdungs 'Mvsica getutscht' heraus - sowie Johann und Silvan Otmar hinzu. Besonders aktiv waren die Offizinen Rammingers, Ulharts und Heinrich Steiners. Philipp (I) Ulhart druckte nicht nur das von Sigmund Salminger herausgegebene 'Laudate dominum omnes gentes' des Sixt Dietrich und evangelische Gesangbücher, sondern auch Salmingers Editionen - musikgeschichtlich höchst wertvolle Quellen der polyphonen Musik des 16. Jahrhunderts. Melchior Kriegstein stellte Sammeldrucke von Salminger sowie Einblattdrucke (u.a. Jean Mouton, Ghiselin Danckerts) her. Seine Offizin ging an seinen Schwiegersohn Valentin Schönig über, der insbesondere Werke Hans Leo Haßlers und Adam Gumpelzhaimers druckte. Ebenso wichtig war die Offizin von Johann (I) und (II) Schultes, zu deren Programm vor allem Werke Christian Erbachs und Gregor Aichingers gehörten. Andreas Erfurt brachte 1655 mit der 11. Auflage von Gumpelzhaimers Lehrbuch den ersten Musikdruck nach dem Dreißigjährigen Krieg heraus. In seinem Programm waren Werke Georg Schmezers und Johann Melchior Gletles, dessen Kompositionen auch von Erfurts Schwiegersohn Johann Jakob Schöning gedruckt wurden. Jakob Koppmayer, Schwiegersohn von Schultes d.J., setzte den Musikaliendruck u.a. mit Werken Gletles, Johann Melchior Caesars, Johann (III) Fischers und Jakob Scheiffelhuts fort.
Zu den bedeutenden Notenstechern in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts zählen Josef Friedrich Leopold und vor allem sein Sohn Johann Christian; in ihrem überwiegend weltlich orientierten Programm waren u.a. Werke von Johann Caspar Ferdinand Fischer, Georg Muffat, Alessandro Marcello, Philippo Martino und Antonio Bonportis vertreten. Johann Jakob (II) Lotter stieg ab 1748 zum bedeutendsten Drucker und Verleger katholischer Kirchenmusik des 18. Jahrhunderts auf, nachdem sein gleichnamiger Vater bereits seit 1705 Musikdrucke herausgebracht hatte, so Valentin Rathgebers 'Augsburger Tafelkonfekt' (1733-1739). Allein 19 der insgesamt 160 Komponisten, zumeist aus dem klösterlichen Bereich - allen voran Marianus Königsber-ger -, bestritten über 60 % des im gesamten süddeutsch-habsburgisch-schweizerischen Raum verbreiteten Verlagsprogramms. Dessen ungeachtet gab es mit Leopold Mozarts 'Violinschule' (1756) oder Carl Philipp Emanuel Bachs 'Kurzen und leichten Clavierstücken' (1768) durchaus auch Anspruchsvolleres.
Mit dem Zuzug von Johann Carl Gombart erhielt Lotter einen Konkurrenten und Augsburg seinen ersten reinen Musikverleger, der schon bald die neue Technik der Lithographie (1799) anwandte und auf ein weltlich orientiertes Verlagsprogramm setzte. Neben Gombart erwuchs Lotter in Andreas Böhm ein weiterer Konkurrent. Schwerpunkt des heute noch bestehenden Verlages (A. Böhm & Sohn) war und ist neben weltlicher Chormusik insbesondere katholische Kirchenmusik, mit der dieser Verlag im 19. Jahrhundert führend war. In seinem Verlagsprogramm sind heute auch eine Reihe Augsburger Komponisten (u.a. Otto Jochum, Karl Kraft, Erna Woll) vertreten. Der 1923 von Karl Vötterle gegründete und schon bald international renommierte Bärenreiter-Verlag verlegte 1927 seinen Firmensitz nach Kassel. Außerdem sind zu nennen der Verlag Dr. Benno Filser, der zwischen 1919 und 1932 in Augsburg u.a. auch auf musikalischem Sektor tätig war, und der 1987 gegründete Verlag Dr. Wißner, in dessen Verlagsprogramm musikpädagogische und musikwissenschaftliche Literatur einen Schwerpunkt bildet.