Kreditwesen

Autor: Prof. Dr. Rolf Kießling

Stand/Quelle/Datum: 2. Auflage Druckausgabe

  • Der Rentenkauf (Verpfändung von Liegenschaften oder Rechten gegen deren Erträge) war im Mittelalter eine allgemein verbreitete Form der Kapitalanleihe. Die Finanzkraft der führenden Augsburger Familien ermöglichte dabei im 13. Jahrhundert, durch Kreditvergabe wesentliche städtische Rechte von den Bischöfen in Form von Verpfändung und Verkauf an sich zu ziehen (Stadtherrschaft); das gleiche spielte bei den frü­hen Fernhandelsbeziehungen zu den Höfen von München und Innsbruck eine Rolle und lief bei den bedeutendsten Kaufleuten in Verbindung mit dem Fernhandel weiter zur oberdeutschen Hochfinanz.
  • Kredite auf Warenlieferungen wurden in der Regel an hohe Festtage oder wichtige Messetermine gebunden. Andererseits nahmen Handelsgesellschaften neben Teilhaberkapitalien sogenannte stille Gelder als Depositen gegen feste Verzinsung mit auf (vor allem von Mitgliedern der eigenen Familie und von Verwandten; daneben von Auswärtigen, z. B. die Fugger von Melchior von Meckau, Bischof von Brixen; die Hoechstetter in besonders hohem Maße von fremden Kreditoren; beide Firmen aber nur sehr begrenzt von kleinen Gläubigern).
  • Seit dem ausgehenden 13. Jahrhundert spielten Juden als Geldgeber sowohl gegenüber der Stadt als auch in privatem Rahmen eine bedeutsame Rolle, ehe sie nach dem Pogrom von 1348 vorwiegend auf Kleinkredite eingeschränkt wurden; der Zinssatz lag laut Stadtrecht von 1276 bei maximal zwei Pfennigen pro 1 Pfund Pfennig und Woche (entspricht 86 2/3 %), wobei freilich das hohe Risiko und die häufig kurze Laufzeit zu berücksichtigen sind. Die Verbindung mit dem Augsburger Kapitalmarkt blieb auch nach ihrer Vertreibung aus Augsburg. 1438/40 bestehen, da die in den Nachbargemeinden Pfersee, Kriegshaber und Steppach sich seit dem 16. Jahrhundert neu ansiedelnden Juden über die Pfandleihe trotz mehrfacher Restriktionen des Rates die Kreditbedürfnisse der A.er Bürger weiterhin bedienten.
  • Im Rahmen des Stadthaushalts wurde der Kapitalbedarf seit der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts in Form des Leibgedings aufgebracht: Gegen die Hingabe einer bestimmten Summe konnte der Käufer eine jährliche Rente beziehen, die auf die Lebenszeit eines Trä­gers festgelegt war, wobei Käufer, Träger und Bezieher verschiedene Personen sein konnten; der Zinssatz schwankte dabei wegen des unterschiedlichen Risikos zwischen 10 und 20 %. Dieser Form trat im 15. Jahrhundert zunehmend der Verkauf von sogenannten Ewiggeldern an die Seite, bei denen die ausbezahlte Rente gleichbleibend und zeitlich unbegrenzt war; der Zinssatz lag entsprechend niedriger bei 4-5 %. Neben dieser breitgestreuten Kapitalschöpfung nahm die Stadt immer wieder größere Geldbeträge von Privatleuten, aber auch geistlichen Institutionen (Klöster, Spitäler, Stiftungen) in und außerhalb der Stadt auf. Noch im 17. Jahrhundert war diese Struktur im Prinzip erhalten.
  • Das durchwegs privatwirtschaftliche Bankensystem, das sich aus den vielfältigen Unternehmen der Augsburger Kaufleute herausschälte, ließ Augsburg zu einem herausragenden Wechselplatz werden. Er fand im Amt des ’Unterkäufel’ (Makler; erste Erwähnung im Stadtrecht von 1276) eine institutionelle Form. Umfang und Struktur der Geschäfte um die Mitte des 16. Jahrhunderts werden durch die beiden erhaltenen ’Unterkaufbücher’ der Jahre 1551-1558 genau rekonstruierbar. Im 17./18. Jahrhundert verstärkte der Silberhandel diese Funktion einer Frühform der Börse wegen seiner starken Affinität zum Wechsel- und Bankgeschäft von Neuem. Nach dem Übergang Augsburgs an Bayern taucht erstmals der Name ’Börse’ (1806) auf, seit 1816 offiziell auch als ’Effektenbörse’ fungierend, woran die wieder zugelassenen jüdischen Häuser maßgeblichen Anteil hatten. Mit Gründung der Bayerischen Hypotheken- und Wechselbank 1834 begann ein Verlagerungsprozess, bei dem im Laufe des 19. Jahrhunderts eine ganze Reihe von Augsburger Privatbanken in Münchner Großbanken aufging. Die Augsburger Banken trugen bis zum Ersten Weltkrieg einen hohen Anteil der Finanzierung der Industrialisierung, auch wenn sie deren Kapitalbedarf nicht voll decken konnten.

Literatur:

Ludwig Lieb, Die Entwicklung der Augsburger Effektenbörse, 1930

Albert Haemmerle, Die Leibdingbücher der freien Reichsstadt Augsburg 1330-1500, 1958

Wolfgang Zorn, Handels- und Industriegeschichte Bayerisch-Schwabens 1648-1870, 1961

Friedrich Blendinger, Münchner Bürger, Klöster und Stiftungen als Gläubiger der Reichsstadt Augsburg im 14. und 15. Jahrhundert, in: Archive und Geschichtsforschung : Fridolin Solleder zum 80. Geburtstag dargebracht, 1966, 80-109

Ingrid Bátori, Die Reichsstadt Augsburg im 18. Jahrhundert, 1969, 76-105

Rolf Kießling, Bürgerliche Gesellschaft und Kirche in Augsburg im Spätmittelalter, 1971, 182-192

Geschichte der Stadt Augsburg von der Römerzeit bis zur Gegenwart, 21985, 166-171 (Peter Lengle), 171-181 (Rolf Kießling), 258-301 (Hermann Kellenbenz), 468-480, 592-607 (Peter Fassl)

Bernd Roeck, Eine Stadt in Krieg und Frieden, 1989, 277-300, 473-475, 565-603

Zwei Augsburger Unterkaufbücher aus den Jahren 1551-1558, 1994

Hans Georg Kopp, Das Einnehmer- und das Baumeisteramt Augsburgs im 16. Jahrhundert, Diss. Augsburg 1994

Bernhard Schimmelpfennig, Christen und Juden im Augsburg des Mittelalters, in: Judengemeinden in Schwaben im Kontext des Alten Reiches, 1995, 23-38

Mark Häberlein, Brüder, Freunde und Betrüger, 1998, 97-119, 168-254.