Stolzhirsch

(Curialis Cervus, Cervus), Patrizierfamilie

Autor: Dr. Peter Geffcken

Stand/Quelle/Datum: 2. Auflage Druckausgabe

  • 1233-1421 in Augsburg nachweisbar; wahrscheinlich ministerialischer Herkunft. Eine der mächtigsten und zahlenstärksten Familien des frühen Patriziats. Letzteres erschwert eine gesicherte Rekonstruktion des frühen Verwandtschaftsgefüges. Durch Analyse aller verfügbaren Quellen sind aber (mit deutlicher Abweichung von der Literatur) auch für das 13. Jahrhundert die wesentlichen Zusammenhänge zu erschließen. Erst um 1300 sind Filiationen umfassender belegt. In kopialer Überlieferung werden schon 1233 'Luipoldus et Siboto dicti Stolz:(hirz)' genannt, die vielleicht mit 'dns. Sibot et dns. Lvpoldus. et filii eorum. Gvnzilhofare' (1234) identisch sind. Die politisch führende Gestalt der nächsten Generation war zunächst Konrad (I), der 1251 die Anerkennung der Rechte der Bürgergemeinde durch Bischof Hartmann bezeugte, aber um 1259 aus den Quellen verschwindet. Neben ihm urkundet eine jüngere Brüdergruppe Konrad (II), Liupold (II) und Sibot (II), von denen zwei ausdrücklich als Söhne eines Bruders von Konrad (I) bezeichnet werden. Erst später werden ihre jüngeren (Stief?-) Brüder Konrad (III), Heinrich (I) und Ulrich fassbar. Mit Liupold (II, † 28.9. 1262/63?) fungierte erstmals ein Augsburger Bürger als (Unter-) Vogt (1260-1262). Nachfolger wurde sein Bruder Sibot (II, † 20.6. nach 1268), der 1263-1265 im Amt bezeugt ist und nach Belehnung Konradins mit der Hochstiftsvogtei wohl Ende 1266 Friedrich Bogner Platz machen musste. Liupolds Söhne Sibot (III, * um 1240/45, † 11.4. 1305/10?) und Liupold (III) schlugen sich um 1270 als Gefolgsleute des ehemaligen Vogts Friedrich Bogner auf die Seite der Wittelsbacher und beteiligten sich an militärischen Aktionen gegen die Stadt. Die Heirat von Sibots Tochter Mechthild († 1308/18) mit Johann (I) Schongauer um 1275/80 signalisiert eine Annäherung der verfeindeten Clans. Auch politisch traten die Stolzhirsch wieder in den Vordergrund: 1288 wurde Sibot (III) einer der beiden ersten Stadtpfleger, 1295 wählte man seinen Sohn Friedrich († 1299/03?) in dieses Amt, 1293 und 1300 den Vetter Heinrich Stolzhirsch 'von Füssen'.
  • 1303 kam es zum 'Stolzhirsch-Aufstand'. Eine Urkunde vom 23.9.1303 nennt als Akteure Sibot (V) Stolzhirsch 'den Jungen' († nach 1305), Liupold (IV), wohl Sohn des Liupold (III), und Heinrich Zwainkircher. Seine Ächtung belegt, dass auch Sibot (III), wohl als Drahtzieher, an den Vorgängen beteiligt war. Die Quellen berichten, dass Sibot (V) versucht hatte, seine Wahl zum alleinigen Bürgermeister durchzusetzen; Hintergründe werden nicht angesprochen. Der junge Sibot scheint sich schon vorher um das Amt des Stadtpflegers bemüht zu haben. Seine Nichtberücksichtigung (vielleicht Vorbehalte gegenüber seiner Person) könnte zu verbalen Attacken gegen den Rat geführt haben und Ursache für seine Ächtung 1302 gewesen sein. Bei der Wahl 1303 versuchte er, aktuelle Unzufriedenheiten mit dem Finanzgebaren des Rates nutzend, seine Kandidatur offenbar auch durch Mobilisierung der Straße durchzusetzen. Für den in der Literatur vermuteten Konflikt zwischen 'altem' Amtspatriziat und 'neuem 'Kaufmannspatriziat' bietet die Ratsbesetzung keine Hinweise, und gerade die Unterwerfungsreverse belegen, dass es sich um eine Einzelaktion der Stolzhirsch handelte. Jene Personen, von denen der Rat für zehn Jahre Verzicht auf Bewaffnung, Ratsmitgliedschaft und hochrangige Ämter (Stadtpfleger, Vogt, Burggraf) forderte, waren die engsten Verwandten der Akteure: Sibots (III) jüngere Söhne Konrad 'von München' († nach 1327), Albrecht (I, † 19.6.1318) und Heinrich (III, † 1347/51?), seine Enkel Johann und Sibot Schongauer und deren Schwager Liupold (III) Schroter. Der Putsch erschütterte die politischen Stellung der Stolzhirsch nicht nachhaltig. Schon 1319 wurde Konrad Stolzhirsch 'von München' zum Stadtpfleger gewählt, Heinrich (III) amtierte sogar viermal. Nach dem Tod Albrechts (II, † 18.9.1351/55?), des einzigen Sohnes von Albrecht (I), war die Familie in Augsburg nur noch durch die Nachkommen Heinrichs (III) vertreten. Dessen jüngerer Sohn Johann († 1368/75) hinterließ einen Sohn Wilhelm († nach 1416), der bei seinem Großvater Johann (II) Gossembrot aufwuchs und 1391 eine Tochter des Ulrich (I) Langenmantel (II) heiratete. Nach Verkauf von Liegenschaften und Renten verschwindet er 1405 aus den Steuerbüchern; ein letztes Mal wird er erwähnt, als ihm 1416 der Rat auf zwei Jahre die Stadt verbietet. Sein Sohn Ludwig (* um 1391/95, † nach 1423), 1418 in städtischen Diensten, erwarb durch Heirat mit einer Gollenhofer noch einmal Bürgerrecht, konnte sich wegen Schulden aber nicht halten. Mit seinem Wegzug 1421/22 verschwindet die Familie endgültig aus Augsburg. Auch für die Zeit nach 1368 ist eine Zugehörigkeit der Stolzhirsch zum Patriziat anzunehmen, sie ist allerdings nicht belegbar, da sie nicht mehr in öffentlichen Ämtern erscheinen. Zusammenhänge mit einer 1364-1449 fassbaren Weberfamilie Stolzhirsch können ausgeschlossen werden.

Literatur:

Paul von Stetten, Geschichte der adelichen Geschlechter in der freyen Reichsstadt Augsburg, 1762, 647

Christian Meyer, Geschichte der Stadt Augsburg, 1907

Hans Lentze, Der Kaiser und die Zunftverfassung in den Reichsstädten bis zum Tode Karls IV., 1933

K. Sieber, Die Anfänge des Augsburger Patriziats bis zum Stolzhirsch-Aufstand, Zulassungsarb. München 1968, 46-55, 109-112

Wolfgang Zorn, Augsburg. Geschichte einer deutschen Stadt, 21994

Fritz Peter Geffcken, Soziale Schichtung in Augsburg 1396-1521, 1995, München Diss. 1983, Anh. 10, 221-228.