Geschichtsschreibung
Autoren: Dr. Norbert Hörberg †, Prof. Dr. Georg Kreuzer
Stand/Quelle/Datum: 2. Auflage Druckausgabe
- Als die ersten Geschichtsschreiber können Mönche und Kleriker bezeichnet werden, die Heiligenviten verfassten und darin – zumindest streckenweise – auch glaubwürdig über historische Ereignisse berichten. So ist die Lebensbeschreibung des heiligen Ulrich von Gerhard (982/93) in vielen Teilen als historisch treu zu bewerten. Udalschalk von St. Ulrich und Afra verband in seiner Biographie des Abtes Egino die Elemente einer Heiligenvita mit historischer Dokumentation, eine beachtliche Leistung des frühen 12. Jahrhunderts. Noch im 11. Jahrhundert legten die Domkanoniker sogenannte Jahrbücher, die Annales Augustani, an, die sie bis 1104 führten. Gleichzeitig zeichneten sie das ’Excerptum ex Gallica historia’ auf. Darin wird von einer angeblichen Schlacht zwischen Römern und Schwaben sowie der Göttin Cisa berichtet. Diesen Bericht, der Element der späteren städtischen Chronistik wurde, griff Prior Albert von Augsburg aus St. Ulrich und Afra im 13. Jahrhundert auf. Ebenfalls aus dem Ulrichskloster stammen ein Abtkatalog des späten 12. Jahrhunderts (Chronicon breve) und die Jahrbücher (bis 1334) der Mönchsbrüder Ulrich und Konrad Welling. Beim Dom entstanden im Spätmittelalter die ’Annales Augustani minores’ (bis 1322).
Nach der Zunfterhebung von 1368 folgte die erste Generation bürgerlicher Geschichtsschreiber, eine anonyme Chronik von 1368-1406 und Notizen des Erhard Wahraus (Nachträge bis 1462); die Sprache ist deutsch, noch herrscht die annalistische Form vor. Die chronikalische Geschichtsschreibung wird von den Frühhumanisten des 15. Jahrhunderts eingeführt. Wohl auf Anregung des Bürgermeisters Peter Egen schuf ein sonst nicht näher bekannter Kleriker Küchlin um 1437/42 eine Gründungsgeschichte der Stadt Augsburg, in der er den Prolog Alberts von Augsburg zum Leben der heiligen Afra in deutsche Verse übertrug. Er ließ in seiner Reimchronik versprengte Trojaner nach Gallien gelangen und von diesen Schwaben und Germanen abstammen, die noch vor der Entstehung Roms Augsburg gründeten. Gegen diese Darstellung wandte sich ein humanistischer Zirkel um Sigmund Gossembrot. In dessen Auftrag verfasste der Benediktiner Sigmund Meisterlin eine Augsburger Chronik, die er in lateinischer (1456) und deutscher (1457) Fassung vorlegte. Ansatzweise quellenkritisch arbeitend, lässt sich freilich bei ihm ebenfalls legendenhaftes Beiwerk feststellen: An die Stelle der Trojaner treten die Amazonen. Reicht seine Darstellung in der lateinischen Fassung bis 1425, so endet die deutsche Fassung schon mit Ludwig IV., wenn man von einigen Hinweisen bis 1364 absieht.
Hektor Mülich, ein gebildeter Ratsherr, setzte schon 1457 die deutsche Fassung der Meisterlinschen Chronik bis zum Jahr 1456 fort. Nach seinem Rückzug aus dem engeren Zirkel des Stadtregiments und aus führenden Funktionen bei der Kaufleutezunft verfasste er eine von 1348-1487 reichende Chronik, in der die Verfassungsreform der Reichsstadt im Mittelpunkt steht. Die Augsburger Chronik des Burkhard Zink, die bis 1468 reicht, besticht vor allem durch die Betonung des Persönlichen und die ausführliche Schilderung der eigenen Biographie. Georg Diemer († 1514/15) setzte die Mülichsche Chronik bis 1512 fort. Matthias Manlich († 1558/59) verlängerte dessen Fassung bis 1545. Konrad Bollstatter ist als Meisterlin-Fortsetzer bedingt zu den Augsburger Geschichtsschreibern zu rechnen. Konrad Peutinger gab 1505 die römischen Inschriften der Stadt heraus und Markus Welser behandelte 1594 ihre Frühgeschichte nach zuverlässigen Quellen.
Vollständige Darstellungen aufgrund von Archivalien versuchten Clemens Sender, Clemens Jäger (bis Mitte des 16. Jahrhunderts), Paul Hektor Mair († 1579) und Abraham Schieß (bis 1588). Während der Benediktiner Sender in seiner zwölfbändigen Weltchronik und in seiner Deutschen Städtechronik (bis 1536) bewusst den katholischen Standpunkt vertrat und die Reformation verwarf, schrieb der Patrizier Wilhelm Rehm ’Ain cronica newer Geschichten’ aus dem Blickwinkel des Luthertums (1512-1527). Einen letzten Höhepunkt erreichte die Augsburger Chronistik mit Georg Kölderer. Sein ursprünglich achtbändiges, von 1576 bis 1607 reichendes Geschichtswerk ist sehr lebendig geschrieben mit viel Sinn für außergewöhnliche Ereignisse (z. B. Kometenerscheinungen). Ebenfalls nicht ohne Polemik gegen die Katholiken verfasste Achilles Pirmin Gasser ein großes annalistisches Werk, das 1576 endet. Gegen ihn schrieb Reginbald Möhner seine bis 1632 reichenden Annalen. 1647 veröffentlichte Karl Stengel einen kurzen Abriss der Stadtgeschichte.
In der Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg legte Paul von Stetten d. Ä. seine monumentale Stadtgeschichte von den Anfängen bis zum Westfälischen Frieden vor. Paul von Stetten d. J. behandelte die Geschlechter der Reichsstadt (1762) und die Kunst- und Wirtschaftsgeschichte (1779/88). Um 1800 widmeten sich Georg Wilhelm Zapf und der Benediktiner Placidus Braun der Geschichtsschreibung, auf sie folgten die mehrbändigen Stadtgeschichten von Friedrich Karl Gullmann (1808/22), Christian Jakob Wagenseil (1819/22) und Franz Eugen von Seida (1826). 1834 gründete der Historikerkreis um Johann Nepomuk von Raiser den Historischen Verein für Schwaben. In der Zeitschrift des Vereins sind zahllose Beiträge zur Augsburger Geschichte veröffentlicht worden. 1874-1878 gab Stadtarchivar Christian Meyer die Urkunden der Stadt von 1104-1399 heraus.
Besondere Verdienste um die Erforschung des Augsburger Humanismus erwarb sich Paul Joachimsen (Joachimsohn). Es folgten Gesamtdarstellungen zur Stadtgeschichte von Lorenz Werner (1900), Pius Dirr (31925), Hans Eberlein (1939), Hugo Steiger (1941) und Wolfgang Zorn (1955, 31994). Die Jubiläen 1955 (Lechfeldschlacht) und 1985 (2000-Jahr-Feier) waren Anlass für vielfältige historische Publikationen. Eine fortlaufende Chronik zum Tagesgeschehen erstellt das Stadtarchiv Augsburg
Literatur:
Chroniken der deutschen Städte vom 14. bis ins 16. Jahrhundert, 1862 ff.
Paul Joachimsohn, Zur städtischen und klösterlichen Geschichte Augsburgs im 15. Jahrhundert, in: Alemannia 22 (1894), 1-32, 123-159
Carla Kramer-Schlette, Vier Augsburger Chronisten der Reformationszeit, 1970
Dieter Weber, Geschichtsschreibung in Augsburg, 1984
Geschichte der Stadt Augsburg von der Römerzeit bis zur Gegenwart, 21985, 213-219, 343-357, 480-489
Karl Schnith, Mittelalterliche Augsburger Gründungslegenden, in: Fälschungen im Mittelalter, 1988, 497-517
Andrea Dirsch-Weigand, Stadt und Fürst in der Chronistik des Spätmittelalters, 1991, 28-35
Georg Kreuzer, Augsburger Rechtstexte und Chronistik, in: Von der Augsburger Bibelhandschrift zu Bertolt Brecht, 1991, 187-189.